Auf dem Olymp war große Götterversammlung: Hebe wandelte an den Tischen umher und schenkte Nektar ein. Die Götter tranken einander aus goldenen Poka¬ len zu und schauten auf Troja nieder. Da ward von Zeus und Here Troja's Untergang beschlossen. Der Vater der Götter wandte sich zu seiner Tochter Athene und befahl ihr, auf den Kampfplatz hinabzueilen und die Trojaner zu versuchen, daß sie die auf ihren Sieg stolzen Griechen wider den Vertrag zu beleidigen anfingen. Pal¬ las Athene mischte sich sofort unter das Getümmel der Trojaner, nachdem sie die Gestalt des Laodokus, der ein Sohn Antenors war, angenommen. In dieser Verhül¬ lung suchte sie den Sohn Lykaons, den trotzigen Pandarus, auf, der ihr zu dem Werke geschickt schien, das ihr der Vater aufgetragen. Dieser war ein Verbündeter der Trojaner und aus Lycien mit seiner Heerschaar hergekom¬ men. Die Göttin fand ihn bald, in der Mitte der Sei¬ nigen stehend. Sie trat nahe zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter und sprach: "Höre, kluger Pandarus, jetzt könn¬ test du etwas thun, wodurch du bei allen Trojanern dir Preis und Dank verdientest, vor Allem von Paris, der dir gewiß mit den herrlichsten Geschenken lohnen würde. Siehst du dort Menelaus, den hochmüthigen Sieger stehen? Wage es, und drücke deinen Pfeil auf ihn ab." So sprach
Schwab, das klass. Alterthum. II. 8
Pandarus.
Auf dem Olymp war große Götterverſammlung: Hebe wandelte an den Tiſchen umher und ſchenkte Nektar ein. Die Götter tranken einander aus goldenen Poka¬ len zu und ſchauten auf Troja nieder. Da ward von Zeus und Here Troja's Untergang beſchloſſen. Der Vater der Götter wandte ſich zu ſeiner Tochter Athene und befahl ihr, auf den Kampfplatz hinabzueilen und die Trojaner zu verſuchen, daß ſie die auf ihren Sieg ſtolzen Griechen wider den Vertrag zu beleidigen anfingen. Pal¬ las Athene miſchte ſich ſofort unter das Getümmel der Trojaner, nachdem ſie die Geſtalt des Laodokus, der ein Sohn Antenors war, angenommen. In dieſer Verhül¬ lung ſuchte ſie den Sohn Lykaons, den trotzigen Pandarus, auf, der ihr zu dem Werke geſchickt ſchien, das ihr der Vater aufgetragen. Dieſer war ein Verbündeter der Trojaner und aus Lycien mit ſeiner Heerſchaar hergekom¬ men. Die Göttin fand ihn bald, in der Mitte der Sei¬ nigen ſtehend. Sie trat nahe zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter und ſprach: „Höre, kluger Pandarus, jetzt könn¬ teſt du etwas thun, wodurch du bei allen Trojanern dir Preis und Dank verdienteſt, vor Allem von Paris, der dir gewiß mit den herrlichſten Geſchenken lohnen würde. Siehſt du dort Menelaus, den hochmüthigen Sieger ſtehen? Wage es, und drücke deinen Pfeil auf ihn ab.“ So ſprach
Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 8
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0135"n="[113]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Pandarus.</hi><lb/></head><p>Auf dem Olymp war große Götterverſammlung:<lb/>
Hebe wandelte an den Tiſchen umher und ſchenkte Nektar<lb/>
ein. Die Götter tranken einander aus goldenen Poka¬<lb/>
len zu und ſchauten auf Troja nieder. Da ward von<lb/>
Zeus und Here Troja's Untergang beſchloſſen. Der<lb/>
Vater der Götter wandte ſich zu ſeiner Tochter Athene<lb/>
und befahl ihr, auf den Kampfplatz hinabzueilen und die<lb/>
Trojaner zu verſuchen, daß ſie die auf ihren Sieg ſtolzen<lb/>
Griechen wider den Vertrag zu beleidigen anfingen. Pal¬<lb/>
las Athene miſchte ſich ſofort unter das Getümmel der<lb/>
Trojaner, nachdem ſie die Geſtalt des Laodokus, der ein<lb/>
Sohn Antenors war, angenommen. In dieſer Verhül¬<lb/>
lung ſuchte ſie den Sohn Lykaons, den trotzigen Pandarus,<lb/>
auf, der ihr zu dem Werke geſchickt ſchien, das ihr der<lb/>
Vater aufgetragen. Dieſer war ein Verbündeter der<lb/>
Trojaner und aus Lycien mit ſeiner Heerſchaar hergekom¬<lb/>
men. Die Göttin fand ihn bald, in der Mitte der Sei¬<lb/>
nigen ſtehend. Sie trat nahe zu ihm, klopfte ihm auf die<lb/>
Schulter und ſprach: „Höre, kluger Pandarus, jetzt könn¬<lb/>
teſt du etwas thun, wodurch du bei allen Trojanern dir<lb/>
Preis und Dank verdienteſt, vor Allem von Paris, der<lb/>
dir gewiß mit den herrlichſten Geſchenken lohnen würde.<lb/>
Siehſt du dort Menelaus, den hochmüthigen Sieger ſtehen?<lb/>
Wage es, und drücke deinen Pfeil auf ihn ab.“ So ſprach<lb/><fwtype="sig"place="bottom"><hirendition="#g">Schwab</hi>, das klaſſ. Alterthum. <hirendition="#aq">II.</hi> 8<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[[113]/0135]
Pandarus.
Auf dem Olymp war große Götterverſammlung:
Hebe wandelte an den Tiſchen umher und ſchenkte Nektar
ein. Die Götter tranken einander aus goldenen Poka¬
len zu und ſchauten auf Troja nieder. Da ward von
Zeus und Here Troja's Untergang beſchloſſen. Der
Vater der Götter wandte ſich zu ſeiner Tochter Athene
und befahl ihr, auf den Kampfplatz hinabzueilen und die
Trojaner zu verſuchen, daß ſie die auf ihren Sieg ſtolzen
Griechen wider den Vertrag zu beleidigen anfingen. Pal¬
las Athene miſchte ſich ſofort unter das Getümmel der
Trojaner, nachdem ſie die Geſtalt des Laodokus, der ein
Sohn Antenors war, angenommen. In dieſer Verhül¬
lung ſuchte ſie den Sohn Lykaons, den trotzigen Pandarus,
auf, der ihr zu dem Werke geſchickt ſchien, das ihr der
Vater aufgetragen. Dieſer war ein Verbündeter der
Trojaner und aus Lycien mit ſeiner Heerſchaar hergekom¬
men. Die Göttin fand ihn bald, in der Mitte der Sei¬
nigen ſtehend. Sie trat nahe zu ihm, klopfte ihm auf die
Schulter und ſprach: „Höre, kluger Pandarus, jetzt könn¬
teſt du etwas thun, wodurch du bei allen Trojanern dir
Preis und Dank verdienteſt, vor Allem von Paris, der
dir gewiß mit den herrlichſten Geſchenken lohnen würde.
Siehſt du dort Menelaus, den hochmüthigen Sieger ſtehen?
Wage es, und drücke deinen Pfeil auf ihn ab.“ So ſprach
Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 8
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. [113]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/135>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.