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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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und deiner Eltern Name, wie dein Land; und, sag' auch,
warum verehrst du die neuen Gebräuche?"

Frei und ohne Furcht erwiederte Jener: "Mein
Name ist Akötes, meine Heimath Mäonien, meine Eltern
sind aus dem gemeinen Volke. Keine Fluren, keine Heerden
ließ mir der Vater zum Erbtheil, er lehrte mich nur die
Kunst mit der Angelruthe zu fischen, denn diese Kunst
war all sein Reichthum. Bald lernte ich auch ein Schiff
regieren, die leitenden Gestirne, die Winde, die wohlgele¬
genen Häfen kennen, und fing an, Schiffahrt zu trei¬
ben. Einst, auf einer Fahrt nach Delos, gerieth ich an
eine unbekannte Küste, wo wir anlegten. Ein Sprung
brachte mich auf den feuchten Sand, und ich übernachtete
hier noch ohne die Gefährten am Ufer. Des andern
Tages machte ich mich mit der ersten Morgenröthe auf,
und bestieg einen Hügel, um zu sehen, was der Wind
uns verspreche. Inzwischen hatten auch meine Gefähr¬
ten gelandet, und auf dem Rückwege nach dem Schiffe
begegnete ich ihnen, wie sie gerade einen Jüngling mit
sich schleppten, den sie am verlassenen Gestade geraubt
hatten. Der Knabe, von jungfräulicher Schönheit, schien
vom Weine betäubt, taumelnd wie von Schläfrigkeit, und
hatte Mühe, ihnen zu folgen. Als ich Angesicht, Hal¬
tung, Bewegung des Jünglings näher ins Auge faßte,
schien sich mir an demselben etwas Ueberirdisches zu of¬
fenbaren. "Was für ein Gott in dem Jüngling sey," so
sprach ich zu der Mannschaft, "weiß ich noch nicht recht;
aber so viel ist mir gewiß, daß ein Gott in ihm ist."
"Wer du auch seyest," sprach ich weiter, "sey uns hold
und fördere unsere Arbeit! Verzeih auch diesen, die dich
geraubt!" -- "Was fällt dir ein," rief ein anderer, "laß

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und deiner Eltern Name, wie dein Land; und, ſag' auch,
warum verehrſt du die neuen Gebräuche?“

Frei und ohne Furcht erwiederte Jener: „Mein
Name iſt Akötes, meine Heimath Mäonien, meine Eltern
ſind aus dem gemeinen Volke. Keine Fluren, keine Heerden
ließ mir der Vater zum Erbtheil, er lehrte mich nur die
Kunſt mit der Angelruthe zu fiſchen, denn dieſe Kunſt
war all ſein Reichthum. Bald lernte ich auch ein Schiff
regieren, die leitenden Geſtirne, die Winde, die wohlgele¬
genen Häfen kennen, und fing an, Schiffahrt zu trei¬
ben. Einſt, auf einer Fahrt nach Delos, gerieth ich an
eine unbekannte Küſte, wo wir anlegten. Ein Sprung
brachte mich auf den feuchten Sand, und ich übernachtete
hier noch ohne die Gefährten am Ufer. Des andern
Tages machte ich mich mit der erſten Morgenröthe auf,
und beſtieg einen Hügel, um zu ſehen, was der Wind
uns verſpreche. Inzwiſchen hatten auch meine Gefähr¬
ten gelandet, und auf dem Rückwege nach dem Schiffe
begegnete ich ihnen, wie ſie gerade einen Jüngling mit
ſich ſchleppten, den ſie am verlaſſenen Geſtade geraubt
hatten. Der Knabe, von jungfräulicher Schönheit, ſchien
vom Weine betäubt, taumelnd wie von Schläfrigkeit, und
hatte Mühe, ihnen zu folgen. Als ich Angeſicht, Hal¬
tung, Bewegung des Jünglings näher ins Auge faßte,
ſchien ſich mir an demſelben etwas Ueberirdiſches zu of¬
fenbaren. „Was für ein Gott in dem Jüngling ſey,“ ſo
ſprach ich zu der Mannſchaft, „weiß ich noch nicht recht;
aber ſo viel iſt mir gewiß, daß ein Gott in ihm iſt.“
„Wer du auch ſeyeſt,“ ſprach ich weiter, „ſey uns hold
und fördere unſere Arbeit! Verzeih auch dieſen, die dich
geraubt!“ — „Was fällt dir ein,“ rief ein anderer, „laß

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[51/0077] und deiner Eltern Name, wie dein Land; und, ſag' auch, warum verehrſt du die neuen Gebräuche?“ Frei und ohne Furcht erwiederte Jener: „Mein Name iſt Akötes, meine Heimath Mäonien, meine Eltern ſind aus dem gemeinen Volke. Keine Fluren, keine Heerden ließ mir der Vater zum Erbtheil, er lehrte mich nur die Kunſt mit der Angelruthe zu fiſchen, denn dieſe Kunſt war all ſein Reichthum. Bald lernte ich auch ein Schiff regieren, die leitenden Geſtirne, die Winde, die wohlgele¬ genen Häfen kennen, und fing an, Schiffahrt zu trei¬ ben. Einſt, auf einer Fahrt nach Delos, gerieth ich an eine unbekannte Küſte, wo wir anlegten. Ein Sprung brachte mich auf den feuchten Sand, und ich übernachtete hier noch ohne die Gefährten am Ufer. Des andern Tages machte ich mich mit der erſten Morgenröthe auf, und beſtieg einen Hügel, um zu ſehen, was der Wind uns verſpreche. Inzwiſchen hatten auch meine Gefähr¬ ten gelandet, und auf dem Rückwege nach dem Schiffe begegnete ich ihnen, wie ſie gerade einen Jüngling mit ſich ſchleppten, den ſie am verlaſſenen Geſtade geraubt hatten. Der Knabe, von jungfräulicher Schönheit, ſchien vom Weine betäubt, taumelnd wie von Schläfrigkeit, und hatte Mühe, ihnen zu folgen. Als ich Angeſicht, Hal¬ tung, Bewegung des Jünglings näher ins Auge faßte, ſchien ſich mir an demſelben etwas Ueberirdiſches zu of¬ fenbaren. „Was für ein Gott in dem Jüngling ſey,“ ſo ſprach ich zu der Mannſchaft, „weiß ich noch nicht recht; aber ſo viel iſt mir gewiß, daß ein Gott in ihm iſt.“ „Wer du auch ſeyeſt,“ ſprach ich weiter, „ſey uns hold und fördere unſere Arbeit! Verzeih auch dieſen, die dich geraubt!“ — „Was fällt dir ein,“ rief ein anderer, „laß 4 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/77>, abgerufen am 25.11.2024.