du das Beten!" Auch die übrigen lachten über mich, von Raubgier verblendet, und somit fassten sie den Knaben, um ihn in das Schiff zu schleppen. Vergebens stellte ich mich entgegen: der Jüngste und Kräftigste unter der Rotte, aus einer Tyrrhenischen Stadt wegen eines Mor¬ des flüchtig, packte mich an der Gurgel und sechleuderte mich hinaus. Ich wäre im Meere ertrunken, wenn mich das Tackelwerk nicht aufgefangen hätte. Inzwischen war der Knabe wie in tiefem Schlummer auf dem Schiffe, wohin man ihn gebracht hatte, gelegen. Plötzlich, wie vom Geschrei erwacht und vom Rausche zurückgekehrt, raffte er sich auf, trat unter die Schiffer und rief: "Wel¬ cher Lärm? Sprecht ihr Männer, durch welches Geschick kam ich hierher? Wohin wollt ihr mich bringen?" -- "Fürchte dich nicht Knabe," sprach einer der falschen Schiffer, "nenne uns nur den Hafen, nach welchem du gebracht zu werden wünschest, gewiß wir setzen dich ab, wo du es verlangst." "Nun wohl," sprach der Knabe, "so richtet den Lauf nach der Insel Naxos, dort ist meine Heimath!" Die Betrüger versprachen es ihm bei allen Göttern und hießen mich die Segel richten. Uns zur rechten Seite lag Naxos. Wie ich nun die Segel rechtshin spanne, winken und murmeln sie mir alle zu: "Unsinniger, was machst du? Was für ein Wahnwitz plagt dich? Fahr links!" Ich erstaunte darüber, und be¬ griff sie nicht. "Nehme sich ein anderer des Schiffes an!" sprach ich, und trat auf die Seite. "Als ob das Heil unsrer Fahrt allein auf dir beruhte!" schrie mich ein roher Geselle an, und verrichtete das Geschäft anstatt meiner. So ließen sie Naxos liegen, und steuerten in der entgegengesetzten Richtung. Hohnlächelnd, als ob er
du das Beten!“ Auch die übrigen lachten über mich, von Raubgier verblendet, und ſomit faſſten ſie den Knaben, um ihn in das Schiff zu ſchleppen. Vergebens ſtellte ich mich entgegen: der Jüngſte und Kräftigſte unter der Rotte, aus einer Tyrrheniſchen Stadt wegen eines Mor¬ des flüchtig, packte mich an der Gurgel und ſechleuderte mich hinaus. Ich wäre im Meere ertrunken, wenn mich das Tackelwerk nicht aufgefangen hätte. Inzwiſchen war der Knabe wie in tiefem Schlummer auf dem Schiffe, wohin man ihn gebracht hatte, gelegen. Plötzlich, wie vom Geſchrei erwacht und vom Rauſche zurückgekehrt, raffte er ſich auf, trat unter die Schiffer und rief: „Wel¬ cher Lärm? Sprecht ihr Männer, durch welches Geſchick kam ich hierher? Wohin wollt ihr mich bringen?“ — „Fürchte dich nicht Knabe,“ ſprach einer der falſchen Schiffer, „nenne uns nur den Hafen, nach welchem du gebracht zu werden wünſcheſt, gewiß wir ſetzen dich ab, wo du es verlangſt.“ „Nun wohl,“ ſprach der Knabe, „ſo richtet den Lauf nach der Inſel Naxos, dort iſt meine Heimath!“ Die Betrüger verſprachen es ihm bei allen Göttern und hießen mich die Segel richten. Uns zur rechten Seite lag Naxos. Wie ich nun die Segel rechtshin ſpanne, winken und murmeln ſie mir alle zu: „Unſinniger, was machſt du? Was für ein Wahnwitz plagt dich? Fahr links!“ Ich erſtaunte darüber, und be¬ griff ſie nicht. „Nehme ſich ein anderer des Schiffes an!“ ſprach ich, und trat auf die Seite. „Als ob das Heil unſrer Fahrt allein auf dir beruhte!“ ſchrie mich ein roher Geſelle an, und verrichtete das Geſchäft anſtatt meiner. So ließen ſie Naxos liegen, und ſteuerten in der entgegengeſetzten Richtung. Hohnlächelnd, als ob er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0078"n="52"/>
du das Beten!“ Auch die übrigen lachten über mich, von<lb/>
Raubgier verblendet, und ſomit faſſten ſie den Knaben,<lb/>
um ihn in das Schiff zu ſchleppen. Vergebens ſtellte<lb/>
ich mich entgegen: der Jüngſte und Kräftigſte unter der<lb/>
Rotte, aus einer Tyrrheniſchen Stadt wegen eines Mor¬<lb/>
des flüchtig, packte mich an der Gurgel und ſechleuderte<lb/>
mich hinaus. Ich wäre im Meere ertrunken, wenn mich<lb/>
das Tackelwerk nicht aufgefangen hätte. Inzwiſchen war<lb/>
der Knabe wie in tiefem Schlummer auf dem Schiffe,<lb/>
wohin man ihn gebracht hatte, gelegen. Plötzlich, wie<lb/>
vom Geſchrei erwacht und vom Rauſche zurückgekehrt,<lb/>
raffte er ſich auf, trat unter die Schiffer und rief: „Wel¬<lb/>
cher Lärm? Sprecht ihr Männer, durch welches Geſchick<lb/>
kam ich hierher? Wohin wollt ihr mich bringen?“—<lb/>„Fürchte dich nicht Knabe,“ſprach einer der falſchen<lb/>
Schiffer, „nenne uns nur den Hafen, nach welchem du<lb/>
gebracht zu werden wünſcheſt, gewiß wir ſetzen dich ab,<lb/>
wo du es verlangſt.“„Nun wohl,“ſprach der Knabe,<lb/>„ſo richtet den Lauf nach der Inſel Naxos, dort iſt<lb/>
meine Heimath!“ Die Betrüger verſprachen es ihm bei<lb/>
allen Göttern und hießen mich die Segel richten. Uns<lb/>
zur rechten Seite lag Naxos. Wie ich nun die Segel<lb/>
rechtshin ſpanne, winken und murmeln ſie mir alle zu:<lb/>„Unſinniger, was machſt du? Was für ein Wahnwitz<lb/>
plagt dich? Fahr links!“ Ich erſtaunte darüber, und be¬<lb/>
griff ſie nicht. „Nehme ſich ein anderer des Schiffes<lb/>
an!“ſprach ich, und trat auf die Seite. „Als ob das<lb/>
Heil unſrer Fahrt allein auf dir beruhte!“ſchrie mich ein<lb/>
roher Geſelle an, und verrichtete das Geſchäft anſtatt<lb/>
meiner. So ließen ſie Naxos liegen, und ſteuerten in<lb/>
der entgegengeſetzten Richtung. Hohnlächelnd, als ob er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[52/0078]
du das Beten!“ Auch die übrigen lachten über mich, von
Raubgier verblendet, und ſomit faſſten ſie den Knaben,
um ihn in das Schiff zu ſchleppen. Vergebens ſtellte
ich mich entgegen: der Jüngſte und Kräftigſte unter der
Rotte, aus einer Tyrrheniſchen Stadt wegen eines Mor¬
des flüchtig, packte mich an der Gurgel und ſechleuderte
mich hinaus. Ich wäre im Meere ertrunken, wenn mich
das Tackelwerk nicht aufgefangen hätte. Inzwiſchen war
der Knabe wie in tiefem Schlummer auf dem Schiffe,
wohin man ihn gebracht hatte, gelegen. Plötzlich, wie
vom Geſchrei erwacht und vom Rauſche zurückgekehrt,
raffte er ſich auf, trat unter die Schiffer und rief: „Wel¬
cher Lärm? Sprecht ihr Männer, durch welches Geſchick
kam ich hierher? Wohin wollt ihr mich bringen?“ —
„Fürchte dich nicht Knabe,“ ſprach einer der falſchen
Schiffer, „nenne uns nur den Hafen, nach welchem du
gebracht zu werden wünſcheſt, gewiß wir ſetzen dich ab,
wo du es verlangſt.“ „Nun wohl,“ ſprach der Knabe,
„ſo richtet den Lauf nach der Inſel Naxos, dort iſt
meine Heimath!“ Die Betrüger verſprachen es ihm bei
allen Göttern und hießen mich die Segel richten. Uns
zur rechten Seite lag Naxos. Wie ich nun die Segel
rechtshin ſpanne, winken und murmeln ſie mir alle zu:
„Unſinniger, was machſt du? Was für ein Wahnwitz
plagt dich? Fahr links!“ Ich erſtaunte darüber, und be¬
griff ſie nicht. „Nehme ſich ein anderer des Schiffes
an!“ ſprach ich, und trat auf die Seite. „Als ob das
Heil unſrer Fahrt allein auf dir beruhte!“ ſchrie mich ein
roher Geſelle an, und verrichtete das Geſchäft anſtatt
meiner. So ließen ſie Naxos liegen, und ſteuerten in
der entgegengeſetzten Richtung. Hohnlächelnd, als ob er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/78>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.