Meere hierher gefahren seyd, und euren alten Göttern eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergessen, aus wel¬ chem Heldengeschlecht ihr gezeugt seyd? Wollt ihr es dul¬ den, daß ein wehrloses Knäblein Theben erobere, ein Weichling mit balsamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz aus Weinlaub sitzt, in Purpur und Gold anstatt in Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur Besinnung kommet, so will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬ stehen, daß er ein Mensch ist, wie ich, sein Vetter, daß nicht Jupiter sein Vater und alle diese prächtige Gottes¬ verehrung erlogen ist! Dann wandte er sich zu seinen Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieser neuen Raserey, wo sie ihn anträfen, zu fassen und in Fesseln herzuschleppen.
Seine Freunde und Verwandte, die um den König waren, erschracken über diesen frechen Befehl, sein Ahn¬ herr Kadmus, der in hohem Greisenalter noch lebte, schüt¬ telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels; aber durch Ermahnungen wurde seine Wuth nur gestachelt, sie schäumte über alle Hindernisse hin, wie ein rasender Fluß über das Wehr.
Unterdessen kamen die Diener mit blutigen Köpfen zurück. "Wo habt ihr den Bacchus?" rief ihnen Pentheus zornig entgegen. "Den Bacchus," antworteten sie, "haben wir nirgends gesehen. Dafür bringen wir hier einen Mann aus seinem Gefolge. Er scheint noch nicht lange bei ihm zu seyn." Pentheus starrte den Gefangenen mit grimmigen Augen an, und schrie dann: "Mann des To¬ des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem warnenden Beispiele, sterben! Sag an, wie heißt dein
Meere hierher gefahren ſeyd, und euren alten Göttern eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergeſſen, aus wel¬ chem Heldengeſchlecht ihr gezeugt ſeyd? Wollt ihr es dul¬ den, daß ein wehrloſes Knäblein Theben erobere, ein Weichling mit balſamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz aus Weinlaub ſitzt, in Purpur und Gold anſtatt in Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur Beſinnung kommet, ſo will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬ ſtehen, daß er ein Menſch iſt, wie ich, ſein Vetter, daß nicht Jupiter ſein Vater und alle dieſe prächtige Gottes¬ verehrung erlogen iſt! Dann wandte er ſich zu ſeinen Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieſer neuen Raſerey, wo ſie ihn anträfen, zu faſſen und in Feſſeln herzuſchleppen.
Seine Freunde und Verwandte, die um den König waren, erſchracken über dieſen frechen Befehl, ſein Ahn¬ herr Kadmus, der in hohem Greiſenalter noch lebte, ſchüt¬ telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels; aber durch Ermahnungen wurde ſeine Wuth nur geſtachelt, ſie ſchäumte über alle Hinderniſſe hin, wie ein raſender Fluß über das Wehr.
Unterdeſſen kamen die Diener mit blutigen Köpfen zurück. „Wo habt ihr den Bacchus?“ rief ihnen Pentheus zornig entgegen. „Den Bacchus,“ antworteten ſie, „haben wir nirgends geſehen. Dafür bringen wir hier einen Mann aus ſeinem Gefolge. Er ſcheint noch nicht lange bei ihm zu ſeyn.“ Pentheus ſtarrte den Gefangenen mit grimmigen Augen an, und ſchrie dann: „Mann des To¬ des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem warnenden Beiſpiele, ſterben! Sag an, wie heißt dein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0076"n="50"/>
Meere hierher gefahren ſeyd, und euren alten Göttern<lb/>
eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergeſſen, aus wel¬<lb/>
chem Heldengeſchlecht ihr gezeugt ſeyd? Wollt ihr es dul¬<lb/>
den, daß ein wehrloſes Knäblein Theben erobere, ein<lb/>
Weichling mit balſamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz<lb/>
aus Weinlaub ſitzt, in Purpur und Gold anſtatt in<lb/>
Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine<lb/>
Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur<lb/>
Beſinnung kommet, ſo will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬<lb/>ſtehen, daß er ein Menſch iſt, wie ich, ſein Vetter, daß<lb/>
nicht Jupiter ſein Vater und alle dieſe prächtige Gottes¬<lb/>
verehrung erlogen iſt! Dann wandte er ſich zu ſeinen<lb/>
Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieſer neuen<lb/>
Raſerey, wo ſie ihn anträfen, zu faſſen und in Feſſeln<lb/>
herzuſchleppen.</p><lb/><p>Seine Freunde und Verwandte, die um den König<lb/>
waren, erſchracken über dieſen frechen Befehl, ſein Ahn¬<lb/>
herr Kadmus, der in hohem Greiſenalter noch lebte, ſchüt¬<lb/>
telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels;<lb/>
aber durch Ermahnungen wurde ſeine Wuth nur geſtachelt,<lb/>ſie ſchäumte über alle Hinderniſſe hin, wie ein raſender<lb/>
Fluß über das Wehr.</p><lb/><p>Unterdeſſen kamen die Diener mit blutigen Köpfen<lb/>
zurück. „Wo habt ihr den Bacchus?“ rief ihnen Pentheus<lb/>
zornig entgegen. „Den Bacchus,“ antworteten ſie, „haben<lb/>
wir nirgends geſehen. Dafür bringen wir hier einen<lb/>
Mann aus ſeinem Gefolge. Er ſcheint noch nicht lange<lb/>
bei ihm zu ſeyn.“ Pentheus ſtarrte den Gefangenen mit<lb/>
grimmigen Augen an, und ſchrie dann: „Mann des To¬<lb/>
des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem<lb/>
warnenden Beiſpiele, ſterben! Sag an, wie heißt dein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[50/0076]
Meere hierher gefahren ſeyd, und euren alten Göttern
eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergeſſen, aus wel¬
chem Heldengeſchlecht ihr gezeugt ſeyd? Wollt ihr es dul¬
den, daß ein wehrloſes Knäblein Theben erobere, ein
Weichling mit balſamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz
aus Weinlaub ſitzt, in Purpur und Gold anſtatt in
Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine
Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur
Beſinnung kommet, ſo will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬
ſtehen, daß er ein Menſch iſt, wie ich, ſein Vetter, daß
nicht Jupiter ſein Vater und alle dieſe prächtige Gottes¬
verehrung erlogen iſt! Dann wandte er ſich zu ſeinen
Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieſer neuen
Raſerey, wo ſie ihn anträfen, zu faſſen und in Feſſeln
herzuſchleppen.
Seine Freunde und Verwandte, die um den König
waren, erſchracken über dieſen frechen Befehl, ſein Ahn¬
herr Kadmus, der in hohem Greiſenalter noch lebte, ſchüt¬
telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels;
aber durch Ermahnungen wurde ſeine Wuth nur geſtachelt,
ſie ſchäumte über alle Hinderniſſe hin, wie ein raſender
Fluß über das Wehr.
Unterdeſſen kamen die Diener mit blutigen Köpfen
zurück. „Wo habt ihr den Bacchus?“ rief ihnen Pentheus
zornig entgegen. „Den Bacchus,“ antworteten ſie, „haben
wir nirgends geſehen. Dafür bringen wir hier einen
Mann aus ſeinem Gefolge. Er ſcheint noch nicht lange
bei ihm zu ſeyn.“ Pentheus ſtarrte den Gefangenen mit
grimmigen Augen an, und ſchrie dann: „Mann des To¬
des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem
warnenden Beiſpiele, ſterben! Sag an, wie heißt dein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/76>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.