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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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rück, die Seher opferten, und bald ertönte der Schlacht¬
ruf. "Mitbürger," rief Demophoon den Seinigen zu, "be¬
denkt, daß ihr für Haus und Heerd, für die Stadt, die
euch geboren und ernähret hat, kämpft!" Auf der
andern Seite beschwor Eurystheus die Seinigen, Argos
und Mycene keinen Schimpf anzuthun, und dem Rufe
dieses mächtigen Staates Ehre zu machen. Jetzt ertön¬
ten die Tyrrhenischen Trompeten, Schild klang an Schild,
Geräusch der Wagen, Stoß der Speere, Klirren der Schwer¬
ter erscholl, und dazwischen der Wehruf der Gefallenen.
Einen Augenblick wichen die Verbündeten der Herakliden
vor dem Stoße der Argivischen Lanzen, die ihre Reihen
zu durchbrechen drohten, doch bald wehrten sie die Feinde
ab, und rückten selbst vor; nun entstand erst das rechte
Handgemenge, das den Kampf lange unentschieden ließ.
Endlich wankte die Schlachtordnung der Argiver, ihre
Schwerbewaffneten und ihre Streitwagen wandten sich
zur Flucht. Da kam auch den alten Jolaus die Luft an,
seine Greisenjahre noch durch eine That zu verherrlichen,
und als eben Hyllus auf seinem Streitwagen an ihm
vorbeirollte, um dem fliehenden Feindesheer in den Na¬
cken zu kommen, streckte er seine Rechte zu ihm empor,
und bat ihn, daß Hyllus ihn an seiner Statt seinen Wa¬
gen möge besteigen lassen. Hyllus wich ehrerbietig dem
Freunde seines Vaters und dem Beschützer seiner Brüder,
er stieg vom Wagen und an seiner Statt schwang sich der alte
Jolaus in den Sitz. Es wurde ihm nicht leicht, mit sei¬
nen greisen Händen das Viergespann zu bewältigen, doch
trieb er es vorwärts, und war an das Heiligthum der
Pallenischen Minerva gekommen, als er den fliehenden
Wagen des Eurystheus in der Ferne dahin stäuben sah.

rück, die Seher opferten, und bald ertönte der Schlacht¬
ruf. „Mitbürger,“ rief Demophoon den Seinigen zu, „be¬
denkt, daß ihr für Haus und Heerd, für die Stadt, die
euch geboren und ernähret hat, kämpft!“ Auf der
andern Seite beſchwor Euryſtheus die Seinigen, Argos
und Mycene keinen Schimpf anzuthun, und dem Rufe
dieſes mächtigen Staates Ehre zu machen. Jetzt ertön¬
ten die Tyrrheniſchen Trompeten, Schild klang an Schild,
Geräuſch der Wagen, Stoß der Speere, Klirren der Schwer¬
ter erſcholl, und dazwiſchen der Wehruf der Gefallenen.
Einen Augenblick wichen die Verbündeten der Herakliden
vor dem Stoße der Argiviſchen Lanzen, die ihre Reihen
zu durchbrechen drohten, doch bald wehrten ſie die Feinde
ab, und rückten ſelbſt vor; nun entſtand erſt das rechte
Handgemenge, das den Kampf lange unentſchieden ließ.
Endlich wankte die Schlachtordnung der Argiver, ihre
Schwerbewaffneten und ihre Streitwagen wandten ſich
zur Flucht. Da kam auch den alten Jolaus die Luft an,
ſeine Greiſenjahre noch durch eine That zu verherrlichen,
und als eben Hyllus auf ſeinem Streitwagen an ihm
vorbeirollte, um dem fliehenden Feindesheer in den Na¬
cken zu kommen, ſtreckte er ſeine Rechte zu ihm empor,
und bat ihn, daß Hyllus ihn an ſeiner Statt ſeinen Wa¬
gen möge beſteigen laſſen. Hyllus wich ehrerbietig dem
Freunde ſeines Vaters und dem Beſchützer ſeiner Brüder,
er ſtieg vom Wagen und an ſeiner Statt ſchwang ſich der alte
Jolaus in den Sitz. Es wurde ihm nicht leicht, mit ſei¬
nen greiſen Händen das Viergeſpann zu bewältigen, doch
trieb er es vorwärts, und war an das Heiligthum der
Palleniſchen Minerva gekommen, als er den fliehenden
Wagen des Euryſtheus in der Ferne dahin ſtäuben ſah.

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[397/0423] rück, die Seher opferten, und bald ertönte der Schlacht¬ ruf. „Mitbürger,“ rief Demophoon den Seinigen zu, „be¬ denkt, daß ihr für Haus und Heerd, für die Stadt, die euch geboren und ernähret hat, kämpft!“ Auf der andern Seite beſchwor Euryſtheus die Seinigen, Argos und Mycene keinen Schimpf anzuthun, und dem Rufe dieſes mächtigen Staates Ehre zu machen. Jetzt ertön¬ ten die Tyrrheniſchen Trompeten, Schild klang an Schild, Geräuſch der Wagen, Stoß der Speere, Klirren der Schwer¬ ter erſcholl, und dazwiſchen der Wehruf der Gefallenen. Einen Augenblick wichen die Verbündeten der Herakliden vor dem Stoße der Argiviſchen Lanzen, die ihre Reihen zu durchbrechen drohten, doch bald wehrten ſie die Feinde ab, und rückten ſelbſt vor; nun entſtand erſt das rechte Handgemenge, das den Kampf lange unentſchieden ließ. Endlich wankte die Schlachtordnung der Argiver, ihre Schwerbewaffneten und ihre Streitwagen wandten ſich zur Flucht. Da kam auch den alten Jolaus die Luft an, ſeine Greiſenjahre noch durch eine That zu verherrlichen, und als eben Hyllus auf ſeinem Streitwagen an ihm vorbeirollte, um dem fliehenden Feindesheer in den Na¬ cken zu kommen, ſtreckte er ſeine Rechte zu ihm empor, und bat ihn, daß Hyllus ihn an ſeiner Statt ſeinen Wa¬ gen möge beſteigen laſſen. Hyllus wich ehrerbietig dem Freunde ſeines Vaters und dem Beſchützer ſeiner Brüder, er ſtieg vom Wagen und an ſeiner Statt ſchwang ſich der alte Jolaus in den Sitz. Es wurde ihm nicht leicht, mit ſei¬ nen greiſen Händen das Viergeſpann zu bewältigen, doch trieb er es vorwärts, und war an das Heiligthum der Palleniſchen Minerva gekommen, als er den fliehenden Wagen des Euryſtheus in der Ferne dahin ſtäuben ſah.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/423>, abgerufen am 25.11.2024.