der Oberwelt angehört, nicht heraufläßest zu ihr! Schnell entführe mich, Knabe! Lassen wir diesen Mann mit sei¬ nem Unglück allein!" So ging er an der Hand seines Führers, auf seinen Seherstab gestützt, davon.
Kreons Strafe.
Der König blickte dem zürnenden Wahrsager bebend nach. Er berief die Aeltesten der Stadt zu sich, und befragte sie, was zu thun sey. "Entlaß die Jungfrau aus der Höhle, bestatte den preisgegebenen Leib des Jünglings!" lautete ihr einstimmiger Rath. Schwer kam es den unbeugsamen Herrscher an, nachzugeben. Aber das Herz war ihm entsunken. So willigte er geängstigt darein, den einzigen Ausweg zu ergreifen, der das Ver¬ derben, das der Seher verkündigt hatte, von seinem Hause abwälzen könnte. Er selbst machte sich mit Dienern und Gefolge zuerst nach dem Felde, wo Polynices lag, und dann nach dem Grabgewölbe, in welches Antigone verschlossen worden war, auf, und im Pallaste blieb seine Gemahlin Eurydice allein zurück. Diese vernahm bald auf den Straßen ein Klagegeschrei, und als sie auf den immer lauter werdenden Ruf ihre Gemächer endlich verließ und in den Vorhof ihres Pallastes heraustrat, kam ihr ein Bote entgegen, der ihrem Gemahl als Führer nach dem hohen Blachfelde gedient hatte, wo der Leib seines Neffen erbarmungslos zerrissen, bis hieher nicht begraben lag. "Wir beteten zu den Göttern der Unterwelt," erzählte der Bote, "badeten den Todten im heiligen Bade, und verbrannten dann den Ueberrest seines bejammernswür¬
der Oberwelt angehört, nicht heraufläßeſt zu ihr! Schnell entführe mich, Knabe! Laſſen wir dieſen Mann mit ſei¬ nem Unglück allein!“ So ging er an der Hand ſeines Führers, auf ſeinen Seherſtab geſtützt, davon.
Kreons Strafe.
Der König blickte dem zürnenden Wahrſager bebend nach. Er berief die Aelteſten der Stadt zu ſich, und befragte ſie, was zu thun ſey. „Entlaß die Jungfrau aus der Höhle, beſtatte den preisgegebenen Leib des Jünglings!“ lautete ihr einſtimmiger Rath. Schwer kam es den unbeugſamen Herrſcher an, nachzugeben. Aber das Herz war ihm entſunken. So willigte er geängſtigt darein, den einzigen Ausweg zu ergreifen, der das Ver¬ derben, das der Seher verkündigt hatte, von ſeinem Hauſe abwälzen könnte. Er ſelbſt machte ſich mit Dienern und Gefolge zuerſt nach dem Felde, wo Polynices lag, und dann nach dem Grabgewölbe, in welches Antigone verſchloſſen worden war, auf, und im Pallaſte blieb ſeine Gemahlin Eurydice allein zurück. Dieſe vernahm bald auf den Straßen ein Klagegeſchrei, und als ſie auf den immer lauter werdenden Ruf ihre Gemächer endlich verließ und in den Vorhof ihres Pallaſtes heraustrat, kam ihr ein Bote entgegen, der ihrem Gemahl als Führer nach dem hohen Blachfelde gedient hatte, wo der Leib ſeines Neffen erbarmungslos zerriſſen, bis hieher nicht begraben lag. „Wir beteten zu den Göttern der Unterwelt,“ erzählte der Bote, „badeten den Todten im heiligen Bade, und verbrannten dann den Ueberreſt ſeines bejammernswür¬
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[375/0401]
der Oberwelt angehört, nicht heraufläßeſt zu ihr! Schnell
entführe mich, Knabe! Laſſen wir dieſen Mann mit ſei¬
nem Unglück allein!“ So ging er an der Hand ſeines
Führers, auf ſeinen Seherſtab geſtützt, davon.
Kreons Strafe.
Der König blickte dem zürnenden Wahrſager bebend
nach. Er berief die Aelteſten der Stadt zu ſich, und
befragte ſie, was zu thun ſey. „Entlaß die Jungfrau
aus der Höhle, beſtatte den preisgegebenen Leib des
Jünglings!“ lautete ihr einſtimmiger Rath. Schwer kam
es den unbeugſamen Herrſcher an, nachzugeben. Aber
das Herz war ihm entſunken. So willigte er geängſtigt
darein, den einzigen Ausweg zu ergreifen, der das Ver¬
derben, das der Seher verkündigt hatte, von ſeinem Hauſe
abwälzen könnte. Er ſelbſt machte ſich mit Dienern und
Gefolge zuerſt nach dem Felde, wo Polynices lag, und dann
nach dem Grabgewölbe, in welches Antigone verſchloſſen
worden war, auf, und im Pallaſte blieb ſeine Gemahlin
Eurydice allein zurück. Dieſe vernahm bald auf den
Straßen ein Klagegeſchrei, und als ſie auf den immer
lauter werdenden Ruf ihre Gemächer endlich verließ und
in den Vorhof ihres Pallaſtes heraustrat, kam ihr ein
Bote entgegen, der ihrem Gemahl als Führer nach dem
hohen Blachfelde gedient hatte, wo der Leib ſeines Neffen
erbarmungslos zerriſſen, bis hieher nicht begraben lag.
„Wir beteten zu den Göttern der Unterwelt,“ erzählte
der Bote, „badeten den Todten im heiligen Bade, und
verbrannten dann den Ueberreſt ſeines bejammernswür¬
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/401>, abgerufen am 23.11.2024.
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