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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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digen Leichnams. Nachdem wir ihm aus vaterländischer
Erde einen Grabhügel aufgethürmt, gingen wir nach dem
steinernen Gewölbe, in das die Jungfrau hinabgestiegen
war, ihr Leben dort im elenden Hungertode zu enden.
Hier vernahm ein vorangeeilter Diener schon aus der
Ferne helltönende Jammerlaute vom Thore des grauen¬
vollen Gemaches her. Er eilte zu unserem Herrn zurück,
ihm Solches kund zu thun. Aber auch zu seinem Ohre
war jener betrübte Klagelaut schon gedrungen, und er
hatte darin die Stimme des Sohnes erkannt. Wir Die¬
ner eilten auf sein Geheiß heran, und blickten durch den
Felsenspalt. Wehe uns, was mußten wir hier schauen?
Tief im Hintergrunde der Höhle sahen wir die Jungfrau
Antigone in den Schlingen ihres Schleiers aufgeknüpft
und schon entseelt. Vor ihr lag, ihren Leib umschlingend,
dein Sohn Hämon, in heulender Wehklage die entrissene
Braut bejammernd und des Vaters Unthat verfluchend.
Inzwischen war dieser vor der Kluft angekommen und
wandelte tiefaufseufzend durch die offene Thüre hinein.
"Unseliger Knabe," rief er, "auf was sinnest du? Was
droht uns dein verirrter Blick? Komm heraus zu deinem
Vater! Flehend, auf den Knieen liegend, beschwöre ich
dich!" Doch der Sohn starrte ihn in Verzweiflung an,
und riß ohne Antwort sein zweischneidiges Schwert aus
der Scheide, der Vater stürzte zu dem Gewölbe hinaus,
und entwich dem Stoße. Hierauf bückte der unglückselige
Hämon sich selbst über sein Schwert und trieb den Stahl
tief durch seine Seite. Er sank, aber noch sinkend schlang
er seinen Arm fest um die Leiche der Braut, und liegt
jetzt todt, wie er die Todte gefaßt hatte, in der Grabes¬
höhle." Eurydice hörte diese Botschaft schweigend an

digen Leichnams. Nachdem wir ihm aus vaterländiſcher
Erde einen Grabhügel aufgethürmt, gingen wir nach dem
ſteinernen Gewölbe, in das die Jungfrau hinabgeſtiegen
war, ihr Leben dort im elenden Hungertode zu enden.
Hier vernahm ein vorangeeilter Diener ſchon aus der
Ferne helltönende Jammerlaute vom Thore des grauen¬
vollen Gemaches her. Er eilte zu unſerem Herrn zurück,
ihm Solches kund zu thun. Aber auch zu ſeinem Ohre
war jener betrübte Klagelaut ſchon gedrungen, und er
hatte darin die Stimme des Sohnes erkannt. Wir Die¬
ner eilten auf ſein Geheiß heran, und blickten durch den
Felſenſpalt. Wehe uns, was mußten wir hier ſchauen?
Tief im Hintergrunde der Höhle ſahen wir die Jungfrau
Antigone in den Schlingen ihres Schleiers aufgeknüpft
und ſchon entſeelt. Vor ihr lag, ihren Leib umſchlingend,
dein Sohn Hämon, in heulender Wehklage die entriſſene
Braut bejammernd und des Vaters Unthat verfluchend.
Inzwiſchen war dieſer vor der Kluft angekommen und
wandelte tiefaufſeufzend durch die offene Thüre hinein.
„Unſeliger Knabe,“ rief er, „auf was ſinneſt du? Was
droht uns dein verirrter Blick? Komm heraus zu deinem
Vater! Flehend, auf den Knieen liegend, beſchwöre ich
dich!“ Doch der Sohn ſtarrte ihn in Verzweiflung an,
und riß ohne Antwort ſein zweiſchneidiges Schwert aus
der Scheide, der Vater ſtürzte zu dem Gewölbe hinaus,
und entwich dem Stoße. Hierauf bückte der unglückſelige
Hämon ſich ſelbſt über ſein Schwert und trieb den Stahl
tief durch ſeine Seite. Er ſank, aber noch ſinkend ſchlang
er ſeinen Arm feſt um die Leiche der Braut, und liegt
jetzt todt, wie er die Todte gefaßt hatte, in der Grabes¬
höhle.“ Eurydice hörte dieſe Botſchaft ſchweigend an

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[376/0402] digen Leichnams. Nachdem wir ihm aus vaterländiſcher Erde einen Grabhügel aufgethürmt, gingen wir nach dem ſteinernen Gewölbe, in das die Jungfrau hinabgeſtiegen war, ihr Leben dort im elenden Hungertode zu enden. Hier vernahm ein vorangeeilter Diener ſchon aus der Ferne helltönende Jammerlaute vom Thore des grauen¬ vollen Gemaches her. Er eilte zu unſerem Herrn zurück, ihm Solches kund zu thun. Aber auch zu ſeinem Ohre war jener betrübte Klagelaut ſchon gedrungen, und er hatte darin die Stimme des Sohnes erkannt. Wir Die¬ ner eilten auf ſein Geheiß heran, und blickten durch den Felſenſpalt. Wehe uns, was mußten wir hier ſchauen? Tief im Hintergrunde der Höhle ſahen wir die Jungfrau Antigone in den Schlingen ihres Schleiers aufgeknüpft und ſchon entſeelt. Vor ihr lag, ihren Leib umſchlingend, dein Sohn Hämon, in heulender Wehklage die entriſſene Braut bejammernd und des Vaters Unthat verfluchend. Inzwiſchen war dieſer vor der Kluft angekommen und wandelte tiefaufſeufzend durch die offene Thüre hinein. „Unſeliger Knabe,“ rief er, „auf was ſinneſt du? Was droht uns dein verirrter Blick? Komm heraus zu deinem Vater! Flehend, auf den Knieen liegend, beſchwöre ich dich!“ Doch der Sohn ſtarrte ihn in Verzweiflung an, und riß ohne Antwort ſein zweiſchneidiges Schwert aus der Scheide, der Vater ſtürzte zu dem Gewölbe hinaus, und entwich dem Stoße. Hierauf bückte der unglückſelige Hämon ſich ſelbſt über ſein Schwert und trieb den Stahl tief durch ſeine Seite. Er ſank, aber noch ſinkend ſchlang er ſeinen Arm feſt um die Leiche der Braut, und liegt jetzt todt, wie er die Todte gefaßt hatte, in der Grabes¬ höhle.“ Eurydice hörte dieſe Botſchaft ſchweigend an

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/402>, abgerufen am 25.11.2024.