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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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ben; eine Schaar von Fiebern hielt die Erde belagert,
und der Tod, früher nur langsam die Sterblichen be¬
schleichend, beflügelte seinen Schritt.

Darauf wandte sich Jupiter mit seiner Rache gegen
Prometheus. Er übergab den Verbrecher dem Vulkanus,
und seinen Dienern, dem Kratos und der Bia (dem Zwang
und der Gewalt). Diese mußten ihn in die scythischen
Einöden schleppen und hier, über einem schauderhaften
Abgrund, an eine Felswand des Berges Caucasus mit
unauflöslichen Ketten schmieden. Ungerne vollzog Vul¬
kanus den Auftrag seines Vaters, er liebte in dem Tita¬
nensohne den verwandten Abkömmling seines Urgroßva¬
ters Uranos, den ebenbürtigen Göttersprößling. Unter
mitleidsvollen Worten, und von den roheren Knechten
gescholten, ließ er diese das grausame Werk vollbringen.
So mußte nun Prometheus an der freudlosen Klippe
hängen, aufrecht, schlaflos, niemals im Stande, das müde
Knie zu beugen. "Viele vergebliche Klagen und Seufzer
wirst du versenden," sagte Vulkanus zu ihm, "denn Jupiters
Sinn ist unerbittlich und alle die erst seit kurzem die
Herrschergewalt an sich gerissen*), sind hartherzig." Wirk¬
lich sollte auch die Qual des Gefangenen ewig oder doch
dreißigtausend Jahre dauern. Obwohl laut aufseufzend,
und Winde, Ströme, Quellen und Meereswellen, die All¬
mutter Erde und den allschauenden Sonnenkreis zu Zeu¬
gen seiner Pein aufrufend, blieb er doch ungebeugten

*) Jupiter hatte den Kronos (Saturn) seinen Vater, und mit ihm
die alte Götterdynastie, gestürzt und sich des Olymps mit Ge¬
walt bemächtigt. Japetos und Kronos waren Brüder, Pro¬
metheus und Jupiter Geschwisterkinder.

ben; eine Schaar von Fiebern hielt die Erde belagert,
und der Tod, früher nur langſam die Sterblichen be¬
ſchleichend, beflügelte ſeinen Schritt.

Darauf wandte ſich Jupiter mit ſeiner Rache gegen
Prometheus. Er übergab den Verbrecher dem Vulkanus,
und ſeinen Dienern, dem Kratos und der Bia (dem Zwang
und der Gewalt). Dieſe mußten ihn in die ſcythiſchen
Einöden ſchleppen und hier, über einem ſchauderhaften
Abgrund, an eine Felswand des Berges Caucaſus mit
unauflöslichen Ketten ſchmieden. Ungerne vollzog Vul¬
kanus den Auftrag ſeines Vaters, er liebte in dem Tita¬
nenſohne den verwandten Abkömmling ſeines Urgroßva¬
ters Uranos, den ebenbürtigen Götterſprößling. Unter
mitleidsvollen Worten, und von den roheren Knechten
geſcholten, ließ er dieſe das grauſame Werk vollbringen.
So mußte nun Prometheus an der freudloſen Klippe
hängen, aufrecht, ſchlaflos, niemals im Stande, das müde
Knie zu beugen. „Viele vergebliche Klagen und Seufzer
wirſt du verſenden,“ ſagte Vulkanus zu ihm, „denn Jupiters
Sinn iſt unerbittlich und alle die erſt ſeit kurzem die
Herrſchergewalt an ſich geriſſen*), ſind hartherzig.“ Wirk¬
lich ſollte auch die Qual des Gefangenen ewig oder doch
dreißigtauſend Jahre dauern. Obwohl laut aufſeufzend,
und Winde, Ströme, Quellen und Meereswellen, die All¬
mutter Erde und den allſchauenden Sonnenkreis zu Zeu¬
gen ſeiner Pein aufrufend, blieb er doch ungebeugten

*) Jupiter hatte den Kronos (Saturn) ſeinen Vater, und mit ihm
die alte Goͤtterdynaſtie, geſtuͤrzt und ſich des Olymps mit Ge¬
walt bemaͤchtigt. Japetos und Kronos waren Bruͤder, Pro¬
metheus und Jupiter Geſchwiſterkinder.
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[8/0034] ben; eine Schaar von Fiebern hielt die Erde belagert, und der Tod, früher nur langſam die Sterblichen be¬ ſchleichend, beflügelte ſeinen Schritt. Darauf wandte ſich Jupiter mit ſeiner Rache gegen Prometheus. Er übergab den Verbrecher dem Vulkanus, und ſeinen Dienern, dem Kratos und der Bia (dem Zwang und der Gewalt). Dieſe mußten ihn in die ſcythiſchen Einöden ſchleppen und hier, über einem ſchauderhaften Abgrund, an eine Felswand des Berges Caucaſus mit unauflöslichen Ketten ſchmieden. Ungerne vollzog Vul¬ kanus den Auftrag ſeines Vaters, er liebte in dem Tita¬ nenſohne den verwandten Abkömmling ſeines Urgroßva¬ ters Uranos, den ebenbürtigen Götterſprößling. Unter mitleidsvollen Worten, und von den roheren Knechten geſcholten, ließ er dieſe das grauſame Werk vollbringen. So mußte nun Prometheus an der freudloſen Klippe hängen, aufrecht, ſchlaflos, niemals im Stande, das müde Knie zu beugen. „Viele vergebliche Klagen und Seufzer wirſt du verſenden,“ ſagte Vulkanus zu ihm, „denn Jupiters Sinn iſt unerbittlich und alle die erſt ſeit kurzem die Herrſchergewalt an ſich geriſſen *), ſind hartherzig.“ Wirk¬ lich ſollte auch die Qual des Gefangenen ewig oder doch dreißigtauſend Jahre dauern. Obwohl laut aufſeufzend, und Winde, Ströme, Quellen und Meereswellen, die All¬ mutter Erde und den allſchauenden Sonnenkreis zu Zeu¬ gen ſeiner Pein aufrufend, blieb er doch ungebeugten *) Jupiter hatte den Kronos (Saturn) ſeinen Vater, und mit ihm die alte Goͤtterdynaſtie, geſtuͤrzt und ſich des Olymps mit Ge¬ walt bemaͤchtigt. Japetos und Kronos waren Bruͤder, Pro¬ metheus und Jupiter Geſchwiſterkinder.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/34>, abgerufen am 28.03.2024.