Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

ins Herz geheftet, langsam rechts am Buge des Rosses
heruntersank. Sein Bruder Sipylus, der ihm zunächst
sich tummelte, hatte das Gerassel des Köchers in den Lüf¬
ten gehört, und floh mit verhängtem Zügel, wie ein
Steuermann vor dem Wetter jedes Lüftchen in den Se¬
geln auffängt, um in den Hafen einzulaufen. Dennoch
holte ihn ein durch die Lüfte schwirrender Wurfspieß ein,
zitternd haftete ihm der Schaft hoch im Genick und das
nackte Eisen ragte zum Halse heraus. Ueber die Mähne
des Pferdes am gestreckten Halse herab gleitete der tödtlich
Getroffene zu Boden und besprengte die Erde mit seinem
rauchenden Blut. Zwei andere, der eine hieß wie sein
Großvater, Tantalus, der andere Phädimus, lagen mit¬
einander ringend, in fester Umschlingung Brust an Brust
verschränkt. Da tönte der Bogen aufs Neue und, wie
sie vereiniget waren, durchbohrte sie beide ein Pfeil.
Beide seufzten zugleich auf, krümmten die schmerzdurch¬
zückten Glieder auf dem Boden, verdrehten die erlö¬
schenden Augen und hauchten mit Einem Athem die
Seele im Staub aus. Ein fünfter Sohn, Alphenor,
sah diese fallen: die Brust sich schlagend flog er herbei
und wollte die erkalteten Glieder der Brüder durch seine
Umarmungen wieder beleben, aber unter diesem frommen
Geschäfte sank auch er dahin, denn Phöbus Apollo sandte
ihm das tödtliche Eisen tief in die Herzkammer hinein,
und als er es wieder herauszog, drängte sich mit dem
Athem das Blut und das Eingeweide des Sterbenden
hervor. Damasichthon, den sechsten, einen zarten Jüng¬
ling mit langen Locken, traf ein Pfeil in das Kniege¬
lenke; und während er sich rückwärts bog, das unerwar¬
tete Geschoß mit der Hand herauszuziehen, drang ihm ein

ins Herz geheftet, langſam rechts am Buge des Roſſes
herunterſank. Sein Bruder Sipylus, der ihm zunächſt
ſich tummelte, hatte das Geraſſel des Köchers in den Lüf¬
ten gehört, und floh mit verhängtem Zügel, wie ein
Steuermann vor dem Wetter jedes Lüftchen in den Se¬
geln auffängt, um in den Hafen einzulaufen. Dennoch
holte ihn ein durch die Lüfte ſchwirrender Wurfſpieß ein,
zitternd haftete ihm der Schaft hoch im Genick und das
nackte Eiſen ragte zum Halſe heraus. Ueber die Mähne
des Pferdes am geſtreckten Halſe herab gleitete der tödtlich
Getroffene zu Boden und beſprengte die Erde mit ſeinem
rauchenden Blut. Zwei andere, der eine hieß wie ſein
Großvater, Tantalus, der andere Phädimus, lagen mit¬
einander ringend, in feſter Umſchlingung Bruſt an Bruſt
verſchränkt. Da tönte der Bogen aufs Neue und, wie
ſie vereiniget waren, durchbohrte ſie beide ein Pfeil.
Beide ſeufzten zugleich auf, krümmten die ſchmerzdurch¬
zückten Glieder auf dem Boden, verdrehten die erlö¬
ſchenden Augen und hauchten mit Einem Athem die
Seele im Staub aus. Ein fünfter Sohn, Alphenor,
ſah dieſe fallen: die Bruſt ſich ſchlagend flog er herbei
und wollte die erkalteten Glieder der Brüder durch ſeine
Umarmungen wieder beleben, aber unter dieſem frommen
Geſchäfte ſank auch er dahin, denn Phöbus Apollo ſandte
ihm das tödtliche Eiſen tief in die Herzkammer hinein,
und als er es wieder herauszog, drängte ſich mit dem
Athem das Blut und das Eingeweide des Sterbenden
hervor. Damaſichthon, den ſechsten, einen zarten Jüng¬
ling mit langen Locken, traf ein Pfeil in das Kniege¬
lenke; und während er ſich rückwärts bog, das unerwar¬
tete Geſchoß mit der Hand herauszuziehen, drang ihm ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="194"/>
ins Herz geheftet, lang&#x017F;am rechts am Buge des Ro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
herunter&#x017F;ank. Sein Bruder Sipylus, der ihm zunäch&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ich tummelte, hatte das Gera&#x017F;&#x017F;el des Köchers in den Lüf¬<lb/>
ten gehört, und floh mit verhängtem Zügel, wie ein<lb/>
Steuermann vor dem Wetter jedes Lüftchen in den Se¬<lb/>
geln auffängt, um in den Hafen einzulaufen. Dennoch<lb/>
holte ihn ein durch die Lüfte &#x017F;chwirrender Wurf&#x017F;pieß ein,<lb/>
zitternd haftete ihm der Schaft hoch im Genick und das<lb/>
nackte Ei&#x017F;en ragte zum Hal&#x017F;e heraus. Ueber die Mähne<lb/>
des Pferdes am ge&#x017F;treckten Hal&#x017F;e herab gleitete der tödtlich<lb/>
Getroffene zu Boden und be&#x017F;prengte die Erde mit &#x017F;einem<lb/>
rauchenden Blut. Zwei andere, der eine hieß wie &#x017F;ein<lb/>
Großvater, Tantalus, der andere Phädimus, lagen mit¬<lb/>
einander ringend, in fe&#x017F;ter Um&#x017F;chlingung Bru&#x017F;t an Bru&#x017F;t<lb/>
ver&#x017F;chränkt. Da tönte der Bogen aufs Neue und, wie<lb/>
&#x017F;ie vereiniget waren, durchbohrte &#x017F;ie beide ein Pfeil.<lb/>
Beide &#x017F;eufzten zugleich auf, krümmten die &#x017F;chmerzdurch¬<lb/>
zückten Glieder auf dem Boden, verdrehten die erlö¬<lb/>
&#x017F;chenden Augen und hauchten mit Einem Athem die<lb/>
Seele im Staub aus. Ein fünfter Sohn, Alphenor,<lb/>
&#x017F;ah die&#x017F;e fallen: die Bru&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;chlagend flog er herbei<lb/>
und wollte die erkalteten Glieder der Brüder durch &#x017F;eine<lb/>
Umarmungen wieder beleben, aber unter die&#x017F;em frommen<lb/>
Ge&#x017F;chäfte &#x017F;ank auch er dahin, denn Phöbus Apollo &#x017F;andte<lb/>
ihm das tödtliche Ei&#x017F;en tief in die Herzkammer hinein,<lb/>
und als er es wieder herauszog, drängte &#x017F;ich mit dem<lb/>
Athem das Blut und das Eingeweide des Sterbenden<lb/>
hervor. Dama&#x017F;ichthon, den &#x017F;echsten, einen zarten Jüng¬<lb/>
ling mit langen Locken, traf ein Pfeil in das Kniege¬<lb/>
lenke; und während er &#x017F;ich rückwärts bog, das unerwar¬<lb/>
tete Ge&#x017F;choß mit der Hand herauszuziehen, drang ihm ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0220] ins Herz geheftet, langſam rechts am Buge des Roſſes herunterſank. Sein Bruder Sipylus, der ihm zunächſt ſich tummelte, hatte das Geraſſel des Köchers in den Lüf¬ ten gehört, und floh mit verhängtem Zügel, wie ein Steuermann vor dem Wetter jedes Lüftchen in den Se¬ geln auffängt, um in den Hafen einzulaufen. Dennoch holte ihn ein durch die Lüfte ſchwirrender Wurfſpieß ein, zitternd haftete ihm der Schaft hoch im Genick und das nackte Eiſen ragte zum Halſe heraus. Ueber die Mähne des Pferdes am geſtreckten Halſe herab gleitete der tödtlich Getroffene zu Boden und beſprengte die Erde mit ſeinem rauchenden Blut. Zwei andere, der eine hieß wie ſein Großvater, Tantalus, der andere Phädimus, lagen mit¬ einander ringend, in feſter Umſchlingung Bruſt an Bruſt verſchränkt. Da tönte der Bogen aufs Neue und, wie ſie vereiniget waren, durchbohrte ſie beide ein Pfeil. Beide ſeufzten zugleich auf, krümmten die ſchmerzdurch¬ zückten Glieder auf dem Boden, verdrehten die erlö¬ ſchenden Augen und hauchten mit Einem Athem die Seele im Staub aus. Ein fünfter Sohn, Alphenor, ſah dieſe fallen: die Bruſt ſich ſchlagend flog er herbei und wollte die erkalteten Glieder der Brüder durch ſeine Umarmungen wieder beleben, aber unter dieſem frommen Geſchäfte ſank auch er dahin, denn Phöbus Apollo ſandte ihm das tödtliche Eiſen tief in die Herzkammer hinein, und als er es wieder herauszog, drängte ſich mit dem Athem das Blut und das Eingeweide des Sterbenden hervor. Damaſichthon, den ſechsten, einen zarten Jüng¬ ling mit langen Locken, traf ein Pfeil in das Kniege¬ lenke; und während er ſich rückwärts bog, das unerwar¬ tete Geſchoß mit der Hand herauszuziehen, drang ihm ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/220
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/220>, abgerufen am 02.05.2024.