Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

der Braut zu bringen. Aber diese köstlichen Kleider wa¬
ren mit Zauberkraft getränkte giftige Gewande, und als
Medea heuchlerischen Abschied von ihrem Gatten genom¬
men hatte, harrte sie von Stunde zu Stunde der Nach¬
richt vom Empfang ihrer Geschenke, die ein vertrauter
Bote ihr bringen sollte. Dieser kam endlich und rief ihr
entgegen: "Steig in dein Schiff, Medea, fliehe! fliehe!
deine Feindin und ihr Vater sind todt. Als deine Söhne
mit ihrem Vater das Haus der Braut betraten, freuten
wir Diener uns alle, daß die Zwietracht verschwunden
und die Versöhnung vollkommen sey. Die junge Königin
empfing deinen Gatten mit heiterem Blick; als sie aber
die Kinder sah, bedeckte sie ihre Augen, wandte das
Antlitz ab und verabscheute ihre Gegenwart. Doch Jason
besänftigte ihren Zorn, sprach ein gutes Wort für dich
und breitete die Geschenke vor ihr aus. Als sie die herr¬
lichen Gewande sah, wurde ihr Herz von der Pracht ge¬
reizt, es wandte sich und sie versprach ihrem Bräutigam
in Alles zu willigen. Als dein Gemahl mit den Söhnen
sie verlassen hatte, griff sie mit Begierde nach dem
Schmuck, legte den Goldmantel um, setzte den goldenen
Kranz sich ins Haar, und betrachtete sich vergnügt in einem
hellen Spiegel. Dann durchwandelte sie die Gemächer
und freute sich wie ein kindisches Mädchen ihrer Herr¬
lichkeit. Bald aber wechselte das Schauspiel. Mit ver¬
wandelter Farbe, an allen Gliedern zitternd, wankte sie
rückwärts, und bevor sie ihren Sitz erreicht hatte, stürz¬
te sie auf den Boden nieder, erbleichte, begann die Au¬
gensterne zu verdrehen und Schaum trat ihr über den
Mund. Wehklagen ertönte in dem Pallaste, die einen
Diener eilten zu ihrem Vater, die andern zu ihrem künf¬

der Braut zu bringen. Aber dieſe köſtlichen Kleider wa¬
ren mit Zauberkraft getränkte giftige Gewande, und als
Medea heuchleriſchen Abſchied von ihrem Gatten genom¬
men hatte, harrte ſie von Stunde zu Stunde der Nach¬
richt vom Empfang ihrer Geſchenke, die ein vertrauter
Bote ihr bringen ſollte. Dieſer kam endlich und rief ihr
entgegen: „Steig in dein Schiff, Medea, fliehe! fliehe!
deine Feindin und ihr Vater ſind todt. Als deine Söhne
mit ihrem Vater das Haus der Braut betraten, freuten
wir Diener uns alle, daß die Zwietracht verſchwunden
und die Verſöhnung vollkommen ſey. Die junge Königin
empfing deinen Gatten mit heiterem Blick; als ſie aber
die Kinder ſah, bedeckte ſie ihre Augen, wandte das
Antlitz ab und verabſcheute ihre Gegenwart. Doch Jaſon
beſänftigte ihren Zorn, ſprach ein gutes Wort für dich
und breitete die Geſchenke vor ihr aus. Als ſie die herr¬
lichen Gewande ſah, wurde ihr Herz von der Pracht ge¬
reizt, es wandte ſich und ſie verſprach ihrem Bräutigam
in Alles zu willigen. Als dein Gemahl mit den Söhnen
ſie verlaſſen hatte, griff ſie mit Begierde nach dem
Schmuck, legte den Goldmantel um, ſetzte den goldenen
Kranz ſich ins Haar, und betrachtete ſich vergnügt in einem
hellen Spiegel. Dann durchwandelte ſie die Gemächer
und freute ſich wie ein kindiſches Mädchen ihrer Herr¬
lichkeit. Bald aber wechſelte das Schauſpiel. Mit ver¬
wandelter Farbe, an allen Gliedern zitternd, wankte ſie
rückwärts, und bevor ſie ihren Sitz erreicht hatte, ſtürz¬
te ſie auf den Boden nieder, erbleichte, begann die Au¬
genſterne zu verdrehen und Schaum trat ihr über den
Mund. Wehklagen ertönte in dem Pallaſte, die einen
Diener eilten zu ihrem Vater, die andern zu ihrem künf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0200" n="174"/>
der Braut zu bringen. Aber die&#x017F;e kö&#x017F;tlichen Kleider wa¬<lb/>
ren mit Zauberkraft getränkte giftige Gewande, und als<lb/>
Medea heuchleri&#x017F;chen Ab&#x017F;chied von ihrem Gatten genom¬<lb/>
men hatte, harrte &#x017F;ie von Stunde zu Stunde der Nach¬<lb/>
richt vom Empfang ihrer Ge&#x017F;chenke, die ein vertrauter<lb/>
Bote ihr bringen &#x017F;ollte. Die&#x017F;er kam endlich und rief ihr<lb/>
entgegen: &#x201E;Steig in dein Schiff, Medea, fliehe! fliehe!<lb/>
deine Feindin und ihr Vater &#x017F;ind todt. Als deine Söhne<lb/>
mit ihrem Vater das Haus der Braut betraten, freuten<lb/>
wir Diener uns alle, daß die Zwietracht ver&#x017F;chwunden<lb/>
und die Ver&#x017F;öhnung vollkommen &#x017F;ey. Die junge Königin<lb/>
empfing deinen Gatten mit heiterem Blick; als &#x017F;ie aber<lb/>
die Kinder &#x017F;ah, bedeckte &#x017F;ie ihre Augen, wandte das<lb/>
Antlitz ab und verab&#x017F;cheute ihre Gegenwart. Doch Ja&#x017F;on<lb/>
be&#x017F;änftigte ihren Zorn, &#x017F;prach ein gutes Wort für dich<lb/>
und breitete die Ge&#x017F;chenke vor ihr aus. Als &#x017F;ie die herr¬<lb/>
lichen Gewande &#x017F;ah, wurde ihr Herz von der Pracht ge¬<lb/>
reizt, es wandte &#x017F;ich und &#x017F;ie ver&#x017F;prach ihrem Bräutigam<lb/>
in Alles zu willigen. Als dein Gemahl mit den Söhnen<lb/>
&#x017F;ie verla&#x017F;&#x017F;en hatte, griff &#x017F;ie mit Begierde nach dem<lb/>
Schmuck, legte den Goldmantel um, &#x017F;etzte den goldenen<lb/>
Kranz &#x017F;ich ins Haar, und betrachtete &#x017F;ich vergnügt in einem<lb/>
hellen Spiegel. Dann durchwandelte &#x017F;ie die Gemächer<lb/>
und freute &#x017F;ich wie ein kindi&#x017F;ches Mädchen ihrer Herr¬<lb/>
lichkeit. Bald aber wech&#x017F;elte das Schau&#x017F;piel. Mit ver¬<lb/>
wandelter Farbe, an allen Gliedern zitternd, wankte &#x017F;ie<lb/>
rückwärts, und bevor &#x017F;ie ihren Sitz erreicht hatte, &#x017F;türz¬<lb/>
te &#x017F;ie auf den Boden nieder, erbleichte, begann die Au¬<lb/>
gen&#x017F;terne zu verdrehen und Schaum trat ihr über den<lb/>
Mund. Wehklagen ertönte in dem Palla&#x017F;te, die einen<lb/>
Diener eilten zu ihrem Vater, die andern zu ihrem künf¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0200] der Braut zu bringen. Aber dieſe köſtlichen Kleider wa¬ ren mit Zauberkraft getränkte giftige Gewande, und als Medea heuchleriſchen Abſchied von ihrem Gatten genom¬ men hatte, harrte ſie von Stunde zu Stunde der Nach¬ richt vom Empfang ihrer Geſchenke, die ein vertrauter Bote ihr bringen ſollte. Dieſer kam endlich und rief ihr entgegen: „Steig in dein Schiff, Medea, fliehe! fliehe! deine Feindin und ihr Vater ſind todt. Als deine Söhne mit ihrem Vater das Haus der Braut betraten, freuten wir Diener uns alle, daß die Zwietracht verſchwunden und die Verſöhnung vollkommen ſey. Die junge Königin empfing deinen Gatten mit heiterem Blick; als ſie aber die Kinder ſah, bedeckte ſie ihre Augen, wandte das Antlitz ab und verabſcheute ihre Gegenwart. Doch Jaſon beſänftigte ihren Zorn, ſprach ein gutes Wort für dich und breitete die Geſchenke vor ihr aus. Als ſie die herr¬ lichen Gewande ſah, wurde ihr Herz von der Pracht ge¬ reizt, es wandte ſich und ſie verſprach ihrem Bräutigam in Alles zu willigen. Als dein Gemahl mit den Söhnen ſie verlaſſen hatte, griff ſie mit Begierde nach dem Schmuck, legte den Goldmantel um, ſetzte den goldenen Kranz ſich ins Haar, und betrachtete ſich vergnügt in einem hellen Spiegel. Dann durchwandelte ſie die Gemächer und freute ſich wie ein kindiſches Mädchen ihrer Herr¬ lichkeit. Bald aber wechſelte das Schauſpiel. Mit ver¬ wandelter Farbe, an allen Gliedern zitternd, wankte ſie rückwärts, und bevor ſie ihren Sitz erreicht hatte, ſtürz¬ te ſie auf den Boden nieder, erbleichte, begann die Au¬ genſterne zu verdrehen und Schaum trat ihr über den Mund. Wehklagen ertönte in dem Pallaſte, die einen Diener eilten zu ihrem Vater, die andern zu ihrem künf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/200
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/200>, abgerufen am 25.11.2024.