Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].Von der Einbildung. gefunden/ da wird jedem sein jus. verstehe das Frühestück wol und ge-nau abgemessen und zugetheilet. Drey Hauptstücke sind bey der Medi- cin, die Wissenschafft/ die Erfahrenheit und die opinion und Ein- bildung. Beyde erste aber ohne opinion sind nichtige Dinge. Jch ha- be im Kriege einen vornehmen Befehlhaber gekennet/ der schriebe sei- nen Soldaten/ die das Fieber hatten einen Zettel/ mit diesen Worten: Ein Wolffsbeltz und ein Bernhaut/ sind vor das Fieber und Friesen gut. Die gute Tropffen bildeten ihnen ein/ dieses were eine bewehrte Artzneykunst auß deß Hippocratis geheimsten Schule genommen: und wurden alleine von der Einbildung curiret. Es rühmete sich ein trefflicher aber recht versoffener Goldmacher/ er könte das Trinckgold bereiten; aber O elender Künstler/ entweder betrüget dich die falsche opinion, oder ist dein gebichter Magen gantz eine Ertz- und Berg- gruben. Die Wundärtzte heilen offters einen Schaden mit geringen und verachteten Mitteln/ fordern doch für so nichtige Cur einen sehr grossen Lohn/ unterlassen nichts/ daß sie nur die Leute mit opinion betrügen. Die Philosophi oder Weltweisen halten das spitzfindige disputiren höher und besser seyn/ als erbar/ w ißlich leben; werden aber von der närrischen opinion betrogen. Lehret uns dann die Na- tur nichts nicht/ kan dann der angeborne Gemüthsverstand uns nicht die Warheit zeigen/ daß man nur immerdar zu den eytelen disputan- ten lauffen müste/ und die umb Warheit fragen? Clauß Narr sahe ei- ne Ziege auff der Mauer umbspatzieren/ und forchte/ sie möchte den Hals entzwey brechen/ wurffe geschwind die Leiter an und wiese ihr die Sprossen herabe zu gehen/ aber der Schneidergeist funde balden ein andern Weg und achtet der Leiter wenig/ kame doch ohne allen Schaden darvon. Die Mathematici oder Sternseher so offt sie der Erden überdrüssig/ verstecken und verkrichen sie sich in das Gestirn hinein/ und wollen desselben Grösse/ Zahl und Weite mit dem Fin- ger und Schnur abmessen/ die doch offters nicht wissen an welchem End und Ort sie leben/ wann sie nicht die Erdkugel zur Hand neh- men. Sie wollen der Sonnen/ wo sie gehen solle/ den Weg zeigen Erst- lich durch den Widder/ bald durch den Stir/ dann durch die Zwilling/ letztlich durch den Krebs/ und so fort. Daß aber solche durch opinion betrogen werden/ schweret Stein und Bein das Mond-Männlein der Menippus. Die Physici und Naturkündiger so offt sie von der opinion betrogen werden/ nehmen ihren recurs und Zuflucht zu den verborgenen qualiteten und Eigenschafften als zu einer wol verwah- reten Festunge der Unwissenheit/ wie Pierius redet. Die Politici und Weltverständige bilden ihnen ein/ es seye keiner zu dem Regiment ge- sch ickt genug/ er wisse dann wol und genau zu disputiren, ob der Re- gierungsstand/ da einer alleine im Regiment sitzet/ vorzuziehen seye de me/ wann die Vornehmst- und Verständige regieren? Ob die freye Wahl
Von der Einbildung. gefunden/ da wird jedem ſein jus. verſtehe das Fruͤheſtuͤck wol und ge-nau abgemeſſen uñ zugetheilet. Drey Hauptſtuͤcke ſind bey der Medi- cin, die Wiſſenſchafft/ die Erfahrenheit und die opinion und Ein- bildung. Beyde erſte aber ohne opinion ſind nichtige Dinge. Jch ha- be im Kriege einen vornehmen Befehlhaber gekennet/ der ſchriebe ſei- nen Soldaten/ die das Fieber hatten einen Zettel/ mit dieſen Worten: Ein Wolffsbeltz und ein Bernhaut/ ſind vor das Fieber und Frieſen gut. Die gute Tropffen bildeten ihnen ein/ dieſes were eine bewehrte Artzneykunſt auß deß Hippocratis geheimſten Schule genommen: und wurden alleine von der Einbildung curiret. Es ruͤhmete ſich ein trefflicher aber recht verſoffener Goldmacher/ er koͤnte das Trinckgold bereiten; aber O elender Kuͤnſtler/ entweder betruͤget dich die falſche opinion, oder iſt dein gebichter Magen gantz eine Ertz- und Berg- gruben. Die Wundaͤrtzte heilen offters einen Schaden mit geringen und verachteten Mitteln/ fordern doch fuͤr ſo nichtige Cur einen ſehr groſſen Lohn/ unterlaſſen nichts/ daß ſie nur die Leute mit opinion betruͤgen. Die Philoſophi oder Weltweiſen halten das ſpitzfindige diſputiren hoͤher und beſſer ſeyn/ als erbar/ w ißlich leben; werden aber von der naͤrꝛiſchen opinion betrogen. Lehret uns dann die Na- tur nichts nicht/ kan dann der angeborne Gemuͤthsverſtand uns nicht die Warheit zeigen/ daß man nur immerdar zu den eytelen diſputan- ten lauffen muͤſte/ und die umb Warheit fragen? Clauß Narꝛ ſahe ei- ne Ziege auff der Mauer umbſpatzieren/ und forchte/ ſie moͤchte den Hals entzwey brechen/ wurffe geſchwind die Leiter an und wieſe ihr die Sproſſen herabe zu gehen/ aber der Schneidergeiſt funde balden ein andern Weg und achtet der Leiter wenig/ kame doch ohne allen Schaden darvon. Die Mathematici oder Sternſeher ſo offt ſie der Erden uͤberdruͤſſig/ verſtecken und verkrichen ſie ſich in das Geſtirn hinein/ und wollen deſſelben Groͤſſe/ Zahl und Weite mit dem Fin- ger und Schnur abmeſſen/ die doch offters nicht wiſſen an welchem End und Ort ſie leben/ wann ſie nicht die Erdkugel zur Hand neh- men. Sie wollen der Sonnen/ wo ſie gehen ſolle/ den Weg zeigen Erſt- lich durch den Widder/ bald durch den Stir/ dann durch die Zwilling/ letztlich durch den Krebs/ und ſo fort. Daß aber ſolche durch opinion betrogen werden/ ſchweret Stein und Bein das Mond-Maͤnnlein der Menippus. Die Phyſici und Naturkuͤndiger ſo offt ſie von der opinion betrogen werden/ nehmen ihren recurs und Zuflucht zu den verborgenen qualiteten und Eigenſchafften als zu einer wol verwah- reten Feſtunge der Unwiſſenheit/ wie Pierius redet. Die Politici uñ Weltverſtaͤndige bilden ihnen ein/ es ſeye keiner zu dem Regiment ge- ſch ickt genug/ er wiſſe dann wol und genau zu diſputiren, ob der Re- gierungsſtand/ da einer alleine im Regiment ſitzet/ vorzuziehen ſeye de me/ wann die Vornehmſt- und Verſtaͤndige regieren? Ob die freye Wahl
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gefunden/ da wird jedem ſein jus. verſtehe das Fruͤheſtuͤck wol und ge-
nau abgemeſſen uñ zugetheilet. Drey Hauptſtuͤcke ſind bey der Medi-
cin, die Wiſſenſchafft/ die Erfahrenheit und die opinion und Ein-
bildung. Beyde erſte aber ohne opinion ſind nichtige Dinge. Jch ha-
be im Kriege einen vornehmen Befehlhaber gekennet/ der ſchriebe ſei-
nen Soldaten/ die das Fieber hatten einen Zettel/ mit dieſen Worten:
Ein Wolffsbeltz und ein Bernhaut/ ſind vor das Fieber und Frieſen
gut. Die gute Tropffen bildeten ihnen ein/ dieſes were eine bewehrte
Artzneykunſt auß deß Hippocratis geheimſten Schule genommen:
und wurden alleine von der Einbildung curiret. Es ruͤhmete ſich ein
trefflicher aber recht verſoffener Goldmacher/ er koͤnte das Trinckgold
bereiten; aber O elender Kuͤnſtler/ entweder betruͤget dich die falſche
opinion, oder iſt dein gebichter Magen gantz eine Ertz- und Berg-
gruben. Die Wundaͤrtzte heilen offters einen Schaden mit geringen
und verachteten Mitteln/ fordern doch fuͤr ſo nichtige Cur einen ſehr
groſſen Lohn/ unterlaſſen nichts/ daß ſie nur die Leute mit opinion
betruͤgen. Die Philoſophi oder Weltweiſen halten das ſpitzfindige
diſputiren hoͤher und beſſer ſeyn/ als erbar/ w ißlich leben; werden
aber von der naͤrꝛiſchen opinion betrogen. Lehret uns dann die Na-
tur nichts nicht/ kan dann der angeborne Gemuͤthsverſtand uns nicht
die Warheit zeigen/ daß man nur immerdar zu den eytelen diſputan-
ten lauffen muͤſte/ und die umb Warheit fragen? Clauß Narꝛ ſahe ei-
ne Ziege auff der Mauer umbſpatzieren/ und forchte/ ſie moͤchte den
Hals entzwey brechen/ wurffe geſchwind die Leiter an und wieſe ihr
die Sproſſen herabe zu gehen/ aber der Schneidergeiſt funde balden
ein andern Weg und achtet der Leiter wenig/ kame doch ohne allen
Schaden darvon. Die Mathematici oder Sternſeher ſo offt ſie der
Erden uͤberdruͤſſig/ verſtecken und verkrichen ſie ſich in das Geſtirn
hinein/ und wollen deſſelben Groͤſſe/ Zahl und Weite mit dem Fin-
ger und Schnur abmeſſen/ die doch offters nicht wiſſen an welchem
End und Ort ſie leben/ wann ſie nicht die Erdkugel zur Hand neh-
men. Sie wollen der Sonnen/ wo ſie gehen ſolle/ den Weg zeigen Erſt-
lich durch den Widder/ bald durch den Stir/ dann durch die Zwilling/
letztlich durch den Krebs/ und ſo fort. Daß aber ſolche durch opinion
betrogen werden/ ſchweret Stein und Bein das Mond-Maͤnnlein der
Menippus. Die Phyſici und Naturkuͤndiger ſo offt ſie von der
opinion betrogen werden/ nehmen ihren recurs und Zuflucht zu den
verborgenen qualiteten und Eigenſchafften als zu einer wol verwah-
reten Feſtunge der Unwiſſenheit/ wie Pierius redet. Die Politici uñ
Weltverſtaͤndige bilden ihnen ein/ es ſeye keiner zu dem Regiment ge-
ſch ickt genug/ er wiſſe dann wol und genau zu diſputiren, ob der Re-
gierungsſtand/ da einer alleine im Regiment ſitzet/ vorzuziehen ſeye
de me/ wann die Vornehmſt- und Verſtaͤndige regieren? Ob die freye
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Zitationshilfe: | Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/576>, abgerufen am 21.06.2024. |