Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].Von der Einbildung. sie deß Vaterlandes Gesatz unnd Kriegs disciplin verächtlichhindangesetzet/ selbst hingerichtet und getödtet/ und werden auß solcher Ursach gerühmet. Und ob man hier einwenden und sagen wolte/ die- ses weren abscheuliche und Heydnische Exempel/ so ist doch dergleichen geschehen und verrichtet worden von einem Christlichen Potentaten König in Hispania/ der eben dieses an seinem Sohn verübet hat. Man mag hier sagen was man wil/ so ist der Nero zu seiner Zeit besser als der Käyser Nerva bey seiner Regierung gewesen. Wer aber recht von der Sache zu urtheilen begehret/ wird nicht besser thun/ als wann er die Menschen gegen Menschen/ und Zeiten gegen Zeiten hält und ver- gleichet/ nicht aber schlechter Ding derer Thaten und beginnen. Dann es endern und unterscheiden sich die Zeit/ der Ort/ die Gesetz/ die Ge- wonheiten und Gebräuche in vielen Stücken und in den Fällen/ dar- durch es geschiehet/ daß die Bösen fromm/ und die Frommen und Löb- liche vor böse geachtet und außgeschrien werden. Jn deme Nero die Bösen und Ubelthäter gestraffet/ und auß dem Wege geraumet hat/ ist er löblich zu preisen/ wann er aber Redliche und Fromme unter- drücken lassen ist er gottloß zu nennen. Es hat aber Nero nicht alleine die Bösen gestraffet/ sondern hat sich auch gegen unschuldig Ver- dambte gütig und gnädig erzeiget/ dann als er einsmals eines zum Todt verdambten Urtheil unterschreiben sollen/ hat er bitterlich ge- weinet und gewünschet/ daß er nimmermehr hätte schreiben gelernet: folget daß Nero besser als Nerva gewesen der durch seine allzugrosse indulgentz und Trägheit allen nachgesehen/ und dem gemeinen We- sen mehr geschadet durch grosse Gedult/ als daß er übels gethan. Daß es jezuweilen besser unter scharffer/ die nichts zulasset/ als unter ge- linder Obrigkeit/ die alles hangen und hingehen lässet/ leben. Wann man allhier einen zierlichen Redener geben wolte/ könte man ohne alle Mühe deß Nero ein an sich selbsten zwar grausame Laster leichtlich nicht alleine entschuldigen/ sondern auch loben. Weil aber besser mit wenigem viel begreiffen/ soltet ihr aber euch hierüber verwundern wollen/ so wöllet ihr bedencken daß wir keinen Theologum der von göttlichen/ sondern nun einen Philosophum, der von weltlichen Dingen Rede zu geben vorhabeus sind/ und können wir uns allhier leicht einbilden/ daß ihr liebe Zuhörer bey euch selbsten anklagen und hoch empfinden werdet der Agrippae deß Neronis Mutter grausa- men Todt/ den er ihr anthun lassen: Wann wir aber ihre Boßhett/ Schand und Leichtfertigkeit bedencken/ verwundern wir uns eher und mehr über sein deß Neronis grosse Gedult/ und wie er so lange zu- sehen können/ als daß er sie beyseite geraumet/ und daß es heller und klärer werde/ wollen wir Agrippae Leben/ Thun und Wandel ein wenig beschrei- ben. Sie war deß Käys. Augusti sein Enckelin/ hohen Ansehens/ Macht und
Von der Einbildung. ſie deß Vaterlandes Geſatz unnd Kriegs diſciplin veraͤchtlichhindangeſetzet/ ſelbſt hingerichtet und getoͤdtet/ uñ werden auß ſolcher Urſach geruͤhmet. Und ob man hier einwenden und ſagen wolte/ die- ſes weren abſcheuliche und Heydniſche Exempel/ ſo iſt doch dergleichẽ geſchehen und verrichtet worden von einem Chriſtlichen Potentaten Koͤnig in Hiſpania/ der eben dieſes an ſeinem Sohn veruͤbet hat. Man mag hier ſagen was man wil/ ſo iſt der Nero zu ſeiner Zeit beſſer als der Kaͤyſer Nerva bey ſeiner Regierung geweſen. Wer aber recht von der Sache zu urtheilen begehret/ wird nicht beſſer thun/ als wann er die Menſchen gegen Menſchen/ und Zeiten gegen Zeiten haͤlt und ver- gleichet/ nicht aber ſchlechter Ding derer Thaten und beginnen. Dañ es endern und unterſcheiden ſich die Zeit/ der Ort/ die Geſetz/ die Ge- wonheiten und Gebraͤuche in vielen Stuͤcken und in den Faͤllen/ dar- durch es geſchiehet/ daß die Boͤſen fromm/ und die Frommen und Loͤb- liche vor boͤſe geachtet und außgeſchrien werden. Jn deme Nero die Boͤſen und Ubelthaͤter geſtraffet/ und auß dem Wege geraumet hat/ iſt er loͤblich zu preiſen/ wann er aber Redliche und Fromme unter- druͤcken laſſen iſt er gottloß zu nennen. Es hat aber Nero nicht alleine die Boͤſen geſtraffet/ ſondern hat ſich auch gegen unſchuldig Ver- dambte guͤtig und gnaͤdig erzeiget/ dann als er einsmals eines zum Todt verdambten Urtheil unterſchreiben ſollen/ hat er bitterlich ge- weinet und gewuͤnſchet/ daß er nimmermehr haͤtte ſchreiben gelernet: folget daß Nero beſſer als Nerva geweſen der durch ſeine allzugroſſe indulgentz und Traͤgheit allen nachgeſehen/ und dem gemeinen We- ſen mehr geſchadet durch groſſe Gedult/ als daß er uͤbels gethan. Daß es jezuweilen beſſer unter ſcharffer/ die nichts zulaſſet/ als unter ge- linder Obrigkeit/ die alles hangen und hingehen laͤſſet/ leben. Wann man allhier einen zierlichen Redener geben wolte/ koͤnte man ohne alle Muͤhe deß Nero ein an ſich ſelbſten zwar grauſame Laſter leichtlich nicht alleine entſchuldigen/ ſondern auch loben. Weil aber beſſer mit wenigem viel begreiffen/ ſoltet ihr aber euch hieruͤber verwundern wollen/ ſo woͤllet ihr bedencken daß wir keinen Theologum der von goͤttlichen/ ſondern nun einen Philoſophum, der von weltlichen Dingen Rede zu geben vorhabeus ſind/ und koͤnnen wir uns allhier leicht einbilden/ daß ihr liebe Zuhoͤrer bey euch ſelbſten anklagen und hoch empfinden werdet der Agrippæ deß Neronis Mutter grauſa- men Todt/ den er ihr anthun laſſen: Wann wir aber ihre Boßhett/ Schand und Leichtfertigkeit bedencken/ verwundern wir uns eher und mehr uͤber ſein deß Neronis groſſe Gedult/ uñ wie er ſo lange zu- ſehen koͤnnẽ/ als daß er ſie beyſeite geraumet/ uñ daß es heller uñ klaͤrer werde/ wollẽ wir Agrippæ Lebẽ/ Thun uñ Wandel ein wenig beſchrei- ben. Sie war deß Kaͤyſ. Auguſti ſein Enckelin/ hohen Anſehens/ Macht und
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ſie deß Vaterlandes Geſatz unnd Kriegs diſciplin veraͤchtlich
hindangeſetzet/ ſelbſt hingerichtet und getoͤdtet/ uñ werden auß ſolcher
Urſach geruͤhmet. Und ob man hier einwenden und ſagen wolte/ die-
ſes weren abſcheuliche und Heydniſche Exempel/ ſo iſt doch dergleichẽ
geſchehen und verrichtet worden von einem Chriſtlichen Potentaten
Koͤnig in Hiſpania/ der eben dieſes an ſeinem Sohn veruͤbet hat. Man
mag hier ſagen was man wil/ ſo iſt der Nero zu ſeiner Zeit beſſer als
der Kaͤyſer Nerva bey ſeiner Regierung geweſen. Wer aber recht von
der Sache zu urtheilen begehret/ wird nicht beſſer thun/ als wann er
die Menſchen gegen Menſchen/ und Zeiten gegen Zeiten haͤlt und ver-
gleichet/ nicht aber ſchlechter Ding derer Thaten und beginnen. Dañ
es endern und unterſcheiden ſich die Zeit/ der Ort/ die Geſetz/ die Ge-
wonheiten und Gebraͤuche in vielen Stuͤcken und in den Faͤllen/ dar-
durch es geſchiehet/ daß die Boͤſen fromm/ und die Frommen und Loͤb-
liche vor boͤſe geachtet und außgeſchrien werden. Jn deme Nero die
Boͤſen und Ubelthaͤter geſtraffet/ und auß dem Wege geraumet hat/
iſt er loͤblich zu preiſen/ wann er aber Redliche und Fromme unter-
druͤcken laſſen iſt er gottloß zu nennen. Es hat aber Nero nicht alleine
die Boͤſen geſtraffet/ ſondern hat ſich auch gegen unſchuldig Ver-
dambte guͤtig und gnaͤdig erzeiget/ dann als er einsmals eines zum
Todt verdambten Urtheil unterſchreiben ſollen/ hat er bitterlich ge-
weinet und gewuͤnſchet/ daß er nimmermehr haͤtte ſchreiben gelernet:
folget daß Nero beſſer als Nerva geweſen der durch ſeine allzugroſſe
indulgentz und Traͤgheit allen nachgeſehen/ und dem gemeinen We-
ſen mehr geſchadet durch groſſe Gedult/ als daß er uͤbels gethan. Daß
es jezuweilen beſſer unter ſcharffer/ die nichts zulaſſet/ als unter ge-
linder Obrigkeit/ die alles hangen und hingehen laͤſſet/ leben. Wann
man allhier einen zierlichen Redener geben wolte/ koͤnte man ohne alle
Muͤhe deß Nero ein an ſich ſelbſten zwar grauſame Laſter leichtlich
nicht alleine entſchuldigen/ ſondern auch loben. Weil aber beſſer mit
wenigem viel begreiffen/ ſoltet ihr aber euch hieruͤber verwundern
wollen/ ſo woͤllet ihr bedencken daß wir keinen Theologum der von
goͤttlichen/ ſondern nun einen Philoſophum, der von weltlichen
Dingen Rede zu geben vorhabeus ſind/ und koͤnnen wir uns allhier
leicht einbilden/ daß ihr liebe Zuhoͤrer bey euch ſelbſten anklagen und
hoch empfinden werdet der Agrippæ deß Neronis Mutter grauſa-
men Todt/ den er ihr anthun laſſen: Wann wir aber ihre Boßhett/
Schand und Leichtfertigkeit bedencken/ verwundern wir uns eher
und mehr uͤber ſein deß Neronis groſſe Gedult/ uñ wie er ſo lange zu-
ſehen koͤnnẽ/ als daß er ſie beyſeite geraumet/ uñ daß es heller uñ klaͤrer
werde/ wollẽ wir Agrippæ Lebẽ/ Thun uñ Wandel ein wenig beſchrei-
ben. Sie war deß Kaͤyſ. Auguſti ſein Enckelin/ hohen Anſehens/ Macht
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Zitationshilfe: | Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/569>, abgerufen am 21.06.2024. |