Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].

Bild:
<< vorherige Seite

Die erbare Hure.
und unterschiedene Frauen und Jungfrauen bey sich hatte/ und viel-
leicht gar zu viel gebuhlet und getruncken hatte/ stieg er auff sein Pferd
und ritte mit dem Thorschliessen auß der Stadt/ seine Diener mu-
sten sporenstreichs nachfolgen. Aber leider/ leider! Als er kaum einen
Canonenschuß von der Stadt kommen/ ist er von dem Pferde gestür-
tzet/ und den Hals gebrochen.

Viel Splitterrichter sagen zwar jetzo/ er sey ein grosser Hurer
und Ehebrecher gewesen/ dazu ein Trunckenbold und Mörder/ der
unterschiedene vor der Faust niedergestossen habe/ und wie der Baum
falle/ so werde er liegen. Allein/ ich habe einsmals in der Kirche gehö-
ret/ daß der Pastor sagte: Richtet nicht/ so werdet ihr auch nicht ge-
richtet/ verdammet nicht/ so werdet ihr auch nicht verdammet. Sein
Pastor und Beichtvater hat ihm ein überauß gut Zeugniß gegeben/
wie er ein so guter Christ gewesen sey/ wie er armen Leuten so viel gu-
tes gethan habe/ unter welchen Gutthaten ich ein lebendiges Exem-
pel bin. Ach wie manche ehrliche Jungfrau/ wie manche ehrliche
Frau und Wittwe ist/ welche er über Nacht höflich tractiret hat/ wel-
che seinen Tod jetzo bitterlich beweinen.

Stehe auff Corinne/ nim dein Regenkleid/ und gehe mit mir
nach der Kirche/ wir wollen ein wenig bey der Kirche stehen bleiben/
wann eine Dame kömmt/ und ich sage: Wir sind Menschen: so
wisse alsbald/ daß mein Juncker etliche Nacht bey ihr geschlaffen ha-
be/ aber du must nicht gedencken/ als ob sie alsbald eine Hure sey. Co-
rinne stund auff/ zog ihre Kleider an/ und gieng mit ihrer Mutter nach
der Kirche. Als sie eine zeitlang bey der Kirche gestanden hatten/ kam
eine garstige Magd/ da sagte Crobyle: Wir sind Menschen. Co-
rinne verwunderte sich darüber/ daß ein Edelman sich an ein solch
garstiges Schwein kehren solle/ allein Crobyle sagte nochmal/ Wir
sind Menschen.
Bald kam eine Adeliche Wittwe/ von welcher die
gantze Stadt sagte/ daß sie nicht wiederum heyrahten/ sondern wie
eine Turteltaube leben wolte; da sagte Crobyle zu ihrer Tochter: Wir
sind Menschen.
Es stund nicht lange an/ da kam eine vornehme
Jungfer/ eines reichen hochansehnlichen Mannes Tochter/ da lachte
Crobyle/ und sagte ihrer Tochter ins Ohr: Wir sind Menschen.
Jch bin gestern mit dieser Jungfer im Hospital gewesen/ da unter-
schiedene arme Kinder ernehret werden/ da gab diese Jungfer einem
jeden Kinde einen Groschen/ allein da sie zu ihrem eigenen Kinde kam/
gab sie ihm zwey Ducaten/ und sagte: Du liebes Kind/ du siehest
auß wie ein rechter schöner Engel/ es ist wol eher auß
den armen Wäysen-Kindern ein vortrefflicher grosser Mann

entspros-

Die erbare Hure.
und unterſchiedene Frauen und Jungfrauen bey ſich hatte/ und viel-
leicht gar zu viel gebuhlet und getruncken hatte/ ſtieg er auff ſein Pferd
und ritte mit dem Thorſchlieſſen auß der Stadt/ ſeine Diener mu-
ſten ſporenſtreichs nachfolgen. Aber leider/ leider! Als er kaum einen
Canonenſchuß von der Stadt kommen/ iſt er von dem Pferde geſtuͤr-
tzet/ und den Hals gebrochen.

Viel Splitterrichter ſagen zwar jetzo/ er ſey ein groſſer Hurer
und Ehebrecher geweſen/ dazu ein Trunckenbold und Moͤrder/ der
unterſchiedene vor der Fauſt niedergeſtoſſen habe/ und wie der Baum
falle/ ſo werde er liegen. Allein/ ich habe einsmals in der Kirche gehoͤ-
ret/ daß der Paſtor ſagte: Richtet nicht/ ſo werdet ihr auch nicht ge-
richtet/ verdammet nicht/ ſo werdet ihr auch nicht verdammet. Sein
Paſtor und Beichtvater hat ihm ein uͤberauß gut Zeugniß gegeben/
wie er ein ſo guter Chriſt geweſen ſey/ wie er armen Leuten ſo viel gu-
tes gethan habe/ unter welchen Gutthaten ich ein lebendiges Exem-
pel bin. Ach wie manche ehrliche Jungfrau/ wie manche ehrliche
Frau und Wittwe iſt/ welche er uͤber Nacht hoͤflich tractiret hat/ wel-
che ſeinen Tod jetzo bitterlich beweinen.

Stehe auff Corinne/ nim dein Regenkleid/ und gehe mit mir
nach der Kirche/ wir wollen ein wenig bey der Kirche ſtehen bleiben/
wann eine Dame koͤmmt/ und ich ſage: Wir ſind Menſchen: ſo
wiſſe alsbald/ daß mein Juncker etliche Nacht bey ihr geſchlaffen ha-
be/ aber du muſt nicht gedencken/ als ob ſie alsbald eine Hure ſey. Co-
rinne ſtund auff/ zog ihre Kleider an/ und gieng mit ihrer Mutter nach
der Kirche. Als ſie eine zeitlang bey der Kirche geſtanden hatten/ kam
eine garſtige Magd/ da ſagte Crobyle: Wir ſind Menſchen. Co-
rinne verwunderte ſich daruͤber/ daß ein Edelman ſich an ein ſolch
garſtiges Schwein kehren ſolle/ allein Crobyle ſagte nochmal/ Wir
ſind Menſchen.
Bald kam eine Adeliche Wittwe/ von welcher die
gantze Stadt ſagte/ daß ſie nicht wiederum heyrahten/ ſondern wie
eine Turteltaube leben wolte; da ſagte Crobyle zu ihrer Tochter: Wir
ſind Menſchen.
Es ſtund nicht lange an/ da kam eine vornehme
Jungfer/ eines reichen hochanſehnlichen Mannes Tochter/ da lachte
Crobyle/ und ſagte ihrer Tochter ins Ohr: Wir ſind Menſchen.
Jch bin geſtern mit dieſer Jungfer im Hoſpital geweſen/ da unter-
ſchiedene arme Kinder ernehret werden/ da gab dieſe Jungfer einem
jeden Kinde einen Groſchen/ allein da ſie zu ihrem eigenen Kinde kam/
gab ſie ihm zwey Ducaten/ und ſagte: Du liebes Kind/ du ſieheſt
auß wie ein rechter ſchoͤner Engel/ es iſt wol eher auß
den armen Waͤyſen-Kindern ein vortrefflicher groſſer Mann

entſproſ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0517" n="475"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die erbare Hure.</hi></fw><lb/>
und unter&#x017F;chiedene Frauen und Jungfrauen bey &#x017F;ich hatte/ und viel-<lb/>
leicht gar zu viel gebuhlet und getruncken hatte/ &#x017F;tieg er auff &#x017F;ein Pferd<lb/>
und ritte mit dem Thor&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en auß der Stadt/ &#x017F;eine Diener mu-<lb/>
&#x017F;ten &#x017F;poren&#x017F;treichs nachfolgen. Aber leider/ leider! Als er kaum einen<lb/>
Canonen&#x017F;chuß von der Stadt kommen/ i&#x017F;t er von dem Pferde ge&#x017F;tu&#x0364;r-<lb/>
tzet/ und den Hals gebrochen.</p><lb/>
          <p>Viel Splitterrichter &#x017F;agen zwar jetzo/ er &#x017F;ey ein gro&#x017F;&#x017F;er Hurer<lb/>
und Ehebrecher gewe&#x017F;en/ dazu ein Trunckenbold und Mo&#x0364;rder/ der<lb/>
unter&#x017F;chiedene vor der Fau&#x017F;t niederge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en habe/ und wie der Baum<lb/>
falle/ &#x017F;o werde er liegen. Allein/ ich habe einsmals in der Kirche geho&#x0364;-<lb/>
ret/ daß der Pa&#x017F;tor &#x017F;agte: Richtet nicht/ &#x017F;o werdet ihr auch nicht ge-<lb/>
richtet/ verdammet nicht/ &#x017F;o werdet ihr auch nicht verdammet. Sein<lb/>
Pa&#x017F;tor und Beichtvater hat ihm ein u&#x0364;berauß gut Zeugniß gegeben/<lb/>
wie er ein &#x017F;o guter Chri&#x017F;t gewe&#x017F;en &#x017F;ey/ wie er armen Leuten &#x017F;o viel gu-<lb/>
tes gethan habe/ unter welchen Gutthaten ich ein lebendiges Exem-<lb/>
pel bin. Ach wie manche ehrliche Jungfrau/ wie manche ehrliche<lb/>
Frau und Wittwe i&#x017F;t/ welche er u&#x0364;ber Nacht ho&#x0364;flich tractiret hat/ wel-<lb/>
che &#x017F;einen Tod jetzo bitterlich beweinen.</p><lb/>
          <p>Stehe auff Corinne/ nim dein Regenkleid/ und gehe mit mir<lb/>
nach der Kirche/ wir wollen ein wenig bey der Kirche &#x017F;tehen bleiben/<lb/>
wann eine Dame ko&#x0364;mmt/ und ich &#x017F;age: <hi rendition="#fr">Wir &#x017F;ind Men&#x017F;chen:</hi> &#x017F;o<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e alsbald/ daß mein Juncker etliche Nacht bey ihr ge&#x017F;chlaffen ha-<lb/>
be/ aber du mu&#x017F;t nicht gedencken/ als ob &#x017F;ie alsbald eine Hure &#x017F;ey. Co-<lb/>
rinne &#x017F;tund auff/ zog ihre Kleider an/ und gieng mit ihrer Mutter nach<lb/>
der Kirche. Als &#x017F;ie eine zeitlang bey der Kirche ge&#x017F;tanden hatten/ kam<lb/>
eine gar&#x017F;tige Magd/ da &#x017F;agte Crobyle: <hi rendition="#fr">Wir &#x017F;ind Men&#x017F;chen.</hi> Co-<lb/>
rinne verwunderte &#x017F;ich daru&#x0364;ber/ daß ein Edelman &#x017F;ich an ein &#x017F;olch<lb/>
gar&#x017F;tiges Schwein kehren &#x017F;olle/ allein Crobyle &#x017F;agte nochmal/ <hi rendition="#fr">Wir<lb/>
&#x017F;ind Men&#x017F;chen.</hi> Bald kam eine Adeliche Wittwe/ von welcher die<lb/>
gantze Stadt &#x017F;agte/ daß &#x017F;ie nicht wiederum heyrahten/ &#x017F;ondern wie<lb/>
eine Turteltaube leben wolte; da &#x017F;agte Crobyle zu ihrer Tochter: <hi rendition="#fr">Wir<lb/>
&#x017F;ind Men&#x017F;chen.</hi> Es &#x017F;tund nicht lange an/ da kam eine vornehme<lb/>
Jungfer/ eines reichen hochan&#x017F;ehnlichen Mannes Tochter/ da lachte<lb/>
Crobyle/ und &#x017F;agte ihrer Tochter ins Ohr: <hi rendition="#fr">Wir &#x017F;ind Men&#x017F;chen.</hi><lb/>
Jch bin ge&#x017F;tern mit die&#x017F;er Jungfer im Ho&#x017F;pital gewe&#x017F;en/ da unter-<lb/>
&#x017F;chiedene arme Kinder ernehret werden/ da gab die&#x017F;e Jungfer einem<lb/>
jeden Kinde einen Gro&#x017F;chen/ allein da &#x017F;ie zu ihrem eigenen Kinde kam/<lb/>
gab &#x017F;ie ihm zwey Ducaten/ und &#x017F;agte: Du liebes Kind/ du &#x017F;iehe&#x017F;t<lb/>
auß wie ein rechter &#x017F;cho&#x0364;ner Engel/ es i&#x017F;t wol eher auß<lb/>
den armen Wa&#x0364;y&#x017F;en-Kindern ein vortrefflicher gro&#x017F;&#x017F;er Mann<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ent&#x017F;pro&#x017F;-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475/0517] Die erbare Hure. und unterſchiedene Frauen und Jungfrauen bey ſich hatte/ und viel- leicht gar zu viel gebuhlet und getruncken hatte/ ſtieg er auff ſein Pferd und ritte mit dem Thorſchlieſſen auß der Stadt/ ſeine Diener mu- ſten ſporenſtreichs nachfolgen. Aber leider/ leider! Als er kaum einen Canonenſchuß von der Stadt kommen/ iſt er von dem Pferde geſtuͤr- tzet/ und den Hals gebrochen. Viel Splitterrichter ſagen zwar jetzo/ er ſey ein groſſer Hurer und Ehebrecher geweſen/ dazu ein Trunckenbold und Moͤrder/ der unterſchiedene vor der Fauſt niedergeſtoſſen habe/ und wie der Baum falle/ ſo werde er liegen. Allein/ ich habe einsmals in der Kirche gehoͤ- ret/ daß der Paſtor ſagte: Richtet nicht/ ſo werdet ihr auch nicht ge- richtet/ verdammet nicht/ ſo werdet ihr auch nicht verdammet. Sein Paſtor und Beichtvater hat ihm ein uͤberauß gut Zeugniß gegeben/ wie er ein ſo guter Chriſt geweſen ſey/ wie er armen Leuten ſo viel gu- tes gethan habe/ unter welchen Gutthaten ich ein lebendiges Exem- pel bin. Ach wie manche ehrliche Jungfrau/ wie manche ehrliche Frau und Wittwe iſt/ welche er uͤber Nacht hoͤflich tractiret hat/ wel- che ſeinen Tod jetzo bitterlich beweinen. Stehe auff Corinne/ nim dein Regenkleid/ und gehe mit mir nach der Kirche/ wir wollen ein wenig bey der Kirche ſtehen bleiben/ wann eine Dame koͤmmt/ und ich ſage: Wir ſind Menſchen: ſo wiſſe alsbald/ daß mein Juncker etliche Nacht bey ihr geſchlaffen ha- be/ aber du muſt nicht gedencken/ als ob ſie alsbald eine Hure ſey. Co- rinne ſtund auff/ zog ihre Kleider an/ und gieng mit ihrer Mutter nach der Kirche. Als ſie eine zeitlang bey der Kirche geſtanden hatten/ kam eine garſtige Magd/ da ſagte Crobyle: Wir ſind Menſchen. Co- rinne verwunderte ſich daruͤber/ daß ein Edelman ſich an ein ſolch garſtiges Schwein kehren ſolle/ allein Crobyle ſagte nochmal/ Wir ſind Menſchen. Bald kam eine Adeliche Wittwe/ von welcher die gantze Stadt ſagte/ daß ſie nicht wiederum heyrahten/ ſondern wie eine Turteltaube leben wolte; da ſagte Crobyle zu ihrer Tochter: Wir ſind Menſchen. Es ſtund nicht lange an/ da kam eine vornehme Jungfer/ eines reichen hochanſehnlichen Mannes Tochter/ da lachte Crobyle/ und ſagte ihrer Tochter ins Ohr: Wir ſind Menſchen. Jch bin geſtern mit dieſer Jungfer im Hoſpital geweſen/ da unter- ſchiedene arme Kinder ernehret werden/ da gab dieſe Jungfer einem jeden Kinde einen Groſchen/ allein da ſie zu ihrem eigenen Kinde kam/ gab ſie ihm zwey Ducaten/ und ſagte: Du liebes Kind/ du ſieheſt auß wie ein rechter ſchoͤner Engel/ es iſt wol eher auß den armen Waͤyſen-Kindern ein vortrefflicher groſſer Mann entſproſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/517
Zitationshilfe: Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/517>, abgerufen am 16.06.2024.