dacht bei feyerlichen Handlungen der Religion fließen. Fanatismus und thätlicher Verfol- gungsgeist findet in diesen guten Seelen keinen Raum, und obgleich es von Seiten ihrer Priester nie ganz an Ermunterungen dazu ge- fehlt hat, giebt es doch kein Beispiel, daß das Volk seine, von ihnen so häufig ver- ketzerten, Landsleute gemißhandelt hätte. Man kann von vielen Mitgliedern der höhern Stände nicht ein Gleiches sagen, obgleich man wiederum billigerweise annehmen muß, daß der Verfolgungsgeist, dessen sie sich in neuern Zeiten schuldig gemacht haben, mehr aus politischen als aus bigotten Rücksichten entstanden sey.
Der Umgang zwischen beiden Geschlechtern ist höchst ungezwungen, und es ist nicht zu vermeiden, daß er, bei den vielen Gelegenhei- ten, sich erhitzt und berauscht zu sehen, nicht in Ungebundenheit übergehen sollte. Selbst in bessern Gesellschaften erlaubt man sich einen Ton gegen das andere Geschlecht, der jedem
dacht bei feyerlichen Handlungen der Religion fließen. Fanatismus und thaͤtlicher Verfol- gungsgeiſt findet in dieſen guten Seelen keinen Raum, und obgleich es von Seiten ihrer Prieſter nie ganz an Ermunterungen dazu ge- fehlt hat, giebt es doch kein Beiſpiel, daß das Volk ſeine, von ihnen ſo haͤufig ver- ketzerten, Landsleute gemißhandelt haͤtte. Man kann von vielen Mitgliedern der hoͤhern Staͤnde nicht ein Gleiches ſagen, obgleich man wiederum billigerweiſe annehmen muß, daß der Verfolgungsgeiſt, deſſen ſie ſich in neuern Zeiten ſchuldig gemacht haben, mehr aus politiſchen als aus bigotten Ruͤckſichten entſtanden ſey.
Der Umgang zwiſchen beiden Geſchlechtern iſt hoͤchſt ungezwungen, und es iſt nicht zu vermeiden, daß er, bei den vielen Gelegenhei- ten, ſich erhitzt und berauſcht zu ſehen, nicht in Ungebundenheit uͤbergehen ſollte. Selbſt in beſſern Geſellſchaften erlaubt man ſich einen Ton gegen das andere Geſchlecht, der jedem
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dacht bei feyerlichen Handlungen der Religion
fließen. Fanatismus und thaͤtlicher Verfol-
gungsgeiſt findet in dieſen guten Seelen keinen
Raum, und obgleich es von Seiten ihrer
Prieſter nie ganz an Ermunterungen dazu ge-
fehlt hat, giebt es doch kein Beiſpiel, daß
das Volk ſeine, von ihnen ſo haͤufig ver-
ketzerten, Landsleute gemißhandelt haͤtte. Man
kann von vielen Mitgliedern der hoͤhern
Staͤnde nicht ein Gleiches ſagen, obgleich
man wiederum billigerweiſe annehmen muß,
daß der Verfolgungsgeiſt, deſſen ſie ſich in
neuern Zeiten ſchuldig gemacht haben, mehr
aus politiſchen als aus bigotten Ruͤckſichten
entſtanden ſey.
Der Umgang zwiſchen beiden Geſchlechtern
iſt hoͤchſt ungezwungen, und es iſt nicht zu
vermeiden, daß er, bei den vielen Gelegenhei-
ten, ſich erhitzt und berauſcht zu ſehen, nicht
in Ungebundenheit uͤbergehen ſollte. Selbſt in
beſſern Geſellſchaften erlaubt man ſich einen
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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