Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Münchener nie, freylich auch nicht das höf-
liche Zuvorkommen, dafür aber die unge-
zwungenste Gastfreundschaft gegen jeden, der
ihm empfohlen worden. Seine Freymüthig-
keit im Urtheilen über seine Vorgesetzte, über
ihre Handlungen und Einrichtungen, geht fast
bis zur Ungezogenheit, und er theilt seine An-
merkungen nicht etwa nur leise, sondern ganz
laut, in seinem natürlichen, derben Tone und
in seiner kräftigen Sprache, öffentlich mit.
Wer Leute sehen will, die sich bei ihren Freu-
den unverholen, ohne Ziererey, herzlich freuen,
der gehe nach München in die Gesellschaften
derjenigen Mittelklasse, die ich hier überhaupt
im Sinn habe, und er wird noch wahrhafte
Heiterkeit und Geselligkeit finden. Eben die-
se Leute zerfließen in Thränen bei einem rüh-
renden Schauspiel, und drängen sich, einem
Unglücklichen, dem auf der Straße ein Zufall
begegnet ist, Wohlthaten zu erweisen und in
ihre Häuser aufzunehmen. Aus eben dieser
Quelle mag wohl auch ihre musterhafte An-

Muͤnchener nie, freylich auch nicht das hoͤf-
liche Zuvorkommen, dafuͤr aber die unge-
zwungenſte Gaſtfreundſchaft gegen jeden, der
ihm empfohlen worden. Seine Freymuͤthig-
keit im Urtheilen uͤber ſeine Vorgeſetzte, uͤber
ihre Handlungen und Einrichtungen, geht faſt
bis zur Ungezogenheit, und er theilt ſeine An-
merkungen nicht etwa nur leiſe, ſondern ganz
laut, in ſeinem natuͤrlichen, derben Tone und
in ſeiner kraͤftigen Sprache, oͤffentlich mit.
Wer Leute ſehen will, die ſich bei ihren Freu-
den unverholen, ohne Ziererey, herzlich freuen,
der gehe nach Muͤnchen in die Geſellſchaften
derjenigen Mittelklaſſe, die ich hier uͤberhaupt
im Sinn habe, und er wird noch wahrhafte
Heiterkeit und Geſelligkeit finden. Eben die-
ſe Leute zerfließen in Thraͤnen bei einem ruͤh-
renden Schauſpiel, und draͤngen ſich, einem
Ungluͤcklichen, dem auf der Straße ein Zufall
begegnet iſt, Wohlthaten zu erweiſen und in
ihre Haͤuſer aufzunehmen. Aus eben dieſer
Quelle mag wohl auch ihre muſterhafte An-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0252" n="244"/>
Mu&#x0364;nchener nie, freylich auch nicht das ho&#x0364;f-<lb/>
liche Zuvorkommen, dafu&#x0364;r aber die unge-<lb/>
zwungen&#x017F;te Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft gegen jeden, der<lb/>
ihm empfohlen worden. Seine Freymu&#x0364;thig-<lb/>
keit im Urtheilen u&#x0364;ber &#x017F;eine Vorge&#x017F;etzte, u&#x0364;ber<lb/>
ihre Handlungen und Einrichtungen, geht fa&#x017F;t<lb/>
bis zur Ungezogenheit, und er theilt &#x017F;eine An-<lb/>
merkungen nicht etwa nur lei&#x017F;e, &#x017F;ondern ganz<lb/>
laut, in &#x017F;einem natu&#x0364;rlichen, derben Tone und<lb/>
in &#x017F;einer kra&#x0364;ftigen Sprache, o&#x0364;ffentlich mit.<lb/>
Wer Leute &#x017F;ehen will, die &#x017F;ich bei ihren Freu-<lb/>
den unverholen, ohne Ziererey, herzlich freuen,<lb/>
der gehe nach Mu&#x0364;nchen in die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften<lb/>
derjenigen Mittelkla&#x017F;&#x017F;e, die ich hier u&#x0364;berhaupt<lb/>
im Sinn habe, und er wird noch wahrhafte<lb/>
Heiterkeit und Ge&#x017F;elligkeit finden. Eben die-<lb/>
&#x017F;e Leute zerfließen in Thra&#x0364;nen bei einem ru&#x0364;h-<lb/>
renden Schau&#x017F;piel, und dra&#x0364;ngen &#x017F;ich, einem<lb/>
Unglu&#x0364;cklichen, dem auf der Straße ein Zufall<lb/>
begegnet i&#x017F;t, Wohlthaten zu erwei&#x017F;en und in<lb/>
ihre Ha&#x0364;u&#x017F;er aufzunehmen. Aus eben die&#x017F;er<lb/>
Quelle mag wohl auch ihre mu&#x017F;terhafte An-<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0252] Muͤnchener nie, freylich auch nicht das hoͤf- liche Zuvorkommen, dafuͤr aber die unge- zwungenſte Gaſtfreundſchaft gegen jeden, der ihm empfohlen worden. Seine Freymuͤthig- keit im Urtheilen uͤber ſeine Vorgeſetzte, uͤber ihre Handlungen und Einrichtungen, geht faſt bis zur Ungezogenheit, und er theilt ſeine An- merkungen nicht etwa nur leiſe, ſondern ganz laut, in ſeinem natuͤrlichen, derben Tone und in ſeiner kraͤftigen Sprache, oͤffentlich mit. Wer Leute ſehen will, die ſich bei ihren Freu- den unverholen, ohne Ziererey, herzlich freuen, der gehe nach Muͤnchen in die Geſellſchaften derjenigen Mittelklaſſe, die ich hier uͤberhaupt im Sinn habe, und er wird noch wahrhafte Heiterkeit und Geſelligkeit finden. Eben die- ſe Leute zerfließen in Thraͤnen bei einem ruͤh- renden Schauſpiel, und draͤngen ſich, einem Ungluͤcklichen, dem auf der Straße ein Zufall begegnet iſt, Wohlthaten zu erweiſen und in ihre Haͤuſer aufzunehmen. Aus eben dieſer Quelle mag wohl auch ihre muſterhafte An-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/252
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/252>, abgerufen am 13.05.2024.