Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Fremden aus andern deutschen Provinzen un-
gezogen vorkommen muß, und ein Benehmen,
das dieses Geschlecht in andern deutschen
Städten, besonders in Niederdeutschland, als
Beleidigung aufnehmen müßte, das aber hier
von den rothbäckigen Mädchen und Weibern
höchst gutmüthig und mit einer ihnen eigent-
thümlichen Jovialität angesehen und erwiedert
wird. Man muß sich hier von dem Scheine
nicht blenden lassen, und mancher öffentlich
gegebene und genommene Kuß, sogar noch
etwas mehr, beweisen unendlich weniger, als
ein verstohlner Blick, und ein leiser Fußtritt
da, wo man öffentlich alles, auch nur aus
der Ferne, anstößig Scheinende verbirgt, um
sich heimlich demselben ohne Maß und Ziel
zu überlassen. Daß aber die Grundsätze bei-
der Geschlechter in dem angeregten Punkte
hier nicht die reinsten und festesten sind, läßt
sich aus der leichten und sinnlichen Lebensart,
und aus den hier ziemlich häufig gegebenen
erlauchten Beispielen, ohne weitläuftige Er-
innerung leichtlich ermessen.

Fremden aus andern deutſchen Provinzen un-
gezogen vorkommen muß, und ein Benehmen,
das dieſes Geſchlecht in andern deutſchen
Staͤdten, beſonders in Niederdeutſchland, als
Beleidigung aufnehmen muͤßte, das aber hier
von den rothbaͤckigen Maͤdchen und Weibern
hoͤchſt gutmuͤthig und mit einer ihnen eigent-
thuͤmlichen Jovialitaͤt angeſehen und erwiedert
wird. Man muß ſich hier von dem Scheine
nicht blenden laſſen, und mancher oͤffentlich
gegebene und genommene Kuß, ſogar noch
etwas mehr, beweiſen unendlich weniger, als
ein verſtohlner Blick, und ein leiſer Fußtritt
da, wo man oͤffentlich alles, auch nur aus
der Ferne, anſtoͤßig Scheinende verbirgt, um
ſich heimlich demſelben ohne Maß und Ziel
zu uͤberlaſſen. Daß aber die Grundſaͤtze bei-
der Geſchlechter in dem angeregten Punkte
hier nicht die reinſten und feſteſten ſind, laͤßt
ſich aus der leichten und ſinnlichen Lebensart,
und aus den hier ziemlich haͤufig gegebenen
erlauchten Beiſpielen, ohne weitlaͤuftige Er-
innerung leichtlich ermeſſen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0254" n="246"/>
Fremden aus andern deut&#x017F;chen Provinzen un-<lb/>
gezogen vorkommen muß, und ein Benehmen,<lb/>
das die&#x017F;es Ge&#x017F;chlecht in andern deut&#x017F;chen<lb/>
Sta&#x0364;dten, be&#x017F;onders in Niederdeut&#x017F;chland, als<lb/>
Beleidigung aufnehmen mu&#x0364;ßte, das aber hier<lb/>
von den rothba&#x0364;ckigen Ma&#x0364;dchen und Weibern<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t gutmu&#x0364;thig und mit einer ihnen eigent-<lb/>
thu&#x0364;mlichen Jovialita&#x0364;t ange&#x017F;ehen und erwiedert<lb/>
wird. Man muß &#x017F;ich hier von dem Scheine<lb/>
nicht blenden la&#x017F;&#x017F;en, und mancher o&#x0364;ffentlich<lb/>
gegebene und genommene Kuß, &#x017F;ogar noch<lb/>
etwas mehr, bewei&#x017F;en unendlich weniger, als<lb/>
ein ver&#x017F;tohlner Blick, und ein lei&#x017F;er Fußtritt<lb/>
da, wo man o&#x0364;ffentlich alles, auch nur aus<lb/>
der Ferne, an&#x017F;to&#x0364;ßig Scheinende verbirgt, um<lb/>
&#x017F;ich heimlich dem&#x017F;elben ohne Maß und Ziel<lb/>
zu u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Daß aber die Grund&#x017F;a&#x0364;tze bei-<lb/>
der Ge&#x017F;chlechter in dem angeregten Punkte<lb/>
hier nicht die rein&#x017F;ten und fe&#x017F;te&#x017F;ten &#x017F;ind, la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich aus der leichten und &#x017F;innlichen Lebensart,<lb/>
und aus den hier ziemlich ha&#x0364;ufig gegebenen<lb/><hi rendition="#g">erlauchten</hi> Bei&#x017F;pielen, ohne weitla&#x0364;uftige Er-<lb/>
innerung leichtlich erme&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0254] Fremden aus andern deutſchen Provinzen un- gezogen vorkommen muß, und ein Benehmen, das dieſes Geſchlecht in andern deutſchen Staͤdten, beſonders in Niederdeutſchland, als Beleidigung aufnehmen muͤßte, das aber hier von den rothbaͤckigen Maͤdchen und Weibern hoͤchſt gutmuͤthig und mit einer ihnen eigent- thuͤmlichen Jovialitaͤt angeſehen und erwiedert wird. Man muß ſich hier von dem Scheine nicht blenden laſſen, und mancher oͤffentlich gegebene und genommene Kuß, ſogar noch etwas mehr, beweiſen unendlich weniger, als ein verſtohlner Blick, und ein leiſer Fußtritt da, wo man oͤffentlich alles, auch nur aus der Ferne, anſtoͤßig Scheinende verbirgt, um ſich heimlich demſelben ohne Maß und Ziel zu uͤberlaſſen. Daß aber die Grundſaͤtze bei- der Geſchlechter in dem angeregten Punkte hier nicht die reinſten und feſteſten ſind, laͤßt ſich aus der leichten und ſinnlichen Lebensart, und aus den hier ziemlich haͤufig gegebenen erlauchten Beiſpielen, ohne weitlaͤuftige Er- innerung leichtlich ermeſſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/254
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/254>, abgerufen am 13.05.2024.