Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer sicher zu seyn, und sie muß empfangen,
um überzeugt zu werden, daß sie seiner sicher
ist. Dieß Band des thierischen Triebes, der
Eigenliebe und des Eigennutzes ist nicht halt-
bar. Sie findet bey ihm keine Liebe, und er
bey ihr höchstens Dankbarkeit, nie persönliche
Anhänglichkeit, ihr Herz müßte denn unge-
wöhnlich gut seyn. Ein ängstliches Mißtrauen
auf beyden Seiten theilt ihnen eine Empfin-
dung mit, die wie Eifersucht aussieht, und im
Grunde hält bloß diese eine Verbindung zu-
sammen, die so locker und so quälend ist, als
sie, für das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft
und die Fortpflanzung des menschlichen Ge-
schlechts, zu seyn verdienet.

Daß die Unterhaltung einer solchen Per-
son sehr kostbar seyn müsse, fließt aus dem
vorigen. Man miethet eine Wohnung, die
der Eitelkeit des Unterhalters und den An-
maßungen der Unterhaltenen angemessen ist.
Sie muß in einer lebhaften Straße seyn, da-
mit man, wenn man bey ihr im Fenster liegt,

ihrer ſicher zu ſeyn, und ſie muß empfangen,
um uͤberzeugt zu werden, daß ſie ſeiner ſicher
iſt. Dieß Band des thieriſchen Triebes, der
Eigenliebe und des Eigennutzes iſt nicht halt-
bar. Sie findet bey ihm keine Liebe, und er
bey ihr hoͤchſtens Dankbarkeit, nie perſoͤnliche
Anhaͤnglichkeit, ihr Herz muͤßte denn unge-
woͤhnlich gut ſeyn. Ein aͤngſtliches Mißtrauen
auf beyden Seiten theilt ihnen eine Empfin-
dung mit, die wie Eiferſucht ausſieht, und im
Grunde haͤlt bloß dieſe eine Verbindung zu-
ſammen, die ſo locker und ſo quaͤlend iſt, als
ſie, fuͤr das Wohl der buͤrgerlichen Geſellſchaft
und die Fortpflanzung des menſchlichen Ge-
ſchlechts, zu ſeyn verdienet.

Daß die Unterhaltung einer ſolchen Per-
ſon ſehr koſtbar ſeyn muͤſſe, fließt aus dem
vorigen. Man miethet eine Wohnung, die
der Eitelkeit des Unterhalters und den An-
maßungen der Unterhaltenen angemeſſen iſt.
Sie muß in einer lebhaften Straße ſeyn, da-
mit man, wenn man bey ihr im Fenſter liegt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="58"/>
ihrer &#x017F;icher zu &#x017F;eyn, und &#x017F;ie muß empfangen,<lb/>
um u&#x0364;berzeugt zu werden, daß &#x017F;ie &#x017F;einer &#x017F;icher<lb/>
i&#x017F;t. Dieß Band des thieri&#x017F;chen Triebes, der<lb/>
Eigenliebe und des Eigennutzes i&#x017F;t nicht halt-<lb/>
bar. Sie findet bey ihm keine Liebe, und er<lb/>
bey ihr ho&#x0364;ch&#x017F;tens Dankbarkeit, nie per&#x017F;o&#x0364;nliche<lb/>
Anha&#x0364;nglichkeit, ihr Herz mu&#x0364;ßte denn unge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich gut &#x017F;eyn. Ein a&#x0364;ng&#x017F;tliches Mißtrauen<lb/>
auf beyden Seiten theilt ihnen eine Empfin-<lb/>
dung mit, die wie Eifer&#x017F;ucht aus&#x017F;ieht, und im<lb/>
Grunde ha&#x0364;lt bloß die&#x017F;e eine Verbindung zu-<lb/>
&#x017F;ammen, die &#x017F;o locker und &#x017F;o qua&#x0364;lend i&#x017F;t, als<lb/>
&#x017F;ie, fu&#x0364;r das Wohl der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
und die Fortpflanzung des men&#x017F;chlichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts, zu &#x017F;eyn verdienet.</p><lb/>
        <p>Daß die Unterhaltung einer &#x017F;olchen Per-<lb/>
&#x017F;on &#x017F;ehr ko&#x017F;tbar &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, fließt aus dem<lb/>
vorigen. Man miethet eine Wohnung, die<lb/>
der Eitelkeit des Unterhalters und den An-<lb/>
maßungen der Unterhaltenen angeme&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t.<lb/>
Sie muß in einer lebhaften Straße &#x017F;eyn, da-<lb/>
mit man, wenn man bey ihr im Fen&#x017F;ter liegt,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0068] ihrer ſicher zu ſeyn, und ſie muß empfangen, um uͤberzeugt zu werden, daß ſie ſeiner ſicher iſt. Dieß Band des thieriſchen Triebes, der Eigenliebe und des Eigennutzes iſt nicht halt- bar. Sie findet bey ihm keine Liebe, und er bey ihr hoͤchſtens Dankbarkeit, nie perſoͤnliche Anhaͤnglichkeit, ihr Herz muͤßte denn unge- woͤhnlich gut ſeyn. Ein aͤngſtliches Mißtrauen auf beyden Seiten theilt ihnen eine Empfin- dung mit, die wie Eiferſucht ausſieht, und im Grunde haͤlt bloß dieſe eine Verbindung zu- ſammen, die ſo locker und ſo quaͤlend iſt, als ſie, fuͤr das Wohl der buͤrgerlichen Geſellſchaft und die Fortpflanzung des menſchlichen Ge- ſchlechts, zu ſeyn verdienet. Daß die Unterhaltung einer ſolchen Per- ſon ſehr koſtbar ſeyn muͤſſe, fließt aus dem vorigen. Man miethet eine Wohnung, die der Eitelkeit des Unterhalters und den An- maßungen der Unterhaltenen angemeſſen iſt. Sie muß in einer lebhaften Straße ſeyn, da- mit man, wenn man bey ihr im Fenſter liegt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/68
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/68>, abgerufen am 07.05.2024.