scheidenen Wesen, in Warschau. Er kam täg- lich in den weißen Adler zu Tische, und fiel mir dort wegen eben dieses, einem jungen Polen ungewöhnlichen, sanften Wesens auf. Jn den ersten Tagen trug er sich polnisch; die Farbe seines Kleides war unscheinbar; sein Paß nicht prächtig; sein Säbel, nach älterer Sitte, klein und schwarz. Er mischte sich we- nig in die Unterhaltung, und forderte, was er brauchte, von den Kredenzern (so nennt man hier die Kellner) ohne Geräusch, und er- wartete es ohne Ungeduld. Auch kam er je- desmal zu Fuße. Jch erfuhr, sein Vater, der sehr reich seyn sollte, habe ihn nach Warschau geschickt, daß er mit der Welt bekannt werden möchte. Gewöhnlich hatte er einen andern jungen Mann, einen Officier von der Artille- rie, der jedoch einige Jahre älter war, bey sich. Jch fand beyde häufig im Reichstags- saale, wo sie sehr aufmerksam waren, und in einigen öffentlichen Gesellschaften wieder, wo sie wenig Bekanntschaft zu haben schienen
ſcheidenen Weſen, in Warſchau. Er kam taͤg- lich in den weißen Adler zu Tiſche, und fiel mir dort wegen eben dieſes, einem jungen Polen ungewoͤhnlichen, ſanften Weſens auf. Jn den erſten Tagen trug er ſich polniſch; die Farbe ſeines Kleides war unſcheinbar; ſein Paß nicht praͤchtig; ſein Saͤbel, nach aͤlterer Sitte, klein und ſchwarz. Er miſchte ſich we- nig in die Unterhaltung, und forderte, was er brauchte, von den Kredenzern (ſo nennt man hier die Kellner) ohne Geraͤuſch, und er- wartete es ohne Ungeduld. Auch kam er je- desmal zu Fuße. Jch erfuhr, ſein Vater, der ſehr reich ſeyn ſollte, habe ihn nach Warſchau geſchickt, daß er mit der Welt bekannt werden moͤchte. Gewoͤhnlich hatte er einen andern jungen Mann, einen Officier von der Artille- rie, der jedoch einige Jahre aͤlter war, bey ſich. Jch fand beyde haͤufig im Reichstags- ſaale, wo ſie ſehr aufmerkſam waren, und in einigen oͤffentlichen Geſellſchaften wieder, wo ſie wenig Bekanntſchaft zu haben ſchienen
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[10/0020]
ſcheidenen Weſen, in Warſchau. Er kam taͤg-
lich in den weißen Adler zu Tiſche, und
fiel mir dort wegen eben dieſes, einem jungen
Polen ungewoͤhnlichen, ſanften Weſens auf.
Jn den erſten Tagen trug er ſich polniſch;
die Farbe ſeines Kleides war unſcheinbar; ſein
Paß nicht praͤchtig; ſein Saͤbel, nach aͤlterer
Sitte, klein und ſchwarz. Er miſchte ſich we-
nig in die Unterhaltung, und forderte, was er
brauchte, von den Kredenzern (ſo nennt
man hier die Kellner) ohne Geraͤuſch, und er-
wartete es ohne Ungeduld. Auch kam er je-
desmal zu Fuße. Jch erfuhr, ſein Vater, der
ſehr reich ſeyn ſollte, habe ihn nach Warſchau
geſchickt, daß er mit der Welt bekannt werden
moͤchte. Gewoͤhnlich hatte er einen andern
jungen Mann, einen Officier von der Artille-
rie, der jedoch einige Jahre aͤlter war, bey
ſich. Jch fand beyde haͤufig im Reichstags-
ſaale, wo ſie ſehr aufmerkſam waren, und in
einigen oͤffentlichen Geſellſchaften wieder, wo
ſie wenig Bekanntſchaft zu haben ſchienen
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/20>, abgerufen am 22.07.2024.
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