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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

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men werden. Jhre gerichtlichen Kenntnisse sind
höchst eingeschränkt. Was man in andern Län-
dern Rechtsgelehrsamkeit nennt, ist hier gar
nicht bekannt. Die polnische geht aus den
Konstitutionen des Reichstags, aus dem Ge-
richtsbrauch und aus den Privilegien, Ver-
günstigungen und Vorrechten der verschiedenen
Stände, die bey Rechtshändeln in Abschriften
der Klage jedesmal beygelegt werden müssen,
hervor. Neuere Konstitutionen und Privile-
gien werfen ältere um; Rechtsfragen, über
welche jene nicht entscheiden, werden auch nicht
mit Beyhülfe ausländischer Rechte erörtert,
sondern man martert entweder die vorhande-
nen Beschlüsse, um sie ihnen durch Erweite-
rung oder Verengerung anzupassen, oder man
antwortet durch Willkühr darauf; ein allge-
meines Gesetzbuch ist nicht vorhanden, und die
Konstitutionen und Verordnungen widerspre-
chen einander häufig. Auch sind ihrer so viel,
daß sie, bey dem eifrigsten Studium, nicht
übersehen, noch weniger, nach ihrem eigentli-

men werden. Jhre gerichtlichen Kenntniſſe ſind
hoͤchſt eingeſchraͤnkt. Was man in andern Laͤn-
dern Rechtsgelehrſamkeit nennt, iſt hier gar
nicht bekannt. Die polniſche geht aus den
Konſtitutionen des Reichstags, aus dem Ge-
richtsbrauch und aus den Privilegien, Ver-
guͤnſtigungen und Vorrechten der verſchiedenen
Staͤnde, die bey Rechtshaͤndeln in Abſchriften
der Klage jedesmal beygelegt werden muͤſſen,
hervor. Neuere Konſtitutionen und Privile-
gien werfen aͤltere um; Rechtsfragen, uͤber
welche jene nicht entſcheiden, werden auch nicht
mit Beyhuͤlfe auslaͤndiſcher Rechte eroͤrtert,
ſondern man martert entweder die vorhande-
nen Beſchluͤſſe, um ſie ihnen durch Erweite-
rung oder Verengerung anzupaſſen, oder man
antwortet durch Willkuͤhr darauf; ein allge-
meines Geſetzbuch iſt nicht vorhanden, und die
Konſtitutionen und Verordnungen widerſpre-
chen einander haͤufig. Auch ſind ihrer ſo viel,
daß ſie, bey dem eifrigſten Studium, nicht
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[181/0191] men werden. Jhre gerichtlichen Kenntniſſe ſind hoͤchſt eingeſchraͤnkt. Was man in andern Laͤn- dern Rechtsgelehrſamkeit nennt, iſt hier gar nicht bekannt. Die polniſche geht aus den Konſtitutionen des Reichstags, aus dem Ge- richtsbrauch und aus den Privilegien, Ver- guͤnſtigungen und Vorrechten der verſchiedenen Staͤnde, die bey Rechtshaͤndeln in Abſchriften der Klage jedesmal beygelegt werden muͤſſen, hervor. Neuere Konſtitutionen und Privile- gien werfen aͤltere um; Rechtsfragen, uͤber welche jene nicht entſcheiden, werden auch nicht mit Beyhuͤlfe auslaͤndiſcher Rechte eroͤrtert, ſondern man martert entweder die vorhande- nen Beſchluͤſſe, um ſie ihnen durch Erweite- rung oder Verengerung anzupaſſen, oder man antwortet durch Willkuͤhr darauf; ein allge- meines Geſetzbuch iſt nicht vorhanden, und die Konſtitutionen und Verordnungen widerſpre- chen einander haͤufig. Auch ſind ihrer ſo viel, daß ſie, bey dem eifrigſten Studium, nicht uͤberſehen, noch weniger, nach ihrem eigentli-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/191>, abgerufen am 06.05.2024.