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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795.

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der Nation, und Ehrfurcht, Eitelkeit, lär-
mender, unmäßiger Genuß, und Unterhand-
lungssucht verhüllten hier nicht länger ihr
glückliches Naturell.

Die Leerheit und lange Weile, die an-
derwärts die große Welt für ihre Unmäßig-
keit in Vergnügungen bestraft, bemerkt man
in Warschau weniger. Die natürliche, höchst
ungezwungene Art, wie man hier in der Ge-
sellschaft kommt und geht, einander anredet,
unterhält und verläßt, seine Meinung sagt,
seine Talente zur Unterhaltung geltend macht,
hat ungemeinen Reiz. Man spricht in jeder
Sprache, die man versteht; man spricht (und
es ist nicht zu verkennen, daß Eitelkeit dabey
zum Grunde liegt) alle Sprachen, die man
versteht, in einer einzigen Unterhaltung, be-
sonders polnisch, französisch, italienisch, deutsch.
Bis auf den Spanier und Türken, finden
Fremde hier Personen, die ihre Sprache re-
den; und wenn sich jene hierin über etwas

der Nation, und Ehrfurcht, Eitelkeit, laͤr-
mender, unmaͤßiger Genuß, und Unterhand-
lungsſucht verhuͤllten hier nicht laͤnger ihr
gluͤckliches Naturell.

Die Leerheit und lange Weile, die an-
derwaͤrts die große Welt fuͤr ihre Unmaͤßig-
keit in Vergnuͤgungen beſtraft, bemerkt man
in Warſchau weniger. Die natuͤrliche, hoͤchſt
ungezwungene Art, wie man hier in der Ge-
ſellſchaft kommt und geht, einander anredet,
unterhaͤlt und verlaͤßt, ſeine Meinung ſagt,
ſeine Talente zur Unterhaltung geltend macht,
hat ungemeinen Reiz. Man ſpricht in jeder
Sprache, die man verſteht; man ſpricht (und
es iſt nicht zu verkennen, daß Eitelkeit dabey
zum Grunde liegt) alle Sprachen, die man
verſteht, in einer einzigen Unterhaltung, be-
ſonders polniſch, franzoͤſiſch, italieniſch, deutſch.
Bis auf den Spanier und Tuͤrken, finden
Fremde hier Perſonen, die ihre Sprache re-
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[201/0211] der Nation, und Ehrfurcht, Eitelkeit, laͤr- mender, unmaͤßiger Genuß, und Unterhand- lungsſucht verhuͤllten hier nicht laͤnger ihr gluͤckliches Naturell. Die Leerheit und lange Weile, die an- derwaͤrts die große Welt fuͤr ihre Unmaͤßig- keit in Vergnuͤgungen beſtraft, bemerkt man in Warſchau weniger. Die natuͤrliche, hoͤchſt ungezwungene Art, wie man hier in der Ge- ſellſchaft kommt und geht, einander anredet, unterhaͤlt und verlaͤßt, ſeine Meinung ſagt, ſeine Talente zur Unterhaltung geltend macht, hat ungemeinen Reiz. Man ſpricht in jeder Sprache, die man verſteht; man ſpricht (und es iſt nicht zu verkennen, daß Eitelkeit dabey zum Grunde liegt) alle Sprachen, die man verſteht, in einer einzigen Unterhaltung, be- ſonders polniſch, franzoͤſiſch, italieniſch, deutſch. Bis auf den Spanier und Tuͤrken, finden Fremde hier Perſonen, die ihre Sprache re- den; und wenn ſich jene hierin uͤber etwas

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/211>, abgerufen am 03.05.2024.