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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795.

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men der reizendsten Weiber, in der Unterre-
dung mit den geistvollsten Männern, oder der
anlockendsten, reichsten Bank gegenüber, allen
Empfindungen und Leidenschaften volle Weide
dar.

Jn diesem Gedränge schien alles gleich,
und Anmaßung und Schüchternheit waren
gleich weit entfernt. Wer ein Kleid trug,
das zur Gesellschaft paßte, hatte alle übrige
Eigenschaften, die dazu erforderlich waren,
zugleich mit ihm angezogen. Kein neugieriger
Blick, keine kleinstädtische Frage, beunruhigte
sein Selbstgefühl; die schönste Hand war zum
Tanze sein, wenn sie nicht schon versprochen
war; die erlauchtesten Personen setzten sich
mit ihm an einen Spieltisch; die geistvollsten
Sprecher wußten es ihm Dank, wenn er ihre
aufmerksamen Kreise erweiterte. Selbst Plump-
heit im Benehmen und Gierigkeit im Ge-
nusse fielen an einem Orte nicht auf, dessen
Dunstkreis und wollustvolle Regsamkeit nicht
bestimmt waren, die Gefühle und ihre Aeuße-

men der reizendſten Weiber, in der Unterre-
dung mit den geiſtvollſten Maͤnnern, oder der
anlockendſten, reichſten Bank gegenuͤber, allen
Empfindungen und Leidenſchaften volle Weide
dar.

Jn dieſem Gedraͤnge ſchien alles gleich,
und Anmaßung und Schuͤchternheit waren
gleich weit entfernt. Wer ein Kleid trug,
das zur Geſellſchaft paßte, hatte alle uͤbrige
Eigenſchaften, die dazu erforderlich waren,
zugleich mit ihm angezogen. Kein neugieriger
Blick, keine kleinſtaͤdtiſche Frage, beunruhigte
ſein Selbſtgefuͤhl; die ſchoͤnſte Hand war zum
Tanze ſein, wenn ſie nicht ſchon verſprochen
war; die erlauchteſten Perſonen ſetzten ſich
mit ihm an einen Spieltiſch; die geiſtvollſten
Sprecher wußten es ihm Dank, wenn er ihre
aufmerkſamen Kreiſe erweiterte. Selbſt Plump-
heit im Benehmen und Gierigkeit im Ge-
nuſſe fielen an einem Orte nicht auf, deſſen
Dunſtkreis und wolluſtvolle Regſamkeit nicht
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[185/0195] men der reizendſten Weiber, in der Unterre- dung mit den geiſtvollſten Maͤnnern, oder der anlockendſten, reichſten Bank gegenuͤber, allen Empfindungen und Leidenſchaften volle Weide dar. Jn dieſem Gedraͤnge ſchien alles gleich, und Anmaßung und Schuͤchternheit waren gleich weit entfernt. Wer ein Kleid trug, das zur Geſellſchaft paßte, hatte alle uͤbrige Eigenſchaften, die dazu erforderlich waren, zugleich mit ihm angezogen. Kein neugieriger Blick, keine kleinſtaͤdtiſche Frage, beunruhigte ſein Selbſtgefuͤhl; die ſchoͤnſte Hand war zum Tanze ſein, wenn ſie nicht ſchon verſprochen war; die erlauchteſten Perſonen ſetzten ſich mit ihm an einen Spieltiſch; die geiſtvollſten Sprecher wußten es ihm Dank, wenn er ihre aufmerkſamen Kreiſe erweiterte. Selbſt Plump- heit im Benehmen und Gierigkeit im Ge- nuſſe fielen an einem Orte nicht auf, deſſen Dunſtkreis und wolluſtvolle Regſamkeit nicht beſtimmt waren, die Gefuͤhle und ihre Aeuße-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/195>, abgerufen am 21.11.2024.