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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795.

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verbreiten dem Reste ihrer Nation schuldig
wären.

Der Kern der großen und feinen Welt
in Warschau besteht meist aus Personen, die
auf diesem Wege zu ihrer Ausbildung gekom-
men sind. Sie bleiben Muster und Richt-
schnur für die übrigen, die nicht an der Quelle
selbst schöpften, und werden von diesen so
willig nachgeahmt, wie sie selbst ihre Vorbil-
der in Frankreich, England und Jtalien nach-
ahmten. Die große Welt in Warschau hat
also einen Ton, der in vielen Stücken den
Ton anderer Nationen ähnelt, der aber auch
eine Menge eigenthümlicher Züge darbietet.

Vormals war in Frankreich der Charak-
ter der großen Welt: Streben nach Wür-
den und Auszeichnung im Staate, nach per-
sönlicher Gunst des Fürsten, nach dem Ruf
eines muthvollen Kriegers, eines schlauen Ge-
schäftsmannes, eines prächtigen Wirths, eines
angenehmen Gesellschafters, eines geschmack-
vollen Kunst- und Kleiderkenners, eines witz-

verbreiten dem Reſte ihrer Nation ſchuldig
waͤren.

Der Kern der großen und feinen Welt
in Warſchau beſteht meiſt aus Perſonen, die
auf dieſem Wege zu ihrer Ausbildung gekom-
men ſind. Sie bleiben Muſter und Richt-
ſchnur fuͤr die uͤbrigen, die nicht an der Quelle
ſelbſt ſchoͤpften, und werden von dieſen ſo
willig nachgeahmt, wie ſie ſelbſt ihre Vorbil-
der in Frankreich, England und Jtalien nach-
ahmten. Die große Welt in Warſchau hat
alſo einen Ton, der in vielen Stuͤcken den
Ton anderer Nationen aͤhnelt, der aber auch
eine Menge eigenthuͤmlicher Zuͤge darbietet.

Vormals war in Frankreich der Charak-
ter der großen Welt: Streben nach Wuͤr-
den und Auszeichnung im Staate, nach per-
ſoͤnlicher Gunſt des Fuͤrſten, nach dem Ruf
eines muthvollen Kriegers, eines ſchlauen Ge-
ſchaͤftsmannes, eines praͤchtigen Wirths, eines
angenehmen Geſellſchafters, eines geſchmack-
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[174/0184] verbreiten dem Reſte ihrer Nation ſchuldig waͤren. Der Kern der großen und feinen Welt in Warſchau beſteht meiſt aus Perſonen, die auf dieſem Wege zu ihrer Ausbildung gekom- men ſind. Sie bleiben Muſter und Richt- ſchnur fuͤr die uͤbrigen, die nicht an der Quelle ſelbſt ſchoͤpften, und werden von dieſen ſo willig nachgeahmt, wie ſie ſelbſt ihre Vorbil- der in Frankreich, England und Jtalien nach- ahmten. Die große Welt in Warſchau hat alſo einen Ton, der in vielen Stuͤcken den Ton anderer Nationen aͤhnelt, der aber auch eine Menge eigenthuͤmlicher Zuͤge darbietet. Vormals war in Frankreich der Charak- ter der großen Welt: Streben nach Wuͤr- den und Auszeichnung im Staate, nach per- ſoͤnlicher Gunſt des Fuͤrſten, nach dem Ruf eines muthvollen Kriegers, eines ſchlauen Ge- ſchaͤftsmannes, eines praͤchtigen Wirths, eines angenehmen Geſellſchafters, eines geſchmack- vollen Kunſt- und Kleiderkenners, eines witz-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, H. 2. Berlin, 1795, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0102_1795/184>, abgerufen am 02.05.2024.