vor dem Wagen standen. Kein Mensch machte auch nur die Miene, als ob er ein Trinkgeld von mir haben wollte. Dies Völkchen mag ungefähr 300 Köpfe stark seyn. Der Schulze oder Vater, der zugleich den Postwechsel be- sorgt, schien bey ihnen in großen Ansehn zu stehen. Es war ein alter Mann, in den Sechzigen, der viel Artigkeit und Munterkeit zeigte.
Von Gog aus, läuft der Weg noch eine Weile durch das Thal hin, endlich erhebt er sich wieder rechts und man verliert es aus dem Gesichte zugleich mit der Memel. Diese, die, wie alles in Lithauen, sich selbst überlassen ist, war in eine Niederung hinein getreten und hatte sie dergestalt ausgefüllt, daß, auf einen angestellten Versuch, das Wasser wenigstens einen Fuß hoch in meinen Wagen hätte drin- gen müssen. Jch war gezwungen, alles aus- und abpacken, es auf die andere Seite hinüber- tragen und so mein Fuhrwerk schwimmend nachkommen zu lassen. Zwey gutmüthige Li-
vor dem Wagen ſtanden. Kein Menſch machte auch nur die Miene, als ob er ein Trinkgeld von mir haben wollte. Dies Voͤlkchen mag ungefaͤhr 300 Koͤpfe ſtark ſeyn. Der Schulze oder Vater, der zugleich den Poſtwechſel be- ſorgt, ſchien bey ihnen in großen Anſehn zu ſtehen. Es war ein alter Mann, in den Sechzigen, der viel Artigkeit und Munterkeit zeigte.
Von Gog aus, laͤuft der Weg noch eine Weile durch das Thal hin, endlich erhebt er ſich wieder rechts und man verliert es aus dem Geſichte zugleich mit der Memel. Dieſe, die, wie alles in Lithauen, ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt, war in eine Niederung hinein getreten und hatte ſie dergeſtalt ausgefuͤllt, daß, auf einen angeſtellten Verſuch, das Waſſer wenigſtens einen Fuß hoch in meinen Wagen haͤtte drin- gen muͤſſen. Jch war gezwungen, alles aus- und abpacken, es auf die andere Seite hinuͤber- tragen und ſo mein Fuhrwerk ſchwimmend nachkommen zu laſſen. Zwey gutmuͤthige Li-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0049"n="31"/>
vor dem Wagen ſtanden. Kein Menſch machte<lb/>
auch nur die Miene, als ob er ein Trinkgeld<lb/>
von mir haben wollte. Dies Voͤlkchen mag<lb/>
ungefaͤhr 300 Koͤpfe ſtark ſeyn. Der Schulze<lb/>
oder Vater, der zugleich den Poſtwechſel be-<lb/>ſorgt, ſchien bey ihnen in großen Anſehn zu<lb/>ſtehen. Es war ein alter Mann, in den<lb/>
Sechzigen, der viel Artigkeit und Munterkeit<lb/>
zeigte.</p><lb/><p>Von <hirendition="#g">Gog</hi> aus, laͤuft der Weg noch eine<lb/>
Weile durch das Thal hin, endlich erhebt er<lb/>ſich wieder rechts und man verliert es aus dem<lb/>
Geſichte zugleich mit der Memel. Dieſe, die,<lb/>
wie alles in Lithauen, ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt,<lb/>
war in eine Niederung hinein getreten und<lb/>
hatte ſie dergeſtalt ausgefuͤllt, daß, auf einen<lb/>
angeſtellten Verſuch, das Waſſer wenigſtens<lb/>
einen Fuß hoch in meinen Wagen haͤtte drin-<lb/>
gen muͤſſen. Jch war gezwungen, alles aus-<lb/>
und abpacken, es auf die andere Seite hinuͤber-<lb/>
tragen und ſo mein Fuhrwerk ſchwimmend<lb/>
nachkommen zu laſſen. Zwey gutmuͤthige Li-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0049]
vor dem Wagen ſtanden. Kein Menſch machte
auch nur die Miene, als ob er ein Trinkgeld
von mir haben wollte. Dies Voͤlkchen mag
ungefaͤhr 300 Koͤpfe ſtark ſeyn. Der Schulze
oder Vater, der zugleich den Poſtwechſel be-
ſorgt, ſchien bey ihnen in großen Anſehn zu
ſtehen. Es war ein alter Mann, in den
Sechzigen, der viel Artigkeit und Munterkeit
zeigte.
Von Gog aus, laͤuft der Weg noch eine
Weile durch das Thal hin, endlich erhebt er
ſich wieder rechts und man verliert es aus dem
Geſichte zugleich mit der Memel. Dieſe, die,
wie alles in Lithauen, ſich ſelbſt uͤberlaſſen iſt,
war in eine Niederung hinein getreten und
hatte ſie dergeſtalt ausgefuͤllt, daß, auf einen
angeſtellten Verſuch, das Waſſer wenigſtens
einen Fuß hoch in meinen Wagen haͤtte drin-
gen muͤſſen. Jch war gezwungen, alles aus-
und abpacken, es auf die andere Seite hinuͤber-
tragen und ſo mein Fuhrwerk ſchwimmend
nachkommen zu laſſen. Zwey gutmuͤthige Li-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/49>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.