Den 1sten May. Der Weg von Mitau bis Kalm (Kalmiow) beträgt 4 Meilen. Der Boden bis dahin ist größtentheils ein gelb- röthlicher Letten, und äußerst fruchtbar. Auch ist das Kirchspiel Sessau, durch welches der Weg führt, einer der fruchtbarsten Landstriche in Kurland. Ein ebener Weg, der Theilweise mit dünnem Gehölz auf beiden Seiten besetzt ist, machte diese Post nicht sehr abwechselnd. Die frühesten Bäume knospeten nur erst und ein kalter Wind, der meinen Pelz durchfuhr, erinnerte mich, daß ich noch in Kurland sey. Das Korn war im Hervorschossen und über- zog mit einem spärlichen Grün die Felder. Der junge Rasen kämpfte noch mit dem ver- blaßten vom vorigen Jahre. Uebrigens machte ich jene vier Meilen in 31/2 Stunde, was für die Kurländischen Posten nicht zu geschwind war.
Kalm, der erste Lithauische Ort, ist ein bloßes Dorf, an dessen Eingange der Schlag- baum gegen Kurland sich befindet, und wo man durchsucht wird. Als ich vor anderthalb
Den 1ſten May. Der Weg von Mitau bis Kalm (Kalmiow) betraͤgt 4 Meilen. Der Boden bis dahin iſt groͤßtentheils ein gelb- roͤthlicher Letten, und aͤußerſt fruchtbar. Auch iſt das Kirchſpiel Seſſau, durch welches der Weg fuͤhrt, einer der fruchtbarſten Landſtriche in Kurland. Ein ebener Weg, der Theilweiſe mit duͤnnem Gehoͤlz auf beiden Seiten beſetzt iſt, machte dieſe Poſt nicht ſehr abwechſelnd. Die fruͤheſten Baͤume knospeten nur erſt und ein kalter Wind, der meinen Pelz durchfuhr, erinnerte mich, daß ich noch in Kurland ſey. Das Korn war im Hervorſchoſſen und uͤber- zog mit einem ſpaͤrlichen Gruͤn die Felder. Der junge Raſen kaͤmpfte noch mit dem ver- blaßten vom vorigen Jahre. Uebrigens machte ich jene vier Meilen in 3½ Stunde, was fuͤr die Kurlaͤndiſchen Poſten nicht zu geſchwind war.
Kalm, der erſte Lithauiſche Ort, iſt ein bloßes Dorf, an deſſen Eingange der Schlag- baum gegen Kurland ſich befindet, und wo man durchſucht wird. Als ich vor anderthalb
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Den 1ſten May. Der Weg von Mitau
bis Kalm (Kalmiow) betraͤgt 4 Meilen.
Der Boden bis dahin iſt groͤßtentheils ein gelb-
roͤthlicher Letten, und aͤußerſt fruchtbar. Auch
iſt das Kirchſpiel Seſſau, durch welches der
Weg fuͤhrt, einer der fruchtbarſten Landſtriche
in Kurland. Ein ebener Weg, der Theilweiſe
mit duͤnnem Gehoͤlz auf beiden Seiten beſetzt
iſt, machte dieſe Poſt nicht ſehr abwechſelnd.
Die fruͤheſten Baͤume knospeten nur erſt und
ein kalter Wind, der meinen Pelz durchfuhr,
erinnerte mich, daß ich noch in Kurland ſey.
Das Korn war im Hervorſchoſſen und uͤber-
zog mit einem ſpaͤrlichen Gruͤn die Felder.
Der junge Raſen kaͤmpfte noch mit dem ver-
blaßten vom vorigen Jahre. Uebrigens machte
ich jene vier Meilen in 3½ Stunde, was fuͤr
die Kurlaͤndiſchen Poſten nicht zu geſchwind war.
Kalm, der erſte Lithauiſche Ort, iſt ein
bloßes Dorf, an deſſen Eingange der Schlag-
baum gegen Kurland ſich befindet, und wo
man durchſucht wird. Als ich vor anderthalb
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/23>, abgerufen am 22.07.2024.
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