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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795.

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und beschatten und verwinkeln die beyden Sei-
tenschiffe. Der lose Geschmack, an Einer Kir-
che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine
unterirrdische Kirche hervorgebracht, die so klein-
lich ausgefallen ist, als Meisterstücke dieser
Art, ihrer Natur nach, ausfallen müssen. Ein
langes, aber enges Gewölbe, dessen Decke man
fast mit der Hand erreichen kann, schließt ei-
nen Altar und, an den Seiten herum, einige
Bänke für Zuhörer oder Zuschauer ein; es
wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer-
lichen Festen geöffnet und man lieset Messe
darin; aber hauptsächlich scheint es für das
Osterfest bestimmt zu seyn, wo man ein heili-
ges Grab darin aufstellt. Dann ziehen Tau-
sende von Menschen nach und nach durch diese
Gruft, die durch den Dampf und die Hitze
der Wachslichter und durch die Ausdünstungen
der Grabbesuchenden mit einer erstickenden Luft
angefüllt wird, und bey dem allen doch oft
genug nur zum Sehen und Gesehenwerden
oder gar zu geheimen verliebten Bestellungen

und beſchatten und verwinkeln die beyden Sei-
tenſchiffe. Der loſe Geſchmack, an Einer Kir-
che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine
unterirrdiſche Kirche hervorgebracht, die ſo klein-
lich ausgefallen iſt, als Meiſterſtuͤcke dieſer
Art, ihrer Natur nach, ausfallen muͤſſen. Ein
langes, aber enges Gewoͤlbe, deſſen Decke man
faſt mit der Hand erreichen kann, ſchließt ei-
nen Altar und, an den Seiten herum, einige
Baͤnke fuͤr Zuhoͤrer oder Zuſchauer ein; es
wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer-
lichen Feſten geoͤffnet und man lieſet Meſſe
darin; aber hauptſaͤchlich ſcheint es fuͤr das
Oſterfeſt beſtimmt zu ſeyn, wo man ein heili-
ges Grab darin aufſtellt. Dann ziehen Tau-
ſende von Menſchen nach und nach durch dieſe
Gruft, die durch den Dampf und die Hitze
der Wachslichter und durch die Ausduͤnſtungen
der Grabbeſuchenden mit einer erſtickenden Luft
angefuͤllt wird, und bey dem allen doch oft
genug nur zum Sehen und Geſehenwerden
oder gar zu geheimen verliebten Beſtellungen

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[104/0122] und beſchatten und verwinkeln die beyden Sei- tenſchiffe. Der loſe Geſchmack, an Einer Kir- che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine unterirrdiſche Kirche hervorgebracht, die ſo klein- lich ausgefallen iſt, als Meiſterſtuͤcke dieſer Art, ihrer Natur nach, ausfallen muͤſſen. Ein langes, aber enges Gewoͤlbe, deſſen Decke man faſt mit der Hand erreichen kann, ſchließt ei- nen Altar und, an den Seiten herum, einige Baͤnke fuͤr Zuhoͤrer oder Zuſchauer ein; es wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer- lichen Feſten geoͤffnet und man lieſet Meſſe darin; aber hauptſaͤchlich ſcheint es fuͤr das Oſterfeſt beſtimmt zu ſeyn, wo man ein heili- ges Grab darin aufſtellt. Dann ziehen Tau- ſende von Menſchen nach und nach durch dieſe Gruft, die durch den Dampf und die Hitze der Wachslichter und durch die Ausduͤnſtungen der Grabbeſuchenden mit einer erſtickenden Luft angefuͤllt wird, und bey dem allen doch oft genug nur zum Sehen und Geſehenwerden oder gar zu geheimen verliebten Beſtellungen

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/122>, abgerufen am 27.04.2024.