und beschatten und verwinkeln die beyden Sei- tenschiffe. Der lose Geschmack, an Einer Kir- che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine unterirrdische Kirche hervorgebracht, die so klein- lich ausgefallen ist, als Meisterstücke dieser Art, ihrer Natur nach, ausfallen müssen. Ein langes, aber enges Gewölbe, dessen Decke man fast mit der Hand erreichen kann, schließt ei- nen Altar und, an den Seiten herum, einige Bänke für Zuhörer oder Zuschauer ein; es wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer- lichen Festen geöffnet und man lieset Messe darin; aber hauptsächlich scheint es für das Osterfest bestimmt zu seyn, wo man ein heili- ges Grab darin aufstellt. Dann ziehen Tau- sende von Menschen nach und nach durch diese Gruft, die durch den Dampf und die Hitze der Wachslichter und durch die Ausdünstungen der Grabbesuchenden mit einer erstickenden Luft angefüllt wird, und bey dem allen doch oft genug nur zum Sehen und Gesehenwerden oder gar zu geheimen verliebten Bestellungen
und beſchatten und verwinkeln die beyden Sei- tenſchiffe. Der loſe Geſchmack, an Einer Kir- che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine unterirrdiſche Kirche hervorgebracht, die ſo klein- lich ausgefallen iſt, als Meiſterſtuͤcke dieſer Art, ihrer Natur nach, ausfallen muͤſſen. Ein langes, aber enges Gewoͤlbe, deſſen Decke man faſt mit der Hand erreichen kann, ſchließt ei- nen Altar und, an den Seiten herum, einige Baͤnke fuͤr Zuhoͤrer oder Zuſchauer ein; es wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer- lichen Feſten geoͤffnet und man lieſet Meſſe darin; aber hauptſaͤchlich ſcheint es fuͤr das Oſterfeſt beſtimmt zu ſeyn, wo man ein heili- ges Grab darin aufſtellt. Dann ziehen Tau- ſende von Menſchen nach und nach durch dieſe Gruft, die durch den Dampf und die Hitze der Wachslichter und durch die Ausduͤnſtungen der Grabbeſuchenden mit einer erſtickenden Luft angefuͤllt wird, und bey dem allen doch oft genug nur zum Sehen und Geſehenwerden oder gar zu geheimen verliebten Beſtellungen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0122"n="104"/>
und beſchatten und verwinkeln die beyden Sei-<lb/>
tenſchiffe. Der loſe Geſchmack, an Einer Kir-<lb/>
che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine<lb/>
unterirrdiſche Kirche hervorgebracht, die ſo klein-<lb/>
lich ausgefallen iſt, als Meiſterſtuͤcke dieſer<lb/>
Art, ihrer Natur nach, ausfallen muͤſſen. Ein<lb/>
langes, aber enges Gewoͤlbe, deſſen Decke man<lb/>
faſt mit der Hand erreichen kann, ſchließt ei-<lb/>
nen Altar und, an den Seiten herum, einige<lb/>
Baͤnke fuͤr Zuhoͤrer oder Zuſchauer ein; es<lb/>
wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer-<lb/>
lichen Feſten geoͤffnet und man lieſet Meſſe<lb/>
darin; aber hauptſaͤchlich ſcheint es fuͤr das<lb/>
Oſterfeſt beſtimmt zu ſeyn, wo man ein heili-<lb/>
ges Grab darin aufſtellt. Dann ziehen Tau-<lb/>ſende von Menſchen nach und nach durch dieſe<lb/>
Gruft, die durch den Dampf und die Hitze<lb/>
der Wachslichter und durch die Ausduͤnſtungen<lb/>
der Grabbeſuchenden mit einer erſtickenden Luft<lb/>
angefuͤllt wird, und bey dem allen doch oft<lb/>
genug nur zum Sehen und Geſehenwerden<lb/>
oder gar zu geheimen verliebten Beſtellungen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[104/0122]
und beſchatten und verwinkeln die beyden Sei-
tenſchiffe. Der loſe Geſchmack, an Einer Kir-
che ihrer zwey zu haben, hat auch hier eine
unterirrdiſche Kirche hervorgebracht, die ſo klein-
lich ausgefallen iſt, als Meiſterſtuͤcke dieſer
Art, ihrer Natur nach, ausfallen muͤſſen. Ein
langes, aber enges Gewoͤlbe, deſſen Decke man
faſt mit der Hand erreichen kann, ſchließt ei-
nen Altar und, an den Seiten herum, einige
Baͤnke fuͤr Zuhoͤrer oder Zuſchauer ein; es
wird zwey oder dreymal des Jahres an feyer-
lichen Feſten geoͤffnet und man lieſet Meſſe
darin; aber hauptſaͤchlich ſcheint es fuͤr das
Oſterfeſt beſtimmt zu ſeyn, wo man ein heili-
ges Grab darin aufſtellt. Dann ziehen Tau-
ſende von Menſchen nach und nach durch dieſe
Gruft, die durch den Dampf und die Hitze
der Wachslichter und durch die Ausduͤnſtungen
der Grabbeſuchenden mit einer erſtickenden Luft
angefuͤllt wird, und bey dem allen doch oft
genug nur zum Sehen und Geſehenwerden
oder gar zu geheimen verliebten Beſtellungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/122>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.