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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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einstimmen werde oder nicht. In dem Thurme der Dorfkirche erklangen die Glocken.

Leonore, die eben an den Männern vorüber eilen wollte, ihrem Bruder entgegen, drückte dem Pfarrer warm die Hand.

Was wollen Sie, Fräulein -- es ist ja doch der Sohn unserer alten Gutsherrschaft, sagte der freundliche alte Herr mit Rührung. Das vergessen wir nicht, Sie sehen es, mag geschehen sein, was da will!

Nun kann sie doch zufrieden sein, diese unverschämte kleine Holländerin, sagte Gertrude, welche einen wahren Widerwillen gegen die erwartete junge Frau gefaßt hatte, der in demselben Maße zunahm, wie die Last der Arbeit, welcher Gertrude sich ihretwegen unterziehen mußte: die Glocken hat doch sicherlich noch Niemand ihr zu Ehren läuten lassen!

Der Wagen bog in die Allee ein -- er kam rasch näher -- Leonore hatte ihn erreicht -- ihr Bruder sprang heraus und umarmte sie. Er war so braun und bärtig geworden, daß sie ihn kaum wiedererkannte. Sehr rasch entzog er sich ihrer Umarmung.

Leonore, meine liebe Schwester, wie geht es dir? sagte er: hier ist meine Frau -- meine Schwester Leonore, Frau!

Man hätte Leonoren eine halbe Welt bieten können -- sie hätte kein Wort hervorgebracht, so bewegt, so erschüttert, so athemlos war sie. Sie warf sich der Dame, die leicht und anmuthig aus dem Wagen

einstimmen werde oder nicht. In dem Thurme der Dorfkirche erklangen die Glocken.

Leonore, die eben an den Männern vorüber eilen wollte, ihrem Bruder entgegen, drückte dem Pfarrer warm die Hand.

Was wollen Sie, Fräulein — es ist ja doch der Sohn unserer alten Gutsherrschaft, sagte der freundliche alte Herr mit Rührung. Das vergessen wir nicht, Sie sehen es, mag geschehen sein, was da will!

Nun kann sie doch zufrieden sein, diese unverschämte kleine Holländerin, sagte Gertrude, welche einen wahren Widerwillen gegen die erwartete junge Frau gefaßt hatte, der in demselben Maße zunahm, wie die Last der Arbeit, welcher Gertrude sich ihretwegen unterziehen mußte: die Glocken hat doch sicherlich noch Niemand ihr zu Ehren läuten lassen!

Der Wagen bog in die Allee ein — er kam rasch näher — Leonore hatte ihn erreicht — ihr Bruder sprang heraus und umarmte sie. Er war so braun und bärtig geworden, daß sie ihn kaum wiedererkannte. Sehr rasch entzog er sich ihrer Umarmung.

Leonore, meine liebe Schwester, wie geht es dir? sagte er: hier ist meine Frau — meine Schwester Leonore, Frau!

Man hätte Leonoren eine halbe Welt bieten können — sie hätte kein Wort hervorgebracht, so bewegt, so erschüttert, so athemlos war sie. Sie warf sich der Dame, die leicht und anmuthig aus dem Wagen

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[0051] einstimmen werde oder nicht. In dem Thurme der Dorfkirche erklangen die Glocken. Leonore, die eben an den Männern vorüber eilen wollte, ihrem Bruder entgegen, drückte dem Pfarrer warm die Hand. Was wollen Sie, Fräulein — es ist ja doch der Sohn unserer alten Gutsherrschaft, sagte der freundliche alte Herr mit Rührung. Das vergessen wir nicht, Sie sehen es, mag geschehen sein, was da will! Nun kann sie doch zufrieden sein, diese unverschämte kleine Holländerin, sagte Gertrude, welche einen wahren Widerwillen gegen die erwartete junge Frau gefaßt hatte, der in demselben Maße zunahm, wie die Last der Arbeit, welcher Gertrude sich ihretwegen unterziehen mußte: die Glocken hat doch sicherlich noch Niemand ihr zu Ehren läuten lassen! Der Wagen bog in die Allee ein — er kam rasch näher — Leonore hatte ihn erreicht — ihr Bruder sprang heraus und umarmte sie. Er war so braun und bärtig geworden, daß sie ihn kaum wiedererkannte. Sehr rasch entzog er sich ihrer Umarmung. Leonore, meine liebe Schwester, wie geht es dir? sagte er: hier ist meine Frau — meine Schwester Leonore, Frau! Man hätte Leonoren eine halbe Welt bieten können — sie hätte kein Wort hervorgebracht, so bewegt, so erschüttert, so athemlos war sie. Sie warf sich der Dame, die leicht und anmuthig aus dem Wagen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/51>, abgerufen am 11.05.2024.