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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wohlthat war es ihr, in all der Hast und Beängstigung die Theilnahme zu bemerken, welche von allen Seiten strebte, ihre Aufgabe zu erleichtern. Der Pfarrherr hatte ihr aus freiem Antriebe seine Köchin gesendet, um Gertruden beizustehen, die sich schon rathlos abgeängstigt hatte, wie sie dem Reh beikommen sollte. Auch wurde Leonore nach und nach ganz keck. Sie, die zuvor keine Blume abzubrechen gewagt hatte, holte einen ganzen mächtigen Strauß aus dem Garten, das Zimmer der Schwägerin damit zu schmücken; als ob die Vergangenheit nichts denn ein böser Traum, fühlte sie sich wieder die Herrin in ihrem Hause, und mit den Worten: Es ist gut nun -- gefällt es der Holländerin noch nicht, so mag sie heimkehren! setzte sie sich nieder, um sich von Gertruden frisiren und zum Empfang der Gäste kleiden zu lassen.

Es war beinahe Dämmerung geworden, als ein mit drei Postkleppern bespannter Reisewagen sich dem Herrenhause von Windschrot nahte. Der Verwalter und der Pfarrer standen am Thorwege, den die Schuljugend mit einem Ehrenbogen bekrönt hatte, und diese selbe kleine Garde, die sich heute mit Verdienst bedecken zu wollen schien, ordnete sich unter der heftigen Leitung des höchst aufgeregten, ganz aus dem Gleichgewicht gekommenen Schulmeisters zu einem Sängerchor, welcher nun ein frommes Lied zur Verherrlichung Dessen, der sie erschaffen, anstimmte -- unbekümmert darum, ob die Mitwelt in das unbedingte Lob dieser That

Wohlthat war es ihr, in all der Hast und Beängstigung die Theilnahme zu bemerken, welche von allen Seiten strebte, ihre Aufgabe zu erleichtern. Der Pfarrherr hatte ihr aus freiem Antriebe seine Köchin gesendet, um Gertruden beizustehen, die sich schon rathlos abgeängstigt hatte, wie sie dem Reh beikommen sollte. Auch wurde Leonore nach und nach ganz keck. Sie, die zuvor keine Blume abzubrechen gewagt hatte, holte einen ganzen mächtigen Strauß aus dem Garten, das Zimmer der Schwägerin damit zu schmücken; als ob die Vergangenheit nichts denn ein böser Traum, fühlte sie sich wieder die Herrin in ihrem Hause, und mit den Worten: Es ist gut nun — gefällt es der Holländerin noch nicht, so mag sie heimkehren! setzte sie sich nieder, um sich von Gertruden frisiren und zum Empfang der Gäste kleiden zu lassen.

Es war beinahe Dämmerung geworden, als ein mit drei Postkleppern bespannter Reisewagen sich dem Herrenhause von Windschrot nahte. Der Verwalter und der Pfarrer standen am Thorwege, den die Schuljugend mit einem Ehrenbogen bekrönt hatte, und diese selbe kleine Garde, die sich heute mit Verdienst bedecken zu wollen schien, ordnete sich unter der heftigen Leitung des höchst aufgeregten, ganz aus dem Gleichgewicht gekommenen Schulmeisters zu einem Sängerchor, welcher nun ein frommes Lied zur Verherrlichung Dessen, der sie erschaffen, anstimmte — unbekümmert darum, ob die Mitwelt in das unbedingte Lob dieser That

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/50>, abgerufen am 28.04.2024.