Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

über mein Dach emporragen, entschädigt mich für die Patschouligerüche und den Ambra der Gesellschaftssäle. Und wenn ich gewußt hätte, zu welchen Begegnungen mein neuer Beruf mich führen würde, dann hätte ich ihn von Anfang an dreifach gesegnet!

Der junge Mann sprach diese Worte mit einem Ausdruck, der eine gewisse Innigkeit des Gefühls verrieth, und den Schluß seiner Worte mit einer Wärme, daß seine Begleiterin nichts zu erwidern wußte.

Nach einer Weile war das Ende des Waldes erreicht. Das Moselthal lag vor den Augen der Wandernden. Es war ein wunderbar schöner Anblick. An den prächtigen, dicht bewaldeten Bergwänden her schlängelte sich der dunkelblaue Fluß, die Abendröthe tauchte die Landschaft in ihre weichen und zarten Farbentöne. Der glühende Abendhimmel stand darüber, als ob seine lichten und kühn übereinander geworfenen Farbenströme den ernsteren und dunkleren Erdfleck da unten mit seinem Geschick, jetzt den Schatten der Nacht verfallen zu sein, versöhnen wollten. Links in der Tiefe auf einem bis an den Fluß niedersteigenden Wiesengrunde erhob ein kleines Schloß Thürmchen und Zinnen aus Gebüsch und Obstbaumkronen; ein Haufen unansehnlicher Hütten lag einen Büchsenschuß weit davon entfernt, dicht am Flusse.

Jetzt sollen Sie keinenfalls weiter gehen, sagte die Dame, wir sind im Angesichte meiner Wohnung -- dort ist sie!

über mein Dach emporragen, entschädigt mich für die Patschouligerüche und den Ambra der Gesellschaftssäle. Und wenn ich gewußt hätte, zu welchen Begegnungen mein neuer Beruf mich führen würde, dann hätte ich ihn von Anfang an dreifach gesegnet!

Der junge Mann sprach diese Worte mit einem Ausdruck, der eine gewisse Innigkeit des Gefühls verrieth, und den Schluß seiner Worte mit einer Wärme, daß seine Begleiterin nichts zu erwidern wußte.

Nach einer Weile war das Ende des Waldes erreicht. Das Moselthal lag vor den Augen der Wandernden. Es war ein wunderbar schöner Anblick. An den prächtigen, dicht bewaldeten Bergwänden her schlängelte sich der dunkelblaue Fluß, die Abendröthe tauchte die Landschaft in ihre weichen und zarten Farbentöne. Der glühende Abendhimmel stand darüber, als ob seine lichten und kühn übereinander geworfenen Farbenströme den ernsteren und dunkleren Erdfleck da unten mit seinem Geschick, jetzt den Schatten der Nacht verfallen zu sein, versöhnen wollten. Links in der Tiefe auf einem bis an den Fluß niedersteigenden Wiesengrunde erhob ein kleines Schloß Thürmchen und Zinnen aus Gebüsch und Obstbaumkronen; ein Haufen unansehnlicher Hütten lag einen Büchsenschuß weit davon entfernt, dicht am Flusse.

Jetzt sollen Sie keinenfalls weiter gehen, sagte die Dame, wir sind im Angesichte meiner Wohnung — dort ist sie!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0016"/>
über mein Dach emporragen, entschädigt mich für die      Patschouligerüche und den Ambra der Gesellschaftssäle. Und wenn ich gewußt hätte, zu welchen      Begegnungen mein neuer Beruf mich führen würde, dann hätte ich ihn von Anfang an dreifach      gesegnet!</p><lb/>
        <p>Der junge Mann sprach diese Worte mit einem Ausdruck, der eine gewisse Innigkeit des Gefühls      verrieth, und den Schluß seiner Worte mit einer Wärme, daß seine Begleiterin nichts zu erwidern      wußte.</p><lb/>
        <p>Nach einer Weile war das Ende des Waldes erreicht. Das Moselthal lag vor den Augen der      Wandernden. Es war ein wunderbar schöner Anblick. An den prächtigen, dicht bewaldeten      Bergwänden her schlängelte sich der dunkelblaue Fluß, die Abendröthe tauchte die Landschaft in      ihre weichen und zarten Farbentöne. Der glühende Abendhimmel stand darüber, als ob seine      lichten und kühn übereinander geworfenen Farbenströme den ernsteren und dunkleren Erdfleck da      unten mit seinem Geschick, jetzt den Schatten der Nacht verfallen zu sein, versöhnen wollten.      Links in der Tiefe auf einem bis an den Fluß niedersteigenden Wiesengrunde erhob ein kleines      Schloß Thürmchen und Zinnen aus Gebüsch und Obstbaumkronen; ein Haufen unansehnlicher Hütten      lag einen Büchsenschuß weit davon entfernt, dicht am Flusse.</p><lb/>
        <p>Jetzt sollen Sie keinenfalls weiter gehen, sagte die Dame, wir sind im Angesichte meiner      Wohnung &#x2014; dort ist sie!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] über mein Dach emporragen, entschädigt mich für die Patschouligerüche und den Ambra der Gesellschaftssäle. Und wenn ich gewußt hätte, zu welchen Begegnungen mein neuer Beruf mich führen würde, dann hätte ich ihn von Anfang an dreifach gesegnet! Der junge Mann sprach diese Worte mit einem Ausdruck, der eine gewisse Innigkeit des Gefühls verrieth, und den Schluß seiner Worte mit einer Wärme, daß seine Begleiterin nichts zu erwidern wußte. Nach einer Weile war das Ende des Waldes erreicht. Das Moselthal lag vor den Augen der Wandernden. Es war ein wunderbar schöner Anblick. An den prächtigen, dicht bewaldeten Bergwänden her schlängelte sich der dunkelblaue Fluß, die Abendröthe tauchte die Landschaft in ihre weichen und zarten Farbentöne. Der glühende Abendhimmel stand darüber, als ob seine lichten und kühn übereinander geworfenen Farbenströme den ernsteren und dunkleren Erdfleck da unten mit seinem Geschick, jetzt den Schatten der Nacht verfallen zu sein, versöhnen wollten. Links in der Tiefe auf einem bis an den Fluß niedersteigenden Wiesengrunde erhob ein kleines Schloß Thürmchen und Zinnen aus Gebüsch und Obstbaumkronen; ein Haufen unansehnlicher Hütten lag einen Büchsenschuß weit davon entfernt, dicht am Flusse. Jetzt sollen Sie keinenfalls weiter gehen, sagte die Dame, wir sind im Angesichte meiner Wohnung — dort ist sie!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/16
Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/16>, abgerufen am 28.04.2024.