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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ihr Begleiter plauderte heiter in demselben Tone fort:

Was meine Gerichtsbarkeit über Wilddiebe und Holzfrevler angeht, sagte er, so sind sie aus Gnade und Ungnade in meine Hand gegeben.

Die junge Dame beschleunigte ihre Schritte.

Auch können sie sich auf eine strenge Behandlung von mir gefaßt machen -- ich werde ihre Sünden gewissenhaft wägen, und finde ich sie schwer, so schwer wie diesen Korb zum Beispiel -- der Förster wog den Korb in seiner Hand -- dann --

Nun dann? stieß das Mädchen wie in hastiger Angst hervor.

Doch, das wird Sie nicht interessiren, versetzte er; lassen wir das. Ich war im Begriffe, Ihnen zu erklären, weßhalb ich mein eigenes Revier noch nicht vollständig kenne. Vor drei Monaten war ich noch hochgebietender Lieutenant in kurfürstlich Trier'schen Diensten -- seitdem ist mein Vater gestorben, ich mußte mich nach einer einträglicheren Beschäftigung umsehen, als ein paar Epauletten spazieren zu tragen, und weil ich als guter Waidmann galt, gab mir der Kurfürst diese Stelle hier. Vor drei Wochen bin ich mit schwerem Herzen aus der Welt geschieden und in mein einsames Forsthaus gezogen. Ich bin ein Einsiedler geworden und lebe wie Vater Lorenzo, Kräuter pflückend, den Hirschen ihr Futter ausbreitend und dem Schlage der Amsel lauschend. Der Harzduft der Fichten, die

Ihr Begleiter plauderte heiter in demselben Tone fort:

Was meine Gerichtsbarkeit über Wilddiebe und Holzfrevler angeht, sagte er, so sind sie aus Gnade und Ungnade in meine Hand gegeben.

Die junge Dame beschleunigte ihre Schritte.

Auch können sie sich auf eine strenge Behandlung von mir gefaßt machen — ich werde ihre Sünden gewissenhaft wägen, und finde ich sie schwer, so schwer wie diesen Korb zum Beispiel — der Förster wog den Korb in seiner Hand — dann —

Nun dann? stieß das Mädchen wie in hastiger Angst hervor.

Doch, das wird Sie nicht interessiren, versetzte er; lassen wir das. Ich war im Begriffe, Ihnen zu erklären, weßhalb ich mein eigenes Revier noch nicht vollständig kenne. Vor drei Monaten war ich noch hochgebietender Lieutenant in kurfürstlich Trier'schen Diensten — seitdem ist mein Vater gestorben, ich mußte mich nach einer einträglicheren Beschäftigung umsehen, als ein paar Epauletten spazieren zu tragen, und weil ich als guter Waidmann galt, gab mir der Kurfürst diese Stelle hier. Vor drei Wochen bin ich mit schwerem Herzen aus der Welt geschieden und in mein einsames Forsthaus gezogen. Ich bin ein Einsiedler geworden und lebe wie Vater Lorenzo, Kräuter pflückend, den Hirschen ihr Futter ausbreitend und dem Schlage der Amsel lauschend. Der Harzduft der Fichten, die

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/15>, abgerufen am 28.04.2024.