Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

indeß war auch diese Katastrophe erst eine Folge je-
nes versteinernden Hochzeitmahles.

Wenn einst das höhere Urbild dieser körperlichen
organischen Natur, als wandelndes, wechselndes Wort
der Rede, unmittelbar aus den Bewegungen der gei-
stigen Region hervorgehend, von diesen Bewegungen
abhing und mit ihnen sich wandelte: so stehen vielmehr
jetzt die Prinzipien der Erhaltung und beständigen Wie-
dererneuerung der Geschlechter, in der Gewalt der
Wesen selber. Das ewige Lied der Schöpfung verhal-
let an dieser starren Mauer zuletzt in einen einzigen Ton,
der ohne Wechsel immer derselbe fortklingt, dessen Vi-
brationen die immer sterbenden und als dieselben wie-
derkehrenden Geschlechter sind, und das zur todten me-
tallnen Schlange gewordne Weltall, ist ein immer, da
wo er endet auch wieder beginnender Ring geworden.
Noch ist selbst jene älteste Thierwelt die wir nur ken-
nen, ohne Unterschied des Geschlechts oder andro-
gynisch gewesen, während die jüngste jenen Unter-
schied am auffallendsten und markirtesten in sich
ausgebildet trägt. Uranus, der waltende Herrscher
der ältesten Vorwelt, heißt es, ist gewaltsam ent-
mannt worden (nach Sprache und Mythus ist
Entmannung und Ausübung sinnlicher Wollust
Ein Wort), aus dem Blute und dem belebend
Flüssigen seiner Mannesstärke ist die Göttin aller
körperlichen Erzeugung und des sinnlichen Entstehens
geworden. Die Prinzipien der Erzeugung, scheint
jener Mythus sagen zu wollen, sind durch eine ge-
waltsame Katastrophe, welche die Natur aus ihrem
ursprünglichen Verhältnisse zur geistigen Region losriß,

in

indeß war auch dieſe Kataſtrophe erſt eine Folge je-
nes verſteinernden Hochzeitmahles.

Wenn einſt das hoͤhere Urbild dieſer koͤrperlichen
organiſchen Natur, als wandelndes, wechſelndes Wort
der Rede, unmittelbar aus den Bewegungen der gei-
ſtigen Region hervorgehend, von dieſen Bewegungen
abhing und mit ihnen ſich wandelte: ſo ſtehen vielmehr
jetzt die Prinzipien der Erhaltung und beſtaͤndigen Wie-
dererneuerung der Geſchlechter, in der Gewalt der
Weſen ſelber. Das ewige Lied der Schoͤpfung verhal-
let an dieſer ſtarren Mauer zuletzt in einen einzigen Ton,
der ohne Wechſel immer derſelbe fortklingt, deſſen Vi-
brationen die immer ſterbenden und als dieſelben wie-
derkehrenden Geſchlechter ſind, und das zur todten me-
tallnen Schlange gewordne Weltall, iſt ein immer, da
wo er endet auch wieder beginnender Ring geworden.
Noch iſt ſelbſt jene aͤlteſte Thierwelt die wir nur ken-
nen, ohne Unterſchied des Geſchlechts oder andro-
gyniſch geweſen, waͤhrend die juͤngſte jenen Unter-
ſchied am auffallendſten und markirteſten in ſich
ausgebildet traͤgt. Uranus, der waltende Herrſcher
der aͤlteſten Vorwelt, heißt es, iſt gewaltſam ent-
mannt worden (nach Sprache und Mythus iſt
Entmannung und Ausuͤbung ſinnlicher Wolluſt
Ein Wort), aus dem Blute und dem belebend
Fluͤſſigen ſeiner Mannesſtaͤrke iſt die Goͤttin aller
koͤrperlichen Erzeugung und des ſinnlichen Entſtehens
geworden. Die Prinzipien der Erzeugung, ſcheint
jener Mythus ſagen zu wollen, ſind durch eine ge-
waltſame Kataſtrophe, welche die Natur aus ihrem
urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſe zur geiſtigen Region losriß,

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="84"/>
indeß war auch die&#x017F;e Kata&#x017F;trophe er&#x017F;t eine Folge je-<lb/>
nes ver&#x017F;teinernden Hochzeitmahles.</p><lb/>
        <p>Wenn ein&#x017F;t das ho&#x0364;here Urbild die&#x017F;er ko&#x0364;rperlichen<lb/>
organi&#x017F;chen Natur, als wandelndes, wech&#x017F;elndes Wort<lb/>
der Rede, unmittelbar aus den Bewegungen der gei-<lb/>
&#x017F;tigen Region hervorgehend, von die&#x017F;en Bewegungen<lb/>
abhing und mit ihnen &#x017F;ich wandelte: &#x017F;o &#x017F;tehen vielmehr<lb/>
jetzt die Prinzipien der Erhaltung und be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Wie-<lb/>
dererneuerung der Ge&#x017F;chlechter, in der Gewalt der<lb/>
We&#x017F;en &#x017F;elber. Das ewige Lied der Scho&#x0364;pfung verhal-<lb/>
let an die&#x017F;er &#x017F;tarren Mauer zuletzt in einen einzigen Ton,<lb/>
der ohne Wech&#x017F;el immer der&#x017F;elbe fortklingt, de&#x017F;&#x017F;en Vi-<lb/>
brationen die immer &#x017F;terbenden und als die&#x017F;elben wie-<lb/>
derkehrenden Ge&#x017F;chlechter &#x017F;ind, und das zur todten me-<lb/>
tallnen Schlange gewordne Weltall, i&#x017F;t ein immer, da<lb/>
wo er endet auch wieder beginnender Ring geworden.<lb/>
Noch i&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t jene a&#x0364;lte&#x017F;te Thierwelt die wir nur ken-<lb/>
nen, ohne Unter&#x017F;chied des Ge&#x017F;chlechts oder andro-<lb/>
gyni&#x017F;ch gewe&#x017F;en, wa&#x0364;hrend die ju&#x0364;ng&#x017F;te jenen Unter-<lb/>
&#x017F;chied am auffallend&#x017F;ten und markirte&#x017F;ten in &#x017F;ich<lb/>
ausgebildet tra&#x0364;gt. Uranus, der waltende Herr&#x017F;cher<lb/>
der a&#x0364;lte&#x017F;ten Vorwelt, heißt es, i&#x017F;t gewalt&#x017F;am ent-<lb/>
mannt worden (nach Sprache und Mythus i&#x017F;t<lb/>
Entmannung und Ausu&#x0364;bung &#x017F;innlicher Wollu&#x017F;t<lb/>
Ein Wort), aus dem Blute und dem belebend<lb/>
Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen &#x017F;einer Mannes&#x017F;ta&#x0364;rke i&#x017F;t die Go&#x0364;ttin aller<lb/>
ko&#x0364;rperlichen Erzeugung und des &#x017F;innlichen Ent&#x017F;tehens<lb/>
geworden. Die Prinzipien der Erzeugung, &#x017F;cheint<lb/>
jener Mythus &#x017F;agen zu wollen, &#x017F;ind durch eine ge-<lb/>
walt&#x017F;ame Kata&#x017F;trophe, welche die Natur aus ihrem<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e zur gei&#x017F;tigen Region losriß,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0094] indeß war auch dieſe Kataſtrophe erſt eine Folge je- nes verſteinernden Hochzeitmahles. Wenn einſt das hoͤhere Urbild dieſer koͤrperlichen organiſchen Natur, als wandelndes, wechſelndes Wort der Rede, unmittelbar aus den Bewegungen der gei- ſtigen Region hervorgehend, von dieſen Bewegungen abhing und mit ihnen ſich wandelte: ſo ſtehen vielmehr jetzt die Prinzipien der Erhaltung und beſtaͤndigen Wie- dererneuerung der Geſchlechter, in der Gewalt der Weſen ſelber. Das ewige Lied der Schoͤpfung verhal- let an dieſer ſtarren Mauer zuletzt in einen einzigen Ton, der ohne Wechſel immer derſelbe fortklingt, deſſen Vi- brationen die immer ſterbenden und als dieſelben wie- derkehrenden Geſchlechter ſind, und das zur todten me- tallnen Schlange gewordne Weltall, iſt ein immer, da wo er endet auch wieder beginnender Ring geworden. Noch iſt ſelbſt jene aͤlteſte Thierwelt die wir nur ken- nen, ohne Unterſchied des Geſchlechts oder andro- gyniſch geweſen, waͤhrend die juͤngſte jenen Unter- ſchied am auffallendſten und markirteſten in ſich ausgebildet traͤgt. Uranus, der waltende Herrſcher der aͤlteſten Vorwelt, heißt es, iſt gewaltſam ent- mannt worden (nach Sprache und Mythus iſt Entmannung und Ausuͤbung ſinnlicher Wolluſt Ein Wort), aus dem Blute und dem belebend Fluͤſſigen ſeiner Mannesſtaͤrke iſt die Goͤttin aller koͤrperlichen Erzeugung und des ſinnlichen Entſtehens geworden. Die Prinzipien der Erzeugung, ſcheint jener Mythus ſagen zu wollen, ſind durch eine ge- waltſame Kataſtrophe, welche die Natur aus ihrem urſpruͤnglichen Verhaͤltniſſe zur geiſtigen Region losriß, in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/94
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/94>, abgerufen am 28.04.2024.