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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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wesen, und hatten auch ihrerseits an dem Treiben und
den Neigungen des gewöhnlichen Lebens wenig Interesse.

Jenem natürlichen Contrast gemäß, ist die Ide-
enassociation des Gewissens eine ganz [an]dre, als die
des wachen Denkens, und sie ist dieser ganz entgegen-
gesetzt. Die Stimme des Gewissens läßt sich durch
keine noch so folgerechten und vernünftigen Räsonne-
ments hinwegstreiten oder ersticken, und noch so oft
widerlegt und übertäubt, läßt sie sich immer von neu-
em und immer dringender, selbst bey denen verneh-
men, welche das Gewissen selber für den Nachhall al-
ter, durch die Erziehung eingepflanzter Vorurtheile
halten. In jener Hinsicht, wegen der Unabhängig-
keit von allem Vernünfteln und Verständeln, ist auch
die Wirkung der Wahrheit auf das Gemüth derer wel-
che sie vernehmen, mit der Wirkung eines Miasma
verglichen worden, das unwiderstehlich und aller Ge-
genvorkehrungen spottend, alle ergreift, die sich seinem
Wirkungskreise nähern. Keine vernünftigen Vorstel-
lungen äußerer Rücksichten, Bande der Gesellschaft
und sinnliche Neigung, kein gewaltsamer Widerstand,
noch Drohung, noch Gefahr sind vermögend, ein Ge-
müth, welches von jener ansteckenden Kraft der Wahr-
heit ergriffen worden, in seinem gewöhnlichen Kreise
zurück zu halten *).

Wir nannten das Gewissen die Mutter aller frü-
her erwähnten Widersprüche unserer Natur. Es ist

jener
*) M. s. z. B. das Leben des Franziscus von Assis.

weſen, und hatten auch ihrerſeits an dem Treiben und
den Neigungen des gewoͤhnlichen Lebens wenig Intereſſe.

Jenem natuͤrlichen Contraſt gemaͤß, iſt die Ide-
enaſſociation des Gewiſſens eine ganz [an]dre, als die
des wachen Denkens, und ſie iſt dieſer ganz entgegen-
geſetzt. Die Stimme des Gewiſſens laͤßt ſich durch
keine noch ſo folgerechten und vernuͤnftigen Raͤſonne-
ments hinwegſtreiten oder erſticken, und noch ſo oft
widerlegt und uͤbertaͤubt, laͤßt ſie ſich immer von neu-
em und immer dringender, ſelbſt bey denen verneh-
men, welche das Gewiſſen ſelber fuͤr den Nachhall al-
ter, durch die Erziehung eingepflanzter Vorurtheile
halten. In jener Hinſicht, wegen der Unabhaͤngig-
keit von allem Vernuͤnfteln und Verſtaͤndeln, iſt auch
die Wirkung der Wahrheit auf das Gemuͤth derer wel-
che ſie vernehmen, mit der Wirkung eines Miasma
verglichen worden, das unwiderſtehlich und aller Ge-
genvorkehrungen ſpottend, alle ergreift, die ſich ſeinem
Wirkungskreiſe naͤhern. Keine vernuͤnftigen Vorſtel-
lungen aͤußerer Ruͤckſichten, Bande der Geſellſchaft
und ſinnliche Neigung, kein gewaltſamer Widerſtand,
noch Drohung, noch Gefahr ſind vermoͤgend, ein Ge-
muͤth, welches von jener anſteckenden Kraft der Wahr-
heit ergriffen worden, in ſeinem gewoͤhnlichen Kreiſe
zuruͤck zu halten *).

Wir nannten das Gewiſſen die Mutter aller fruͤ-
her erwaͤhnten Widerſpruͤche unſerer Natur. Es iſt

jener
*) M. ſ. z. B. das Leben des Franziscus von Aſſis.
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[68/0078] weſen, und hatten auch ihrerſeits an dem Treiben und den Neigungen des gewoͤhnlichen Lebens wenig Intereſſe. Jenem natuͤrlichen Contraſt gemaͤß, iſt die Ide- enaſſociation des Gewiſſens eine ganz andre, als die des wachen Denkens, und ſie iſt dieſer ganz entgegen- geſetzt. Die Stimme des Gewiſſens laͤßt ſich durch keine noch ſo folgerechten und vernuͤnftigen Raͤſonne- ments hinwegſtreiten oder erſticken, und noch ſo oft widerlegt und uͤbertaͤubt, laͤßt ſie ſich immer von neu- em und immer dringender, ſelbſt bey denen verneh- men, welche das Gewiſſen ſelber fuͤr den Nachhall al- ter, durch die Erziehung eingepflanzter Vorurtheile halten. In jener Hinſicht, wegen der Unabhaͤngig- keit von allem Vernuͤnfteln und Verſtaͤndeln, iſt auch die Wirkung der Wahrheit auf das Gemuͤth derer wel- che ſie vernehmen, mit der Wirkung eines Miasma verglichen worden, das unwiderſtehlich und aller Ge- genvorkehrungen ſpottend, alle ergreift, die ſich ſeinem Wirkungskreiſe naͤhern. Keine vernuͤnftigen Vorſtel- lungen aͤußerer Ruͤckſichten, Bande der Geſellſchaft und ſinnliche Neigung, kein gewaltſamer Widerſtand, noch Drohung, noch Gefahr ſind vermoͤgend, ein Ge- muͤth, welches von jener anſteckenden Kraft der Wahr- heit ergriffen worden, in ſeinem gewoͤhnlichen Kreiſe zuruͤck zu halten *). Wir nannten das Gewiſſen die Mutter aller fruͤ- her erwaͤhnten Widerſpruͤche unſerer Natur. Es iſt jener *) M. ſ. z. B. das Leben des Franziscus von Aſſis.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/78>, abgerufen am 28.04.2024.