Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnügun-
gen der Sinnenwelt kein Genüge, in allen Befriedi-
gungen sinnlicher Neigungen keinen Frieden finden lä-
ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unsere
höhere Ruhe beständig unterbricht und unsere besseren
Kräfte, schon dem Hafen nahe, immer zu neuen
Kämpfen auffodert. Von den beyden Janusgesichtern
unserer doppelsinnigen Natur, pflegt, jenem contrasti-
renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine
dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu
schlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn
das andere am hellsten wacht und das laute Wort
führt. Wenn der äußere Mensch sich am ungebun-
densten und fröhlichsten, in eine Fülle von Genüssen
versenkt, stört jenen Rausch eine Stimme der inneren
Unlust und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig-
stens in den Jahren einer besseren, stilleren Kindheit
erfahren, wie auf ungebundene fröhlich durchschwärmte
Stunden ein noch unbekanntes Gefühl von Leere, ei-
ne unwiderstehliche Schwermuth, Thränen ohne Ur-
sache folgten, ja wie uns diese Schwermuth öfters
mitten in der lautesten Freude überraschte? Auf der
anderen Seite läßt uns der innere Mensch, wenn der
äußere weint und trauert, Töne einer Freude verneh-
men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehör geben, un-
sere Schmerzen bald vergessen machen, und dieser
Phönix frohlockt noch in der Flamme. Je frischer und
kräftiger der äußere Mensch vegetirt, desto ohnmächti-
ger wird der innere, der sich dann in die Bilderwelt
der dunklen Gefühle und des Traumes zurückzieht, je
kräftiger dagegen der innere Mensch auflebt, desto mehr
muß der äußere absterben. Eine nur gar zu alte Er-

fah-

jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnuͤgun-
gen der Sinnenwelt kein Genuͤge, in allen Befriedi-
gungen ſinnlicher Neigungen keinen Frieden finden laͤ-
ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unſere
hoͤhere Ruhe beſtaͤndig unterbricht und unſere beſſeren
Kraͤfte, ſchon dem Hafen nahe, immer zu neuen
Kaͤmpfen auffodert. Von den beyden Janusgeſichtern
unſerer doppelſinnigen Natur, pflegt, jenem contraſti-
renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine
dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu
ſchlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn
das andere am hellſten wacht und das laute Wort
fuͤhrt. Wenn der aͤußere Menſch ſich am ungebun-
denſten und froͤhlichſten, in eine Fuͤlle von Genuͤſſen
verſenkt, ſtoͤrt jenen Rauſch eine Stimme der inneren
Unluſt und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig-
ſtens in den Jahren einer beſſeren, ſtilleren Kindheit
erfahren, wie auf ungebundene froͤhlich durchſchwaͤrmte
Stunden ein noch unbekanntes Gefuͤhl von Leere, ei-
ne unwiderſtehliche Schwermuth, Thraͤnen ohne Ur-
ſache folgten, ja wie uns dieſe Schwermuth oͤfters
mitten in der lauteſten Freude uͤberraſchte? Auf der
anderen Seite laͤßt uns der innere Menſch, wenn der
aͤußere weint und trauert, Toͤne einer Freude verneh-
men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehoͤr geben, un-
ſere Schmerzen bald vergeſſen machen, und dieſer
Phoͤnix frohlockt noch in der Flamme. Je friſcher und
kraͤftiger der aͤußere Menſch vegetirt, deſto ohnmaͤchti-
ger wird der innere, der ſich dann in die Bilderwelt
der dunklen Gefuͤhle und des Traumes zuruͤckzieht, je
kraͤftiger dagegen der innere Menſch auflebt, deſto mehr
muß der aͤußere abſterben. Eine nur gar zu alte Er-

fah-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="69"/>
jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnu&#x0364;gun-<lb/>
gen der Sinnenwelt kein Genu&#x0364;ge, in allen Befriedi-<lb/>
gungen &#x017F;innlicher Neigungen keinen Frieden finden la&#x0364;-<lb/>
ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite un&#x017F;ere<lb/>
ho&#x0364;here Ruhe be&#x017F;ta&#x0364;ndig unterbricht und un&#x017F;ere be&#x017F;&#x017F;eren<lb/>
Kra&#x0364;fte, &#x017F;chon dem Hafen nahe, immer zu neuen<lb/>
Ka&#x0364;mpfen auffodert. Von den beyden Janusge&#x017F;ichtern<lb/>
un&#x017F;erer doppel&#x017F;innigen Natur, pflegt, jenem contra&#x017F;ti-<lb/>
renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine<lb/>
dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu<lb/>
&#x017F;chlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn<lb/>
das andere am hell&#x017F;ten wacht und das laute Wort<lb/>
fu&#x0364;hrt. Wenn der a&#x0364;ußere Men&#x017F;ch &#x017F;ich am ungebun-<lb/>
den&#x017F;ten und fro&#x0364;hlich&#x017F;ten, in eine Fu&#x0364;lle von Genu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ver&#x017F;enkt, &#x017F;to&#x0364;rt jenen Rau&#x017F;ch eine Stimme der inneren<lb/>
Unlu&#x017F;t und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig-<lb/>
&#x017F;tens in den Jahren einer be&#x017F;&#x017F;eren, &#x017F;tilleren Kindheit<lb/>
erfahren, wie auf ungebundene fro&#x0364;hlich durch&#x017F;chwa&#x0364;rmte<lb/>
Stunden ein noch unbekanntes Gefu&#x0364;hl von Leere, ei-<lb/>
ne unwider&#x017F;tehliche Schwermuth, Thra&#x0364;nen ohne Ur-<lb/>
&#x017F;ache folgten, ja wie uns die&#x017F;e Schwermuth o&#x0364;fters<lb/>
mitten in der laute&#x017F;ten Freude u&#x0364;berra&#x017F;chte? Auf der<lb/>
anderen Seite la&#x0364;ßt uns der innere Men&#x017F;ch, wenn der<lb/>
a&#x0364;ußere weint und trauert, To&#x0364;ne einer Freude verneh-<lb/>
men, die uns, wenn wir ihnen nur Geho&#x0364;r geben, un-<lb/>
&#x017F;ere Schmerzen bald verge&#x017F;&#x017F;en machen, und die&#x017F;er<lb/>
Pho&#x0364;nix frohlockt noch in der Flamme. Je fri&#x017F;cher und<lb/>
kra&#x0364;ftiger der a&#x0364;ußere Men&#x017F;ch vegetirt, de&#x017F;to ohnma&#x0364;chti-<lb/>
ger wird der innere, der &#x017F;ich dann in die Bilderwelt<lb/>
der dunklen Gefu&#x0364;hle und des Traumes zuru&#x0364;ckzieht, je<lb/>
kra&#x0364;ftiger dagegen der innere Men&#x017F;ch auflebt, de&#x017F;to mehr<lb/>
muß der a&#x0364;ußere ab&#x017F;terben. Eine nur gar zu alte Er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fah-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0079] jener Stachel, welcher uns mitten in den Vergnuͤgun- gen der Sinnenwelt kein Genuͤge, in allen Befriedi- gungen ſinnlicher Neigungen keinen Frieden finden laͤ- ßet, welcher aber auch auf der anderen Seite unſere hoͤhere Ruhe beſtaͤndig unterbricht und unſere beſſeren Kraͤfte, ſchon dem Hafen nahe, immer zu neuen Kaͤmpfen auffodert. Von den beyden Janusgeſichtern unſerer doppelſinnigen Natur, pflegt, jenem contraſti- renden Freundespaar der alten Zeit gleich, das eine dann zu lachen, wenn das andre weint, das eine zu ſchlummern, und nur noch im Traume zu reden, wenn das andere am hellſten wacht und das laute Wort fuͤhrt. Wenn der aͤußere Menſch ſich am ungebun- denſten und froͤhlichſten, in eine Fuͤlle von Genuͤſſen verſenkt, ſtoͤrt jenen Rauſch eine Stimme der inneren Unluſt und tiefen Trauer. Wer hat es nicht, wenig- ſtens in den Jahren einer beſſeren, ſtilleren Kindheit erfahren, wie auf ungebundene froͤhlich durchſchwaͤrmte Stunden ein noch unbekanntes Gefuͤhl von Leere, ei- ne unwiderſtehliche Schwermuth, Thraͤnen ohne Ur- ſache folgten, ja wie uns dieſe Schwermuth oͤfters mitten in der lauteſten Freude uͤberraſchte? Auf der anderen Seite laͤßt uns der innere Menſch, wenn der aͤußere weint und trauert, Toͤne einer Freude verneh- men, die uns, wenn wir ihnen nur Gehoͤr geben, un- ſere Schmerzen bald vergeſſen machen, und dieſer Phoͤnix frohlockt noch in der Flamme. Je friſcher und kraͤftiger der aͤußere Menſch vegetirt, deſto ohnmaͤchti- ger wird der innere, der ſich dann in die Bilderwelt der dunklen Gefuͤhle und des Traumes zuruͤckzieht, je kraͤftiger dagegen der innere Menſch auflebt, deſto mehr muß der aͤußere abſterben. Eine nur gar zu alte Er- fah-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/79
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/79>, abgerufen am 27.04.2024.