Erzeugung und letzte Auflösung der Körper, sind sich, wie schon anderwärts bemerkt worden *), in der gan- zen Natur, sowohl in Hinsicht der Erscheinun- gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel- bar verwandt und gleich; Phosphorus ist Morgen- wie Abendstern, Fackel der Hochzeit und des Todes, und während der eine Theil des immer kreisenden Ra- des sich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an- dere in demselben Verhältniß hinabwärts. Schmerz und Lust, Lust und Schmerz sind auf dieselbe Weise verbrüdert: das Kind der Freude wird mit Schmer- zen geboren, auf den höchsten Grad der sinnlichen Unlust und Qual, folget, selbst schon im Zustan- de der Ohnmacht und des Scheintodes die höchste Lust **); umgekehrt, ist die sinnliche Lust eine Gebährerin des Schmerzens.
Jene seltsame Verschwisterung scheinet die Vor- welt wohl verstanden zu haben, wenn sie den Phal- lus oder dessen colossales Sinnbild, die Pyramide als Mahlzeichen auf Gräber gestellet, oder das geheime Fest der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges sinnlicher Lust, der rohe Ausdruck auch noch eines an- dern tieferen Verständnisses gewesen. Mitten unter den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der
My-
*) Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei- nen Geschichte des Lebens, Abschn. 1.
**) Man sehe das eben genannte Werk am angeführten Orte.
Erzeugung und letzte Aufloͤſung der Koͤrper, ſind ſich, wie ſchon anderwaͤrts bemerkt worden *), in der gan- zen Natur, ſowohl in Hinſicht der Erſcheinun- gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel- bar verwandt und gleich; Phosphorus iſt Morgen- wie Abendſtern, Fackel der Hochzeit und des Todes, und waͤhrend der eine Theil des immer kreiſenden Ra- des ſich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an- dere in demſelben Verhaͤltniß hinabwaͤrts. Schmerz und Luſt, Luſt und Schmerz ſind auf dieſelbe Weiſe verbruͤdert: das Kind der Freude wird mit Schmer- zen geboren, auf den hoͤchſten Grad der ſinnlichen Unluſt und Qual, folget, ſelbſt ſchon im Zuſtan- de der Ohnmacht und des Scheintodes die hoͤchſte Luſt **); umgekehrt, iſt die ſinnliche Luſt eine Gebaͤhrerin des Schmerzens.
Jene ſeltſame Verſchwiſterung ſcheinet die Vor- welt wohl verſtanden zu haben, wenn ſie den Phal- lus oder deſſen coloſſales Sinnbild, die Pyramide als Mahlzeichen auf Graͤber geſtellet, oder das geheime Feſt der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges ſinnlicher Luſt, der rohe Ausdruck auch noch eines an- dern tieferen Verſtaͤndniſſes geweſen. Mitten unter den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der
My-
*) Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei- nen Geſchichte des Lebens, Abſchn. 1.
**) Man ſehe das eben genannte Werk am angefuͤhrten Orte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0041"n="31"/>
Erzeugung und letzte Aufloͤſung der Koͤrper, ſind ſich,<lb/>
wie ſchon anderwaͤrts bemerkt worden <noteplace="foot"n="*)">Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei-<lb/>
nen Geſchichte des Lebens, Abſchn. 1.</note>, in der gan-<lb/>
zen Natur, ſowohl in Hinſicht der Erſcheinun-<lb/>
gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel-<lb/>
bar verwandt und gleich; Phosphorus iſt Morgen-<lb/>
wie Abendſtern, Fackel der Hochzeit und des Todes,<lb/>
und waͤhrend der eine Theil des immer kreiſenden Ra-<lb/>
des ſich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an-<lb/>
dere in demſelben Verhaͤltniß hinabwaͤrts. Schmerz<lb/>
und Luſt, Luſt und Schmerz ſind auf dieſelbe Weiſe<lb/>
verbruͤdert: das Kind der Freude wird mit Schmer-<lb/>
zen geboren, auf den hoͤchſten Grad der ſinnlichen<lb/>
Unluſt und Qual, folget, ſelbſt ſchon im Zuſtan-<lb/>
de der Ohnmacht und des Scheintodes die hoͤchſte Luſt<lb/><noteplace="foot"n="**)">Man ſehe das eben genannte Werk am angefuͤhrten<lb/>
Orte.</note>; umgekehrt, iſt die ſinnliche Luſt eine Gebaͤhrerin<lb/>
des Schmerzens.</p><lb/><p>Jene ſeltſame Verſchwiſterung ſcheinet die Vor-<lb/>
welt wohl verſtanden zu haben, wenn ſie den Phal-<lb/>
lus oder deſſen coloſſales Sinnbild, die Pyramide als<lb/>
Mahlzeichen auf Graͤber geſtellet, oder das geheime<lb/>
Feſt der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus<lb/>
gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges<lb/>ſinnlicher Luſt, der rohe Ausdruck auch noch eines an-<lb/>
dern tieferen Verſtaͤndniſſes geweſen. Mitten unter<lb/>
den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">My-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[31/0041]
Erzeugung und letzte Aufloͤſung der Koͤrper, ſind ſich,
wie ſchon anderwaͤrts bemerkt worden *), in der gan-
zen Natur, ſowohl in Hinſicht der Erſcheinun-
gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel-
bar verwandt und gleich; Phosphorus iſt Morgen-
wie Abendſtern, Fackel der Hochzeit und des Todes,
und waͤhrend der eine Theil des immer kreiſenden Ra-
des ſich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an-
dere in demſelben Verhaͤltniß hinabwaͤrts. Schmerz
und Luſt, Luſt und Schmerz ſind auf dieſelbe Weiſe
verbruͤdert: das Kind der Freude wird mit Schmer-
zen geboren, auf den hoͤchſten Grad der ſinnlichen
Unluſt und Qual, folget, ſelbſt ſchon im Zuſtan-
de der Ohnmacht und des Scheintodes die hoͤchſte Luſt
**); umgekehrt, iſt die ſinnliche Luſt eine Gebaͤhrerin
des Schmerzens.
Jene ſeltſame Verſchwiſterung ſcheinet die Vor-
welt wohl verſtanden zu haben, wenn ſie den Phal-
lus oder deſſen coloſſales Sinnbild, die Pyramide als
Mahlzeichen auf Graͤber geſtellet, oder das geheime
Feſt der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus
gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges
ſinnlicher Luſt, der rohe Ausdruck auch noch eines an-
dern tieferen Verſtaͤndniſſes geweſen. Mitten unter
den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der
My-
*) Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei-
nen Geſchichte des Lebens, Abſchn. 1.
**) Man ſehe das eben genannte Werk am angefuͤhrten
Orte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/41>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.