Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Erzeugung und letzte Auflösung der Körper, sind sich,
wie schon anderwärts bemerkt worden *), in der gan-
zen Natur, sowohl in Hinsicht der Erscheinun-
gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel-
bar verwandt und gleich; Phosphorus ist Morgen-
wie Abendstern, Fackel der Hochzeit und des Todes,
und während der eine Theil des immer kreisenden Ra-
des sich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an-
dere in demselben Verhältniß hinabwärts. Schmerz
und Lust, Lust und Schmerz sind auf dieselbe Weise
verbrüdert: das Kind der Freude wird mit Schmer-
zen geboren, auf den höchsten Grad der sinnlichen
Unlust und Qual, folget, selbst schon im Zustan-
de der Ohnmacht und des Scheintodes die höchste Lust
**); umgekehrt, ist die sinnliche Lust eine Gebährerin
des Schmerzens.

Jene seltsame Verschwisterung scheinet die Vor-
welt wohl verstanden zu haben, wenn sie den Phal-
lus oder dessen colossales Sinnbild, die Pyramide als
Mahlzeichen auf Gräber gestellet, oder das geheime
Fest der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus
gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges
sinnlicher Lust, der rohe Ausdruck auch noch eines an-
dern tieferen Verständnisses gewesen. Mitten unter
den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der

My-
*) Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei-
nen Geschichte des Lebens, Abschn. 1.
**) Man sehe das eben genannte Werk am angeführten
Orte.

Erzeugung und letzte Aufloͤſung der Koͤrper, ſind ſich,
wie ſchon anderwaͤrts bemerkt worden *), in der gan-
zen Natur, ſowohl in Hinſicht der Erſcheinun-
gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel-
bar verwandt und gleich; Phosphorus iſt Morgen-
wie Abendſtern, Fackel der Hochzeit und des Todes,
und waͤhrend der eine Theil des immer kreiſenden Ra-
des ſich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an-
dere in demſelben Verhaͤltniß hinabwaͤrts. Schmerz
und Luſt, Luſt und Schmerz ſind auf dieſelbe Weiſe
verbruͤdert: das Kind der Freude wird mit Schmer-
zen geboren, auf den hoͤchſten Grad der ſinnlichen
Unluſt und Qual, folget, ſelbſt ſchon im Zuſtan-
de der Ohnmacht und des Scheintodes die hoͤchſte Luſt
**); umgekehrt, iſt die ſinnliche Luſt eine Gebaͤhrerin
des Schmerzens.

Jene ſeltſame Verſchwiſterung ſcheinet die Vor-
welt wohl verſtanden zu haben, wenn ſie den Phal-
lus oder deſſen coloſſales Sinnbild, die Pyramide als
Mahlzeichen auf Graͤber geſtellet, oder das geheime
Feſt der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus
gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges
ſinnlicher Luſt, der rohe Ausdruck auch noch eines an-
dern tieferen Verſtaͤndniſſes geweſen. Mitten unter
den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der

My-
*) Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei-
nen Geſchichte des Lebens, Abſchn. 1.
**) Man ſehe das eben genannte Werk am angefuͤhrten
Orte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0041" n="31"/>
Erzeugung und letzte Auflo&#x0364;&#x017F;ung der Ko&#x0364;rper, &#x017F;ind &#x017F;ich,<lb/>
wie &#x017F;chon anderwa&#x0364;rts bemerkt worden <note place="foot" n="*)">Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei-<lb/>
nen Ge&#x017F;chichte des Lebens, Ab&#x017F;chn. 1.</note>, in der gan-<lb/>
zen Natur, &#x017F;owohl in Hin&#x017F;icht der Er&#x017F;cheinun-<lb/>
gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel-<lb/>
bar verwandt und gleich; Phosphorus i&#x017F;t Morgen-<lb/>
wie Abend&#x017F;tern, Fackel der Hochzeit und des Todes,<lb/>
und wa&#x0364;hrend der eine Theil des immer krei&#x017F;enden Ra-<lb/>
des &#x017F;ich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an-<lb/>
dere in dem&#x017F;elben Verha&#x0364;ltniß hinabwa&#x0364;rts. Schmerz<lb/>
und Lu&#x017F;t, Lu&#x017F;t und Schmerz &#x017F;ind auf die&#x017F;elbe Wei&#x017F;e<lb/>
verbru&#x0364;dert: das Kind der Freude wird mit Schmer-<lb/>
zen geboren, auf den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grad der &#x017F;innlichen<lb/>
Unlu&#x017F;t und Qual, folget, &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon im Zu&#x017F;tan-<lb/>
de der Ohnmacht und des Scheintodes die ho&#x0364;ch&#x017F;te Lu&#x017F;t<lb/><note place="foot" n="**)">Man &#x017F;ehe das eben genannte Werk am angefu&#x0364;hrten<lb/>
Orte.</note>; umgekehrt, i&#x017F;t die &#x017F;innliche Lu&#x017F;t eine Geba&#x0364;hrerin<lb/>
des Schmerzens.</p><lb/>
        <p>Jene &#x017F;elt&#x017F;ame Ver&#x017F;chwi&#x017F;terung &#x017F;cheinet die Vor-<lb/>
welt wohl ver&#x017F;tanden zu haben, wenn &#x017F;ie den Phal-<lb/>
lus oder de&#x017F;&#x017F;en colo&#x017F;&#x017F;ales Sinnbild, die Pyramide als<lb/>
Mahlzeichen auf Gra&#x0364;ber ge&#x017F;tellet, oder das geheime<lb/>
Fe&#x017F;t der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus<lb/>
gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges<lb/>
&#x017F;innlicher Lu&#x017F;t, der rohe Ausdruck auch noch eines an-<lb/>
dern tieferen Ver&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;es gewe&#x017F;en. Mitten unter<lb/>
den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">My-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0041] Erzeugung und letzte Aufloͤſung der Koͤrper, ſind ſich, wie ſchon anderwaͤrts bemerkt worden *), in der gan- zen Natur, ſowohl in Hinſicht der Erſcheinun- gen als der dabey hervorkommenden Stoffe unmittel- bar verwandt und gleich; Phosphorus iſt Morgen- wie Abendſtern, Fackel der Hochzeit und des Todes, und waͤhrend der eine Theil des immer kreiſenden Ra- des ſich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der an- dere in demſelben Verhaͤltniß hinabwaͤrts. Schmerz und Luſt, Luſt und Schmerz ſind auf dieſelbe Weiſe verbruͤdert: das Kind der Freude wird mit Schmer- zen geboren, auf den hoͤchſten Grad der ſinnlichen Unluſt und Qual, folget, ſelbſt ſchon im Zuſtan- de der Ohnmacht und des Scheintodes die hoͤchſte Luſt **); umgekehrt, iſt die ſinnliche Luſt eine Gebaͤhrerin des Schmerzens. Jene ſeltſame Verſchwiſterung ſcheinet die Vor- welt wohl verſtanden zu haben, wenn ſie den Phal- lus oder deſſen coloſſales Sinnbild, die Pyramide als Mahlzeichen auf Graͤber geſtellet, oder das geheime Feſt der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges ſinnlicher Luſt, der rohe Ausdruck auch noch eines an- dern tieferen Verſtaͤndniſſes geweſen. Mitten unter den Todesfei-rlichkeiten und den Trauerklagen der My- *) Im zweyten Bande meiner Ahndungen einer allgemei- nen Geſchichte des Lebens, Abſchn. 1. **) Man ſehe das eben genannte Werk am angefuͤhrten Orte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/41
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/41>, abgerufen am 23.04.2024.