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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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gegenüberstehenden andern, die Leber z. B. in der Re-
gel nicht produzirt werden könnte, ohne daß zugleich
der andere Pol, die in Hinsicht ihres physiologischen
Nutzens räthselhafte Milz mit gesetzt würde, die Nie-
ren nicht ohne die Nebennieren, die Pflanzen fressenden
Thiere nicht ohne die ihnen gegenüber stehenden Raub-
thiere. Indessen gehet dennoch die wahre Teleologie,
welche zwar auch den Menschen als Mittelpunkt alles
Erschaffenen, die ganze Natur (nur in geistiger
Hinsicht) in Beziehung auf ihn vorhanden annimmt,
nicht von dieser Ansicht, sondern von andern tiefer
liegenden Prinzipien aus.

An eine geistige Bedeutung der uns umgebenden
Natur, an eine sogenannte Natursprache, ist schon öf-
ters und bey mehreren Völkern gedacht worden. Merk-
würdig ist es immer, daß gewisse Thiere, gewisse
Blumen u. s. w. bey den verschiedensten Völkern und
in den verschiedensten Zeiten einerley Bedeutung ge-
habt haben, die mit ihren uns bekannten Eigenschaf-
ten in keinem sichtbaren Zusammenhang stehet, z. B.
der Eisvogel, der Alcyon der Alten, der noch jetzt bey
halb kultivirten und wilden Nationen, bey den Tar-
taren und Ostiaken sowohl als bey den Bewohnern
der Südsee Inseln dasselbe bedeutet, was er den Al-
ten war, Vogel des Friedens und des Glücks, Bän-
diger der Stürme und des Meeres, und so mehrere
Thiere, von deren einigen noch hernach die Rede seyn
wird. Auch die künstliche Blumensprache, die vor-
züglich in den Morgenländern zu Hause ist, scheint
wenigstens von der Voraussetzung auszugehen, daß
eine solche Natursprache möglich sey, obgleich sie meist

will-

gegenuͤberſtehenden andern, die Leber z. B. in der Re-
gel nicht produzirt werden koͤnnte, ohne daß zugleich
der andere Pol, die in Hinſicht ihres phyſiologiſchen
Nutzens raͤthſelhafte Milz mit geſetzt wuͤrde, die Nie-
ren nicht ohne die Nebennieren, die Pflanzen freſſenden
Thiere nicht ohne die ihnen gegenuͤber ſtehenden Raub-
thiere. Indeſſen gehet dennoch die wahre Teleologie,
welche zwar auch den Menſchen als Mittelpunkt alles
Erſchaffenen, die ganze Natur (nur in geiſtiger
Hinſicht) in Beziehung auf ihn vorhanden annimmt,
nicht von dieſer Anſicht, ſondern von andern tiefer
liegenden Prinzipien aus.

An eine geiſtige Bedeutung der uns umgebenden
Natur, an eine ſogenannte Naturſprache, iſt ſchon oͤf-
ters und bey mehreren Voͤlkern gedacht worden. Merk-
wuͤrdig iſt es immer, daß gewiſſe Thiere, gewiſſe
Blumen u. ſ. w. bey den verſchiedenſten Voͤlkern und
in den verſchiedenſten Zeiten einerley Bedeutung ge-
habt haben, die mit ihren uns bekannten Eigenſchaf-
ten in keinem ſichtbaren Zuſammenhang ſtehet, z. B.
der Eisvogel, der Alcyon der Alten, der noch jetzt bey
halb kultivirten und wilden Nationen, bey den Tar-
taren und Oſtiaken ſowohl als bey den Bewohnern
der Suͤdſee Inſeln daſſelbe bedeutet, was er den Al-
ten war, Vogel des Friedens und des Gluͤcks, Baͤn-
diger der Stuͤrme und des Meeres, und ſo mehrere
Thiere, von deren einigen noch hernach die Rede ſeyn
wird. Auch die kuͤnſtliche Blumenſprache, die vor-
zuͤglich in den Morgenlaͤndern zu Hauſe iſt, ſcheint
wenigſtens von der Vorausſetzung auszugehen, daß
eine ſolche Naturſprache moͤglich ſey, obgleich ſie meiſt

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[27/0037] gegenuͤberſtehenden andern, die Leber z. B. in der Re- gel nicht produzirt werden koͤnnte, ohne daß zugleich der andere Pol, die in Hinſicht ihres phyſiologiſchen Nutzens raͤthſelhafte Milz mit geſetzt wuͤrde, die Nie- ren nicht ohne die Nebennieren, die Pflanzen freſſenden Thiere nicht ohne die ihnen gegenuͤber ſtehenden Raub- thiere. Indeſſen gehet dennoch die wahre Teleologie, welche zwar auch den Menſchen als Mittelpunkt alles Erſchaffenen, die ganze Natur (nur in geiſtiger Hinſicht) in Beziehung auf ihn vorhanden annimmt, nicht von dieſer Anſicht, ſondern von andern tiefer liegenden Prinzipien aus. An eine geiſtige Bedeutung der uns umgebenden Natur, an eine ſogenannte Naturſprache, iſt ſchon oͤf- ters und bey mehreren Voͤlkern gedacht worden. Merk- wuͤrdig iſt es immer, daß gewiſſe Thiere, gewiſſe Blumen u. ſ. w. bey den verſchiedenſten Voͤlkern und in den verſchiedenſten Zeiten einerley Bedeutung ge- habt haben, die mit ihren uns bekannten Eigenſchaf- ten in keinem ſichtbaren Zuſammenhang ſtehet, z. B. der Eisvogel, der Alcyon der Alten, der noch jetzt bey halb kultivirten und wilden Nationen, bey den Tar- taren und Oſtiaken ſowohl als bey den Bewohnern der Suͤdſee Inſeln daſſelbe bedeutet, was er den Al- ten war, Vogel des Friedens und des Gluͤcks, Baͤn- diger der Stuͤrme und des Meeres, und ſo mehrere Thiere, von deren einigen noch hernach die Rede ſeyn wird. Auch die kuͤnſtliche Blumenſprache, die vor- zuͤglich in den Morgenlaͤndern zu Hauſe iſt, ſcheint wenigſtens von der Vorausſetzung auszugehen, daß eine ſolche Naturſprache moͤglich ſey, obgleich ſie meiſt will-

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/37>, abgerufen am 28.03.2024.