Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

ein ganz entarteter Gatte gebessert, ein alter Sünder
zum Tugendhaften umgewandt werde, und obgleich
solchen schnellen Aenderungen selten lange zu trauen,
wie uns, wenn wir hinter den Vorhang hinaus
blicken könnten, der sechste und siebente Akt lehren
würden; so ist es doch gewiß, daß die innere Ge-
schichte des Menschen reich an Beyspielen einer fast
auf einmal geschehenden und über das ganze Leben
hinaus unwandelbar fortwährenden Sinnesänderung
sey. Auch eine herzliche Liebe zwischen zwey für ein-
ander geeigneten Personen, entsteht öfters sogleich in
den Augenblicken des ersten Sehens, und bringt in
einer einzigen entscheidenden Stunde eine gänzliche
Aenderung der Gesinnung hervor, indem alle andere
frühere Neigungen durch diese ungleich stärkere verän-
dert oder verdrängt werden. Oder auch, eine lange
im Innern verhaltene, sich selber unbekannt gebliebe-
ne Liebe, bricht zuletzt auf einmal in einer einzigen
glücklichen Stunde unaufhaltsam hervor, *) setzet sich
in Besitz aller unserer Kräfte, und fängt nun so-
gleich an, auf diese bildend und gestaltend einzuwir-
ken. Auf diese Weise kann auch jene höchste Liebe,
deren Gegenstand ein solcher ist, daß in ihm ein ewi-
ges Sehnen ewig neue Befriedigung findet, und daß
seine unendliche Fülle selbst ein ewiger Genuß nicht zu
erschöpfen vermag, auf einmal, in einer einzigen gro-
ßen Stunde sich entzünden, und nun auf immer in un-
serm Gemüth festen Sitz fassen; oder eine einzige gute

Stunde
*) Ewalds Handbuch für erwachsene Töchter, Band 1.
Seite 229.

ein ganz entarteter Gatte gebeſſert, ein alter Suͤnder
zum Tugendhaften umgewandt werde, und obgleich
ſolchen ſchnellen Aenderungen ſelten lange zu trauen,
wie uns, wenn wir hinter den Vorhang hinaus
blicken koͤnnten, der ſechste und ſiebente Akt lehren
wuͤrden; ſo iſt es doch gewiß, daß die innere Ge-
ſchichte des Menſchen reich an Beyſpielen einer faſt
auf einmal geſchehenden und uͤber das ganze Leben
hinaus unwandelbar fortwaͤhrenden Sinnesaͤnderung
ſey. Auch eine herzliche Liebe zwiſchen zwey fuͤr ein-
ander geeigneten Perſonen, entſteht oͤfters ſogleich in
den Augenblicken des erſten Sehens, und bringt in
einer einzigen entſcheidenden Stunde eine gaͤnzliche
Aenderung der Geſinnung hervor, indem alle andere
fruͤhere Neigungen durch dieſe ungleich ſtaͤrkere veraͤn-
dert oder verdraͤngt werden. Oder auch, eine lange
im Innern verhaltene, ſich ſelber unbekannt gebliebe-
ne Liebe, bricht zuletzt auf einmal in einer einzigen
gluͤcklichen Stunde unaufhaltſam hervor, *) ſetzet ſich
in Beſitz aller unſerer Kraͤfte, und faͤngt nun ſo-
gleich an, auf dieſe bildend und geſtaltend einzuwir-
ken. Auf dieſe Weiſe kann auch jene hoͤchſte Liebe,
deren Gegenſtand ein ſolcher iſt, daß in ihm ein ewi-
ges Sehnen ewig neue Befriedigung findet, und daß
ſeine unendliche Fuͤlle ſelbſt ein ewiger Genuß nicht zu
erſchoͤpfen vermag, auf einmal, in einer einzigen gro-
ßen Stunde ſich entzuͤnden, und nun auf immer in un-
ſerm Gemuͤth feſten Sitz faſſen; oder eine einzige gute

Stunde
*) Ewalds Handbuch fuͤr erwachſene Toͤchter, Band 1.
Seite 229.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0179" n="169"/>
ein ganz entarteter Gatte gebe&#x017F;&#x017F;ert, ein alter Su&#x0364;nder<lb/>
zum Tugendhaften umgewandt werde, und obgleich<lb/>
&#x017F;olchen &#x017F;chnellen Aenderungen &#x017F;elten lange zu trauen,<lb/>
wie uns, wenn wir hinter den Vorhang hinaus<lb/>
blicken ko&#x0364;nnten, der &#x017F;echste und &#x017F;iebente Akt lehren<lb/>
wu&#x0364;rden; &#x017F;o i&#x017F;t es doch gewiß, daß die innere Ge-<lb/>
&#x017F;chichte des Men&#x017F;chen reich an Bey&#x017F;pielen einer fa&#x017F;t<lb/>
auf einmal ge&#x017F;chehenden und u&#x0364;ber das ganze Leben<lb/>
hinaus unwandelbar fortwa&#x0364;hrenden Sinnesa&#x0364;nderung<lb/>
&#x017F;ey. Auch eine herzliche Liebe zwi&#x017F;chen zwey fu&#x0364;r ein-<lb/>
ander geeigneten Per&#x017F;onen, ent&#x017F;teht o&#x0364;fters &#x017F;ogleich in<lb/>
den Augenblicken des er&#x017F;ten Sehens, und bringt in<lb/>
einer einzigen ent&#x017F;cheidenden Stunde eine ga&#x0364;nzliche<lb/>
Aenderung der Ge&#x017F;innung hervor, indem alle andere<lb/>
fru&#x0364;here Neigungen durch die&#x017F;e ungleich &#x017F;ta&#x0364;rkere vera&#x0364;n-<lb/>
dert oder verdra&#x0364;ngt werden. Oder auch, eine lange<lb/>
im Innern verhaltene, &#x017F;ich &#x017F;elber unbekannt gebliebe-<lb/>
ne Liebe, bricht zuletzt auf einmal in einer einzigen<lb/>
glu&#x0364;cklichen Stunde unaufhalt&#x017F;am hervor, <note place="foot" n="*)">Ewalds Handbuch fu&#x0364;r erwach&#x017F;ene To&#x0364;chter, Band 1.<lb/>
Seite 229.</note> &#x017F;etzet &#x017F;ich<lb/>
in Be&#x017F;itz aller un&#x017F;erer Kra&#x0364;fte, und fa&#x0364;ngt nun &#x017F;o-<lb/>
gleich an, auf die&#x017F;e bildend und ge&#x017F;taltend einzuwir-<lb/>
ken. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e kann auch jene ho&#x0364;ch&#x017F;te Liebe,<lb/>
deren Gegen&#x017F;tand ein &#x017F;olcher i&#x017F;t, daß in ihm ein ewi-<lb/>
ges Sehnen ewig neue Befriedigung findet, und daß<lb/>
&#x017F;eine unendliche Fu&#x0364;lle &#x017F;elb&#x017F;t ein ewiger Genuß nicht zu<lb/>
er&#x017F;cho&#x0364;pfen vermag, auf einmal, in einer einzigen gro-<lb/>
ßen Stunde &#x017F;ich entzu&#x0364;nden, und nun auf immer in un-<lb/>
&#x017F;erm Gemu&#x0364;th fe&#x017F;ten Sitz fa&#x017F;&#x017F;en; oder eine einzige gute<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Stunde</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0179] ein ganz entarteter Gatte gebeſſert, ein alter Suͤnder zum Tugendhaften umgewandt werde, und obgleich ſolchen ſchnellen Aenderungen ſelten lange zu trauen, wie uns, wenn wir hinter den Vorhang hinaus blicken koͤnnten, der ſechste und ſiebente Akt lehren wuͤrden; ſo iſt es doch gewiß, daß die innere Ge- ſchichte des Menſchen reich an Beyſpielen einer faſt auf einmal geſchehenden und uͤber das ganze Leben hinaus unwandelbar fortwaͤhrenden Sinnesaͤnderung ſey. Auch eine herzliche Liebe zwiſchen zwey fuͤr ein- ander geeigneten Perſonen, entſteht oͤfters ſogleich in den Augenblicken des erſten Sehens, und bringt in einer einzigen entſcheidenden Stunde eine gaͤnzliche Aenderung der Geſinnung hervor, indem alle andere fruͤhere Neigungen durch dieſe ungleich ſtaͤrkere veraͤn- dert oder verdraͤngt werden. Oder auch, eine lange im Innern verhaltene, ſich ſelber unbekannt gebliebe- ne Liebe, bricht zuletzt auf einmal in einer einzigen gluͤcklichen Stunde unaufhaltſam hervor, *) ſetzet ſich in Beſitz aller unſerer Kraͤfte, und faͤngt nun ſo- gleich an, auf dieſe bildend und geſtaltend einzuwir- ken. Auf dieſe Weiſe kann auch jene hoͤchſte Liebe, deren Gegenſtand ein ſolcher iſt, daß in ihm ein ewi- ges Sehnen ewig neue Befriedigung findet, und daß ſeine unendliche Fuͤlle ſelbſt ein ewiger Genuß nicht zu erſchoͤpfen vermag, auf einmal, in einer einzigen gro- ßen Stunde ſich entzuͤnden, und nun auf immer in un- ſerm Gemuͤth feſten Sitz faſſen; oder eine einzige gute Stunde *) Ewalds Handbuch fuͤr erwachſene Toͤchter, Band 1. Seite 229.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/179
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/179>, abgerufen am 30.04.2024.