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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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jetzt der Sinn ist, auf welchen alle Einflüsse einer hö-
heren geistigen Region einwirken, auch ursprünglich
das Organ sey, durch welches der Mensch bildend und
verändernd auf die ihm umgebende Natur einwirken
konnte. Sobald in verschiedenen körperlich - geistigen
Zuständen, die eigenthümliche Natur des Ganglien-
systemes anfängt zu erwachen, sehen wir dieselbe we-
nigstens noch im schwachen Schatten, ihr altes und
ursprüngliches Geschäft treiben. Der Traum, der
Somnambulismus, die Begeisterung und alle erhöh-
ten Zustände unserer bildenden Natur, führen uns in
schöne, noch nie gesehene Gegenden, in eine neue und
selbsterschaffene, reiche und erhabene Natur, in eine
Welt voller Bilder und Gestalten. *) Aber jene
Gebilde sind nur ein armer Nachhall des anfänglichen
Vermögens. Ein großer Künstler, der jetzt in einem
engen Kerker an Ketten geschlossen, alles Materials
seiner ehehin mit Ruhm ausgeübten Kunst beraubt ist,
verräth das innere Verlangen nach angemessener Be-
schäftigung und den eingepflanzten Kunsttrieb we-
nigstens noch dadurch, daß er Gestalten aus Brod-
teig bildet, die ihm der nächst folgende Augenblick
wieder zerbricht, und mit seiner Kette, statt des ihm
genommenen Pinsels, in den Staub mahlet, den der
nächste Morgen wieder verweht. -- Von allen jenen

Kräf-
*) Kluge, a. a. O. Hufelands 2te Somnambüle
sahe sich im Zustand des Hellsehens gleich von Anfang
in einen schönen Garten versetzt. Hufeland, über
Sympathie S. 179. -- Scheintodt Gewesene sagten
dasselbe von sich aus.
Eben so die sogenannten Verzückten.

jetzt der Sinn iſt, auf welchen alle Einfluͤſſe einer hoͤ-
heren geiſtigen Region einwirken, auch urſpruͤnglich
das Organ ſey, durch welches der Menſch bildend und
veraͤndernd auf die ihm umgebende Natur einwirken
konnte. Sobald in verſchiedenen koͤrperlich - geiſtigen
Zuſtaͤnden, die eigenthuͤmliche Natur des Ganglien-
ſyſtemes anfaͤngt zu erwachen, ſehen wir dieſelbe we-
nigſtens noch im ſchwachen Schatten, ihr altes und
urſpruͤngliches Geſchaͤft treiben. Der Traum, der
Somnambulismus, die Begeiſterung und alle erhoͤh-
ten Zuſtaͤnde unſerer bildenden Natur, fuͤhren uns in
ſchoͤne, noch nie geſehene Gegenden, in eine neue und
ſelbſterſchaffene, reiche und erhabene Natur, in eine
Welt voller Bilder und Geſtalten. *) Aber jene
Gebilde ſind nur ein armer Nachhall des anfaͤnglichen
Vermoͤgens. Ein großer Kuͤnſtler, der jetzt in einem
engen Kerker an Ketten geſchloſſen, alles Materials
ſeiner ehehin mit Ruhm ausgeuͤbten Kunſt beraubt iſt,
verraͤth das innere Verlangen nach angemeſſener Be-
ſchaͤftigung und den eingepflanzten Kunſttrieb we-
nigſtens noch dadurch, daß er Geſtalten aus Brod-
teig bildet, die ihm der naͤchſt folgende Augenblick
wieder zerbricht, und mit ſeiner Kette, ſtatt des ihm
genommenen Pinſels, in den Staub mahlet, den der
naͤchſte Morgen wieder verweht. — Von allen jenen

Kraͤf-
*) Kluge, a. a. O. Hufelands 2te Somnambuͤle
ſahe ſich im Zuſtand des Hellſehens gleich von Anfang
in einen ſchoͤnen Garten verſetzt. Hufeland, uͤber
Sympathie S. 179. — Scheintodt Geweſene ſagten
daſſelbe von ſich aus.
Eben ſo die ſogenannten Verzuͤckten.
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[155/0165] jetzt der Sinn iſt, auf welchen alle Einfluͤſſe einer hoͤ- heren geiſtigen Region einwirken, auch urſpruͤnglich das Organ ſey, durch welches der Menſch bildend und veraͤndernd auf die ihm umgebende Natur einwirken konnte. Sobald in verſchiedenen koͤrperlich - geiſtigen Zuſtaͤnden, die eigenthuͤmliche Natur des Ganglien- ſyſtemes anfaͤngt zu erwachen, ſehen wir dieſelbe we- nigſtens noch im ſchwachen Schatten, ihr altes und urſpruͤngliches Geſchaͤft treiben. Der Traum, der Somnambulismus, die Begeiſterung und alle erhoͤh- ten Zuſtaͤnde unſerer bildenden Natur, fuͤhren uns in ſchoͤne, noch nie geſehene Gegenden, in eine neue und ſelbſterſchaffene, reiche und erhabene Natur, in eine Welt voller Bilder und Geſtalten. *) Aber jene Gebilde ſind nur ein armer Nachhall des anfaͤnglichen Vermoͤgens. Ein großer Kuͤnſtler, der jetzt in einem engen Kerker an Ketten geſchloſſen, alles Materials ſeiner ehehin mit Ruhm ausgeuͤbten Kunſt beraubt iſt, verraͤth das innere Verlangen nach angemeſſener Be- ſchaͤftigung und den eingepflanzten Kunſttrieb we- nigſtens noch dadurch, daß er Geſtalten aus Brod- teig bildet, die ihm der naͤchſt folgende Augenblick wieder zerbricht, und mit ſeiner Kette, ſtatt des ihm genommenen Pinſels, in den Staub mahlet, den der naͤchſte Morgen wieder verweht. — Von allen jenen Kraͤf- *) Kluge, a. a. O. Hufelands 2te Somnambuͤle ſahe ſich im Zuſtand des Hellſehens gleich von Anfang in einen ſchoͤnen Garten verſetzt. Hufeland, uͤber Sympathie S. 179. — Scheintodt Geweſene ſagten daſſelbe von ſich aus. Eben ſo die ſogenannten Verzuͤckten.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/165>, abgerufen am 24.11.2024.