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Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

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mal eine besondere Vollkommenheit -- ich erinnerte
mich z. B. langer Stellen aus lateinischen Schriftstel-
lern. Es kostete mir im gewöhnlichen Leben viel
Mühe, gelegentlich Reime zu finden, aber in der
Krankheit schrieb ich so geläusig in Versen, als in
Prosa. Ich war perschmizt, sogar boshaft,
und fruchtbar an Hülfsmitteln aller Art. *)" Auch
bey den Somnambülen, in denen während der Krise
eine ähnliche Erweiterung jener engen Grenzen, ein
ähnliches Aufheben jener Scheidewand statt findet,
nur daß sich bey ihnen das Gehirn nicht negativ wie
im Wahnfinn und Schlaf, sondern positiv verhält,
wird jenes Wonnegefühl bemerkt, besonders im höchsten
Grade, in dem Zustand der Entzückung, wodurch jene
Schranken so vollkommen aufgehoben werden, daß
die empfangenen Rührungen selbst noch mit ins Wa-
chen übergehen.

Jene Aufhebung der gewöhnlichen Schranken
und Vereinigung beyder Systeme pflegt insgemein
durch eine ganz vorzüglich erhöhte Thätigkeit des ei-
nen von beyden zu geschehen, und im Rausche, im
Somnambulismus, im Zustande der höchsten Freude
u. a. durch Erhöhung der Thätigkeit im Gangliensy-
stem, im Zustande des erhöhten Erkennens, durch

Er-
*) Man wird hieraus die nicht etwa durchaus göttliche,
sondern zum Theil sogar sehr verdächtige Natur
jenes Wonnegefühles einsehen, ein Umstand, den ich
selber früher (a. a. O.) übersehen.

mal eine beſondere Vollkommenheit — ich erinnerte
mich z. B. langer Stellen aus lateiniſchen Schriftſtel-
lern. Es koſtete mir im gewoͤhnlichen Leben viel
Muͤhe, gelegentlich Reime zu finden, aber in der
Krankheit ſchrieb ich ſo gelaͤuſig in Verſen, als in
Proſa. Ich war perſchmizt, ſogar boshaft,
und fruchtbar an Huͤlfsmitteln aller Art. *)‟ Auch
bey den Somnambuͤlen, in denen waͤhrend der Kriſe
eine aͤhnliche Erweiterung jener engen Grenzen, ein
aͤhnliches Aufheben jener Scheidewand ſtatt findet,
nur daß ſich bey ihnen das Gehirn nicht negativ wie
im Wahnfinn und Schlaf, ſondern poſitiv verhaͤlt,
wird jenes Wonnegefuͤhl bemerkt, beſonders im hoͤchſten
Grade, in dem Zuſtand der Entzuͤckung, wodurch jene
Schranken ſo vollkommen aufgehoben werden, daß
die empfangenen Ruͤhrungen ſelbſt noch mit ins Wa-
chen uͤbergehen.

Jene Aufhebung der gewoͤhnlichen Schranken
und Vereinigung beyder Syſteme pflegt insgemein
durch eine ganz vorzuͤglich erhoͤhte Thaͤtigkeit des ei-
nen von beyden zu geſchehen, und im Rauſche, im
Somnambulismus, im Zuſtande der hoͤchſten Freude
u. a. durch Erhoͤhung der Thaͤtigkeit im Ganglienſy-
ſtem, im Zuſtande des erhoͤhten Erkennens, durch

Er-
*) Man wird hieraus die nicht etwa durchaus goͤttliche,
ſondern zum Theil ſogar ſehr verdaͤchtige Natur
jenes Wonnegefuͤhles einſehen, ein Umſtand, den ich
ſelber fruͤher (a. a. O.) uͤberſehen.
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[150/0160] mal eine beſondere Vollkommenheit — ich erinnerte mich z. B. langer Stellen aus lateiniſchen Schriftſtel- lern. Es koſtete mir im gewoͤhnlichen Leben viel Muͤhe, gelegentlich Reime zu finden, aber in der Krankheit ſchrieb ich ſo gelaͤuſig in Verſen, als in Proſa. Ich war perſchmizt, ſogar boshaft, und fruchtbar an Huͤlfsmitteln aller Art. *)‟ Auch bey den Somnambuͤlen, in denen waͤhrend der Kriſe eine aͤhnliche Erweiterung jener engen Grenzen, ein aͤhnliches Aufheben jener Scheidewand ſtatt findet, nur daß ſich bey ihnen das Gehirn nicht negativ wie im Wahnfinn und Schlaf, ſondern poſitiv verhaͤlt, wird jenes Wonnegefuͤhl bemerkt, beſonders im hoͤchſten Grade, in dem Zuſtand der Entzuͤckung, wodurch jene Schranken ſo vollkommen aufgehoben werden, daß die empfangenen Ruͤhrungen ſelbſt noch mit ins Wa- chen uͤbergehen. Jene Aufhebung der gewoͤhnlichen Schranken und Vereinigung beyder Syſteme pflegt insgemein durch eine ganz vorzuͤglich erhoͤhte Thaͤtigkeit des ei- nen von beyden zu geſchehen, und im Rauſche, im Somnambulismus, im Zuſtande der hoͤchſten Freude u. a. durch Erhoͤhung der Thaͤtigkeit im Ganglienſy- ſtem, im Zuſtande des erhoͤhten Erkennens, durch Er- *) Man wird hieraus die nicht etwa durchaus goͤttliche, ſondern zum Theil ſogar ſehr verdaͤchtige Natur jenes Wonnegefuͤhles einſehen, ein Umſtand, den ich ſelber fruͤher (a. a. O.) uͤberſehen.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/160>, abgerufen am 30.04.2024.