Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

In der That ist es nicht gerade die glänzendste
und beste Seite, sondern vielmehr die partie hon-
teuse
unsers armen zerlumpten Selbst, die hier ne-
ben uns, als werkthätige (bildende) Seele an den
Karren geschmiedet ist. Wir lernen sie nur zu gut
kennen, sobald sie, wenn auch nur auf einzelne Au-
genblicke, aus ihren Ketten losgelassen wird *) Ich
erschrecke, wenn ich diese Schattenseite meines Selbst
einmal im Traume in ihrer eigentlichen Gestalt er-
blicke! Selbst im Zustande des bloßen Nachtwandelns
zeigen sich, sonst gleichgültige Naturen zu Mordtha-
ten und Verletzungen, selbst der Geliebtesten geneigt,
und müssen schon deßhalb sorgfältig bewacht wer-
den. **) Ein sonst stiller, gleichgültiger Junge, den
ich in den ersten Monaten meiner Praxis an einer
Art von Veitstanz zu behandeln hatte, war, sobald
der Anfall kam, wie von einem boshaften Teufel be-
sessen. Die Augen blickten wild und tückisch, dabey
lachte er entsetzlich behaglich, als wenns ihm bey sei-
nen tanzenden Bewegungen ganz besonders wohl wäre.
Jetzt mußten alle Messer u. dgl. entfernt werden, auf
die hinterlistigste Weise suchte er die Umstehenden zu
verletzen, und wenn er nichts anders haben konnte,

ver-
*) Bey dem Raubthiere ist sie weniger durch die Mate-
rie gebunden, als im massiven Pflanzen fressenden
Thiere, beym Cholericus weniger, als beym Phlegma-
ticus, ohne daß dieser um ein Haar besser wäre als
dieser.
**) Nudows Theorie des Schlafes.

In der That iſt es nicht gerade die glaͤnzendſte
und beſte Seite, ſondern vielmehr die partie hon-
teuse
unſers armen zerlumpten Selbſt, die hier ne-
ben uns, als werkthaͤtige (bildende) Seele an den
Karren geſchmiedet iſt. Wir lernen ſie nur zu gut
kennen, ſobald ſie, wenn auch nur auf einzelne Au-
genblicke, aus ihren Ketten losgelaſſen wird *) Ich
erſchrecke, wenn ich dieſe Schattenſeite meines Selbſt
einmal im Traume in ihrer eigentlichen Geſtalt er-
blicke! Selbſt im Zuſtande des bloßen Nachtwandelns
zeigen ſich, ſonſt gleichguͤltige Naturen zu Mordtha-
ten und Verletzungen, ſelbſt der Geliebteſten geneigt,
und muͤſſen ſchon deßhalb ſorgfaͤltig bewacht wer-
den. **) Ein ſonſt ſtiller, gleichguͤltiger Junge, den
ich in den erſten Monaten meiner Praxis an einer
Art von Veitstanz zu behandeln hatte, war, ſobald
der Anfall kam, wie von einem boshaften Teufel be-
ſeſſen. Die Augen blickten wild und tuͤckiſch, dabey
lachte er entſetzlich behaglich, als wenns ihm bey ſei-
nen tanzenden Bewegungen ganz beſonders wohl waͤre.
Jetzt mußten alle Meſſer u. dgl. entfernt werden, auf
die hinterliſtigſte Weiſe ſuchte er die Umſtehenden zu
verletzen, und wenn er nichts anders haben konnte,

ver-
*) Bey dem Raubthiere iſt ſie weniger durch die Mate-
rie gebunden, als im maſſiven Pflanzen freſſenden
Thiere, beym Cholericus weniger, als beym Phlegma-
ticus, ohne daß dieſer um ein Haar beſſer waͤre als
dieſer.
**) Nudows Theorie des Schlafes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0128" n="118"/>
        <p>In der That i&#x017F;t es nicht gerade die gla&#x0364;nzend&#x017F;te<lb/>
und be&#x017F;te Seite, &#x017F;ondern vielmehr die <hi rendition="#aq">partie hon-<lb/>
teuse</hi> un&#x017F;ers armen zerlumpten Selb&#x017F;t, die hier ne-<lb/>
ben uns, als werktha&#x0364;tige (bildende) Seele an den<lb/>
Karren ge&#x017F;chmiedet i&#x017F;t. Wir lernen &#x017F;ie nur zu gut<lb/>
kennen, &#x017F;obald &#x017F;ie, wenn auch nur auf einzelne Au-<lb/>
genblicke, aus ihren Ketten losgela&#x017F;&#x017F;en wird <note place="foot" n="*)">Bey dem Raubthiere i&#x017F;t &#x017F;ie weniger durch die Mate-<lb/>
rie gebunden, als im ma&#x017F;&#x017F;iven Pflanzen fre&#x017F;&#x017F;enden<lb/>
Thiere, beym Cholericus weniger, als beym Phlegma-<lb/>
ticus, ohne daß die&#x017F;er um ein Haar be&#x017F;&#x017F;er wa&#x0364;re als<lb/>
die&#x017F;er.</note> Ich<lb/>
er&#x017F;chrecke, wenn ich die&#x017F;e Schatten&#x017F;eite meines Selb&#x017F;t<lb/>
einmal im Traume in ihrer eigentlichen Ge&#x017F;talt er-<lb/>
blicke! Selb&#x017F;t im Zu&#x017F;tande des bloßen Nachtwandelns<lb/>
zeigen &#x017F;ich, &#x017F;on&#x017F;t gleichgu&#x0364;ltige Naturen zu Mordtha-<lb/>
ten und Verletzungen, &#x017F;elb&#x017F;t der Geliebte&#x017F;ten geneigt,<lb/>
und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon deßhalb &#x017F;orgfa&#x0364;ltig bewacht wer-<lb/>
den. <note place="foot" n="**)"><hi rendition="#g">Nudows</hi> Theorie des Schlafes.</note> Ein &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;tiller, gleichgu&#x0364;ltiger Junge, den<lb/>
ich in den er&#x017F;ten Monaten meiner Praxis an einer<lb/>
Art von Veitstanz zu behandeln hatte, war, &#x017F;obald<lb/>
der Anfall kam, wie von einem boshaften Teufel be-<lb/>
&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en. Die Augen blickten wild und tu&#x0364;cki&#x017F;ch, dabey<lb/>
lachte er ent&#x017F;etzlich behaglich, als wenns ihm bey &#x017F;ei-<lb/>
nen tanzenden Bewegungen ganz be&#x017F;onders wohl wa&#x0364;re.<lb/>
Jetzt mußten alle Me&#x017F;&#x017F;er u. dgl. entfernt werden, auf<lb/>
die hinterli&#x017F;tig&#x017F;te Wei&#x017F;e &#x017F;uchte er die Um&#x017F;tehenden zu<lb/>
verletzen, und wenn er nichts anders haben konnte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0128] In der That iſt es nicht gerade die glaͤnzendſte und beſte Seite, ſondern vielmehr die partie hon- teuse unſers armen zerlumpten Selbſt, die hier ne- ben uns, als werkthaͤtige (bildende) Seele an den Karren geſchmiedet iſt. Wir lernen ſie nur zu gut kennen, ſobald ſie, wenn auch nur auf einzelne Au- genblicke, aus ihren Ketten losgelaſſen wird *) Ich erſchrecke, wenn ich dieſe Schattenſeite meines Selbſt einmal im Traume in ihrer eigentlichen Geſtalt er- blicke! Selbſt im Zuſtande des bloßen Nachtwandelns zeigen ſich, ſonſt gleichguͤltige Naturen zu Mordtha- ten und Verletzungen, ſelbſt der Geliebteſten geneigt, und muͤſſen ſchon deßhalb ſorgfaͤltig bewacht wer- den. **) Ein ſonſt ſtiller, gleichguͤltiger Junge, den ich in den erſten Monaten meiner Praxis an einer Art von Veitstanz zu behandeln hatte, war, ſobald der Anfall kam, wie von einem boshaften Teufel be- ſeſſen. Die Augen blickten wild und tuͤckiſch, dabey lachte er entſetzlich behaglich, als wenns ihm bey ſei- nen tanzenden Bewegungen ganz beſonders wohl waͤre. Jetzt mußten alle Meſſer u. dgl. entfernt werden, auf die hinterliſtigſte Weiſe ſuchte er die Umſtehenden zu verletzen, und wenn er nichts anders haben konnte, ver- *) Bey dem Raubthiere iſt ſie weniger durch die Mate- rie gebunden, als im maſſiven Pflanzen freſſenden Thiere, beym Cholericus weniger, als beym Phlegma- ticus, ohne daß dieſer um ein Haar beſſer waͤre als dieſer. **) Nudows Theorie des Schlafes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/128
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/128>, abgerufen am 04.05.2024.