Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

canern *) die Züge jenes Inhalts der Mysterien, bis
in die heilige Sage der Scandinavier, und der alten
deutschen Stämme hinüber. Balder, der schönste
und beste unter allen Göttersöhnen, ist vor Allen zu
einem frühen Tod ersehen. Was hilfts daß sein Va-
ter die alte Whole, deren Leichnam Jahrhunderte
lang der Schnee und das Eis bedeckt, und der Thau
des Himmels benetzt hat, durch grausamen Zauber in
der letzten Ruhe stört, und zum Weissagen zwingt,
was hilfts, daß alle Dinge, das Wasser und die Luft,
Erde, Feuer und Eisen, alle Gifte, Pflanzen, Thie-
re und Menschen, außer der kleinen Staude Mistilteire
vor dem Pallast des Odin, welche zu jung zum
Schwur geachtet war, mit heiligem Eide geloben,
den Balder nicht zu töden, es wird doch der Sichere,
allen Elementen Unverletzliche, durch die zu gering ge-
achtete Pflanze, von einem Blinden erschlagen. Hier-
auf, als mit dem unsterblichen Ring des Odin in die
Unterwelt hinabgesendet, der schnelle Hermode um
die Gunst der großen Göttin mit lauterem Getös als
fünfmal fünftausend Tode die Brücke zum Schatten-
reich durchstürmet, als die ganze Natur durch ihre
Thränen den jungen Halbgott zurückruft, bleibt aller
dieser Jammer vergeblich, weil ein einziges feindliches
Weib in die Klagen der ganzen Natur nicht einstimmt,

*) Doch wird in der merkwürdigen Sage von dem Gott der
Luft fast noch mehr eine entfernte Aehnlichkeit mit der hei-
ligen Sage vom Idris oder Henoch gefunden.

canern *) die Zuͤge jenes Inhalts der Myſterien, bis
in die heilige Sage der Scandinavier, und der alten
deutſchen Staͤmme hinuͤber. Balder, der ſchoͤnſte
und beſte unter allen Goͤtterſoͤhnen, iſt vor Allen zu
einem fruͤhen Tod erſehen. Was hilfts daß ſein Va-
ter die alte Whole, deren Leichnam Jahrhunderte
lang der Schnee und das Eis bedeckt, und der Thau
des Himmels benetzt hat, durch grauſamen Zauber in
der letzten Ruhe ſtoͤrt, und zum Weiſſagen zwingt,
was hilfts, daß alle Dinge, das Waſſer und die Luft,
Erde, Feuer und Eiſen, alle Gifte, Pflanzen, Thie-
re und Menſchen, außer der kleinen Staude Miſtilteire
vor dem Pallaſt des Odin, welche zu jung zum
Schwur geachtet war, mit heiligem Eide geloben,
den Balder nicht zu toͤden, es wird doch der Sichere,
allen Elementen Unverletzliche, durch die zu gering ge-
achtete Pflanze, von einem Blinden erſchlagen. Hier-
auf, als mit dem unſterblichen Ring des Odin in die
Unterwelt hinabgeſendet, der ſchnelle Hermode um
die Gunſt der großen Goͤttin mit lauterem Getoͤs als
fuͤnfmal fuͤnftauſend Tode die Bruͤcke zum Schatten-
reich durchſtuͤrmet, als die ganze Natur durch ihre
Thraͤnen den jungen Halbgott zuruͤckruft, bleibt aller
dieſer Jammer vergeblich, weil ein einziges feindliches
Weib in die Klagen der ganzen Natur nicht einſtimmt,

*) Doch wird in der merkwuͤrdigen Sage von dem Gott der
Luft faſt noch mehr eine entfernte Aehnlichkeit mit der hei-
ligen Sage vom Idris oder Henoch gefunden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="78"/>
canern <note place="foot" n="*)">Doch wird in der merkwu&#x0364;rdigen Sage von dem Gott der<lb/>
Luft fa&#x017F;t noch mehr eine entfernte Aehnlichkeit mit der hei-<lb/>
ligen Sage vom Idris oder Henoch gefunden.</note> die Zu&#x0364;ge jenes Inhalts der My&#x017F;terien, bis<lb/>
in die heilige Sage der Scandinavier, und der alten<lb/>
deut&#x017F;chen Sta&#x0364;mme hinu&#x0364;ber. Balder, der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te<lb/>
und be&#x017F;te unter allen Go&#x0364;tter&#x017F;o&#x0364;hnen, i&#x017F;t vor Allen zu<lb/>
einem fru&#x0364;hen Tod er&#x017F;ehen. Was hilfts daß &#x017F;ein Va-<lb/>
ter die alte Whole, deren Leichnam Jahrhunderte<lb/>
lang der Schnee und das Eis bedeckt, und der Thau<lb/>
des Himmels benetzt hat, durch grau&#x017F;amen Zauber in<lb/>
der letzten Ruhe &#x017F;to&#x0364;rt, und zum Wei&#x017F;&#x017F;agen zwingt,<lb/>
was hilfts, daß alle Dinge, das Wa&#x017F;&#x017F;er und die Luft,<lb/>
Erde, Feuer und Ei&#x017F;en, alle Gifte, Pflanzen, Thie-<lb/>
re und Men&#x017F;chen, außer der kleinen Staude Mi&#x017F;tilteire<lb/>
vor dem Palla&#x017F;t des Odin, welche zu jung zum<lb/>
Schwur geachtet war, mit heiligem Eide geloben,<lb/>
den Balder nicht zu to&#x0364;den, es wird doch der Sichere,<lb/>
allen Elementen Unverletzliche, durch die zu gering ge-<lb/>
achtete Pflanze, von einem Blinden er&#x017F;chlagen. Hier-<lb/>
auf, als mit dem un&#x017F;terblichen Ring des Odin in die<lb/>
Unterwelt hinabge&#x017F;endet, der &#x017F;chnelle Hermode um<lb/>
die Gun&#x017F;t der großen Go&#x0364;ttin mit lauterem Geto&#x0364;s als<lb/>
fu&#x0364;nfmal fu&#x0364;nftau&#x017F;end Tode die Bru&#x0364;cke zum Schatten-<lb/>
reich durch&#x017F;tu&#x0364;rmet, als die ganze Natur durch ihre<lb/>
Thra&#x0364;nen den jungen Halbgott zuru&#x0364;ckruft, bleibt aller<lb/>
die&#x017F;er Jammer vergeblich, weil ein einziges feindliches<lb/>
Weib in die Klagen der ganzen Natur nicht ein&#x017F;timmt,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0092] canern *) die Zuͤge jenes Inhalts der Myſterien, bis in die heilige Sage der Scandinavier, und der alten deutſchen Staͤmme hinuͤber. Balder, der ſchoͤnſte und beſte unter allen Goͤtterſoͤhnen, iſt vor Allen zu einem fruͤhen Tod erſehen. Was hilfts daß ſein Va- ter die alte Whole, deren Leichnam Jahrhunderte lang der Schnee und das Eis bedeckt, und der Thau des Himmels benetzt hat, durch grauſamen Zauber in der letzten Ruhe ſtoͤrt, und zum Weiſſagen zwingt, was hilfts, daß alle Dinge, das Waſſer und die Luft, Erde, Feuer und Eiſen, alle Gifte, Pflanzen, Thie- re und Menſchen, außer der kleinen Staude Miſtilteire vor dem Pallaſt des Odin, welche zu jung zum Schwur geachtet war, mit heiligem Eide geloben, den Balder nicht zu toͤden, es wird doch der Sichere, allen Elementen Unverletzliche, durch die zu gering ge- achtete Pflanze, von einem Blinden erſchlagen. Hier- auf, als mit dem unſterblichen Ring des Odin in die Unterwelt hinabgeſendet, der ſchnelle Hermode um die Gunſt der großen Goͤttin mit lauterem Getoͤs als fuͤnfmal fuͤnftauſend Tode die Bruͤcke zum Schatten- reich durchſtuͤrmet, als die ganze Natur durch ihre Thraͤnen den jungen Halbgott zuruͤckruft, bleibt aller dieſer Jammer vergeblich, weil ein einziges feindliches Weib in die Klagen der ganzen Natur nicht einſtimmt, *) Doch wird in der merkwuͤrdigen Sage von dem Gott der Luft faſt noch mehr eine entfernte Aehnlichkeit mit der hei- ligen Sage vom Idris oder Henoch gefunden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/92
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/92>, abgerufen am 27.04.2024.