Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

und nur der ewige Ring des Odin, der, jeden neun-
ten Tag einen ihm ähnlichen Ring gebährend, seit-
dem zugleich ein Sinnbild der neuen Erzeugung aus
sich selber und des Todes ist, wird zurückgebracht.

So ist es ein Hauptinnhalt der meisten Mysterien
und heiligen Sagen, daß der Tod aus der Liebe, Un-
tergang des Individuellen aus dem höchsten Streben
der Seele hervorgienge. Hiermit verliert der Tod
seine Schrecken, und es erscheint in ihm der Moment,
wo jene höheren Organe, jene höheren Kräfte, die
wir während des Lebens vergeblich erstrebt haben, in
uns durch die Flamme eines großen Augenblicks er-
weckt werden. Alsdann wird der Psyche diese Hülle
zu enge, es vergeht diese Form, damit eine neue hö-
here aus ihr wiederkehre. --

Es deuteten die alten Mysterien, wie wir es von
den meisten wissen, *) außer diesem noch ganz vor-
züglich auf die Geschichte der hohen, untergegangenen
Urzeit, und auf die Gründe dieses Unterganges.
Nach dem ewigen Naturgesetz unterlag die große Vor-
welt, als sie ihre letzten und höchsten Kräfte an das
kühnste und erhabenste Werk gewagt. Es wird die-

*) Man hat deshalb in so vielen nichts andres als ein An-
denken an einen Religionskrieg zwischen den Anhängern
der neueingeführten Gottheiten der Mysterien und denen
der alten, worinnen jene anfangs noch unterlagen, zu se-
hen geglaubt.

und nur der ewige Ring des Odin, der, jeden neun-
ten Tag einen ihm aͤhnlichen Ring gebaͤhrend, ſeit-
dem zugleich ein Sinnbild der neuen Erzeugung aus
ſich ſelber und des Todes iſt, wird zuruͤckgebracht.

So iſt es ein Hauptinnhalt der meiſten Myſterien
und heiligen Sagen, daß der Tod aus der Liebe, Un-
tergang des Individuellen aus dem hoͤchſten Streben
der Seele hervorgienge. Hiermit verliert der Tod
ſeine Schrecken, und es erſcheint in ihm der Moment,
wo jene hoͤheren Organe, jene hoͤheren Kraͤfte, die
wir waͤhrend des Lebens vergeblich erſtrebt haben, in
uns durch die Flamme eines großen Augenblicks er-
weckt werden. Alsdann wird der Pſyche dieſe Huͤlle
zu enge, es vergeht dieſe Form, damit eine neue hoͤ-
here aus ihr wiederkehre. —

Es deuteten die alten Myſterien, wie wir es von
den meiſten wiſſen, *) außer dieſem noch ganz vor-
zuͤglich auf die Geſchichte der hohen, untergegangenen
Urzeit, und auf die Gruͤnde dieſes Unterganges.
Nach dem ewigen Naturgeſetz unterlag die große Vor-
welt, als ſie ihre letzten und hoͤchſten Kraͤfte an das
kuͤhnſte und erhabenſte Werk gewagt. Es wird die-

*) Man hat deshalb in ſo vielen nichts andres als ein An-
denken an einen Religionskrieg zwiſchen den Anhaͤngern
der neueingefuͤhrten Gottheiten der Myſterien und denen
der alten, worinnen jene anfangs noch unterlagen, zu ſe-
hen geglaubt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="79"/>
und nur der ewige Ring des Odin, der, jeden neun-<lb/>
ten Tag einen ihm a&#x0364;hnlichen Ring geba&#x0364;hrend, &#x017F;eit-<lb/>
dem zugleich ein Sinnbild der neuen Erzeugung aus<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber und des Todes i&#x017F;t, wird zuru&#x0364;ckgebracht.</p><lb/>
        <p>So i&#x017F;t es ein Hauptinnhalt der mei&#x017F;ten My&#x017F;terien<lb/>
und heiligen Sagen, daß der Tod aus der Liebe, Un-<lb/>
tergang des Individuellen aus dem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Streben<lb/>
der Seele hervorgienge. Hiermit verliert der Tod<lb/>
&#x017F;eine Schrecken, und es er&#x017F;cheint in ihm der Moment,<lb/>
wo jene ho&#x0364;heren Organe, jene ho&#x0364;heren Kra&#x0364;fte, die<lb/>
wir wa&#x0364;hrend des Lebens vergeblich er&#x017F;trebt haben, in<lb/>
uns durch die Flamme eines großen Augenblicks er-<lb/>
weckt werden. Alsdann wird der P&#x017F;yche die&#x017F;e Hu&#x0364;lle<lb/>
zu enge, es vergeht die&#x017F;e Form, damit eine neue ho&#x0364;-<lb/>
here aus ihr wiederkehre. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Es deuteten die alten My&#x017F;terien, wie wir es von<lb/>
den mei&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en, <note place="foot" n="*)">Man hat deshalb in &#x017F;o vielen nichts andres als ein An-<lb/>
denken an einen Religionskrieg zwi&#x017F;chen den Anha&#x0364;ngern<lb/>
der neueingefu&#x0364;hrten Gottheiten der My&#x017F;terien und denen<lb/>
der alten, worinnen jene anfangs noch unterlagen, zu &#x017F;e-<lb/>
hen geglaubt.</note> außer die&#x017F;em noch ganz vor-<lb/>
zu&#x0364;glich auf die Ge&#x017F;chichte der hohen, untergegangenen<lb/>
Urzeit, und auf die Gru&#x0364;nde die&#x017F;es Unterganges.<lb/>
Nach dem ewigen Naturge&#x017F;etz unterlag die große Vor-<lb/>
welt, als &#x017F;ie ihre letzten und ho&#x0364;ch&#x017F;ten Kra&#x0364;fte an das<lb/>
ku&#x0364;hn&#x017F;te und erhaben&#x017F;te Werk gewagt. Es wird die-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0093] und nur der ewige Ring des Odin, der, jeden neun- ten Tag einen ihm aͤhnlichen Ring gebaͤhrend, ſeit- dem zugleich ein Sinnbild der neuen Erzeugung aus ſich ſelber und des Todes iſt, wird zuruͤckgebracht. So iſt es ein Hauptinnhalt der meiſten Myſterien und heiligen Sagen, daß der Tod aus der Liebe, Un- tergang des Individuellen aus dem hoͤchſten Streben der Seele hervorgienge. Hiermit verliert der Tod ſeine Schrecken, und es erſcheint in ihm der Moment, wo jene hoͤheren Organe, jene hoͤheren Kraͤfte, die wir waͤhrend des Lebens vergeblich erſtrebt haben, in uns durch die Flamme eines großen Augenblicks er- weckt werden. Alsdann wird der Pſyche dieſe Huͤlle zu enge, es vergeht dieſe Form, damit eine neue hoͤ- here aus ihr wiederkehre. — Es deuteten die alten Myſterien, wie wir es von den meiſten wiſſen, *) außer dieſem noch ganz vor- zuͤglich auf die Geſchichte der hohen, untergegangenen Urzeit, und auf die Gruͤnde dieſes Unterganges. Nach dem ewigen Naturgeſetz unterlag die große Vor- welt, als ſie ihre letzten und hoͤchſten Kraͤfte an das kuͤhnſte und erhabenſte Werk gewagt. Es wird die- *) Man hat deshalb in ſo vielen nichts andres als ein An- denken an einen Religionskrieg zwiſchen den Anhaͤngern der neueingefuͤhrten Gottheiten der Myſterien und denen der alten, worinnen jene anfangs noch unterlagen, zu ſe- hen geglaubt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/93
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/93>, abgerufen am 28.04.2024.