Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

andern Fällen oft genug bewiesen hatten, daß ihr Zu-
stand keine Täuschung war, in einen solchen unange-
nehmen geistigen Zustand setzt, wie die Annäherung
eines gesunden und starken Menschen, der mit ihnen
in keinem Rapport steht, sie körperlich beängstigt.

Es wirkte in jenen Fällen die Annäherung eines
einzelnen Christen dasselbe, was der Eintritt des Chri-
stenthums im Ganzen. Denn obgleich die Orakel und
alle mit ihnen verwandte Erscheinungen des jüngern
Heidenthums, noch in einigen schwachen Ueberresten
in die ersten Zeiten des Christenthums hinüberlebten,
sehen wir doch diesen Anfang der neuen Weltperiode
zerstörend auf jene Trümmer der alten wirken, und
jenes Orakel, das zu den Zeiten des Constantius *) von
Delphi ausgegangen, wie die im ganzen damaligen
Rom und selbst an dem Hof des Tiberius Aufsehen er-
regende Geschichte des Schiffer Thamus, die uns
Plutarch behalten, sind, wenn auch nicht ganz zu-
verlässig, doch wenigstens nicht ohne Sinn. Es war
allerdings die Obergewalt der Natur über den Men-
schen, zugleich mit dem Eintritt des Christenthums
(in jener Sage der große Pan) unterlegen.

So müssen wir, schon was die äußere Form an-
betrifft, in den Orakeln die Wirkungen einer krankhaf-
ten menschlichen Natur erkennen. Wenigstens sind sie

*) Vater des Constantin.

andern Faͤllen oft genug bewieſen hatten, daß ihr Zu-
ſtand keine Taͤuſchung war, in einen ſolchen unange-
nehmen geiſtigen Zuſtand ſetzt, wie die Annaͤherung
eines geſunden und ſtarken Menſchen, der mit ihnen
in keinem Rapport ſteht, ſie koͤrperlich beaͤngſtigt.

Es wirkte in jenen Faͤllen die Annaͤherung eines
einzelnen Chriſten daſſelbe, was der Eintritt des Chri-
ſtenthums im Ganzen. Denn obgleich die Orakel und
alle mit ihnen verwandte Erſcheinungen des juͤngern
Heidenthums, noch in einigen ſchwachen Ueberreſten
in die erſten Zeiten des Chriſtenthums hinuͤberlebten,
ſehen wir doch dieſen Anfang der neuen Weltperiode
zerſtoͤrend auf jene Truͤmmer der alten wirken, und
jenes Orakel, das zu den Zeiten des Conſtantius *) von
Delphi ausgegangen, wie die im ganzen damaligen
Rom und ſelbſt an dem Hof des Tiberius Aufſehen er-
regende Geſchichte des Schiffer Thamus, die uns
Plutarch behalten, ſind, wenn auch nicht ganz zu-
verlaͤſſig, doch wenigſtens nicht ohne Sinn. Es war
allerdings die Obergewalt der Natur uͤber den Men-
ſchen, zugleich mit dem Eintritt des Chriſtenthums
(in jener Sage der große Pan) unterlegen.

So muͤſſen wir, ſchon was die aͤußere Form an-
betrifft, in den Orakeln die Wirkungen einer krankhaf-
ten menſchlichen Natur erkennen. Wenigſtens ſind ſie

*) Vater des Conſtantin.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0109" n="95"/>
andern Fa&#x0364;llen oft genug bewie&#x017F;en hatten, daß ihr Zu-<lb/>
&#x017F;tand keine Ta&#x0364;u&#x017F;chung war, in einen &#x017F;olchen unange-<lb/>
nehmen gei&#x017F;tigen Zu&#x017F;tand &#x017F;etzt, wie die Anna&#x0364;herung<lb/>
eines ge&#x017F;unden und &#x017F;tarken Men&#x017F;chen, der mit ihnen<lb/>
in keinem Rapport &#x017F;teht, &#x017F;ie ko&#x0364;rperlich bea&#x0364;ng&#x017F;tigt.</p><lb/>
        <p>Es wirkte in jenen Fa&#x0364;llen die Anna&#x0364;herung eines<lb/>
einzelnen Chri&#x017F;ten da&#x017F;&#x017F;elbe, was der Eintritt des Chri-<lb/>
&#x017F;tenthums im Ganzen. Denn obgleich die Orakel und<lb/>
alle mit ihnen verwandte Er&#x017F;cheinungen des ju&#x0364;ngern<lb/>
Heidenthums, noch in einigen &#x017F;chwachen Ueberre&#x017F;ten<lb/>
in die er&#x017F;ten Zeiten des Chri&#x017F;tenthums hinu&#x0364;berlebten,<lb/>
&#x017F;ehen wir doch die&#x017F;en Anfang der neuen Weltperiode<lb/>
zer&#x017F;to&#x0364;rend auf jene Tru&#x0364;mmer der alten wirken, und<lb/>
jenes Orakel, das zu den Zeiten des Con&#x017F;tantius <note place="foot" n="*)">Vater des Con&#x017F;tantin.</note> von<lb/>
Delphi ausgegangen, wie die im ganzen damaligen<lb/>
Rom und &#x017F;elb&#x017F;t an dem Hof des Tiberius Auf&#x017F;ehen er-<lb/>
regende Ge&#x017F;chichte des Schiffer Thamus, die uns<lb/>
Plutarch behalten, &#x017F;ind, wenn auch nicht ganz zu-<lb/>
verla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig, doch wenig&#x017F;tens nicht ohne Sinn. Es war<lb/>
allerdings die Obergewalt der Natur u&#x0364;ber den Men-<lb/>
&#x017F;chen, zugleich mit dem Eintritt des Chri&#x017F;tenthums<lb/>
(in jener Sage der große Pan) unterlegen.</p><lb/>
        <p>So mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir, &#x017F;chon was die a&#x0364;ußere Form an-<lb/>
betrifft, in den Orakeln die Wirkungen einer krankhaf-<lb/>
ten men&#x017F;chlichen Natur erkennen. Wenig&#x017F;tens &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0109] andern Faͤllen oft genug bewieſen hatten, daß ihr Zu- ſtand keine Taͤuſchung war, in einen ſolchen unange- nehmen geiſtigen Zuſtand ſetzt, wie die Annaͤherung eines geſunden und ſtarken Menſchen, der mit ihnen in keinem Rapport ſteht, ſie koͤrperlich beaͤngſtigt. Es wirkte in jenen Faͤllen die Annaͤherung eines einzelnen Chriſten daſſelbe, was der Eintritt des Chri- ſtenthums im Ganzen. Denn obgleich die Orakel und alle mit ihnen verwandte Erſcheinungen des juͤngern Heidenthums, noch in einigen ſchwachen Ueberreſten in die erſten Zeiten des Chriſtenthums hinuͤberlebten, ſehen wir doch dieſen Anfang der neuen Weltperiode zerſtoͤrend auf jene Truͤmmer der alten wirken, und jenes Orakel, das zu den Zeiten des Conſtantius *) von Delphi ausgegangen, wie die im ganzen damaligen Rom und ſelbſt an dem Hof des Tiberius Aufſehen er- regende Geſchichte des Schiffer Thamus, die uns Plutarch behalten, ſind, wenn auch nicht ganz zu- verlaͤſſig, doch wenigſtens nicht ohne Sinn. Es war allerdings die Obergewalt der Natur uͤber den Men- ſchen, zugleich mit dem Eintritt des Chriſtenthums (in jener Sage der große Pan) unterlegen. So muͤſſen wir, ſchon was die aͤußere Form an- betrifft, in den Orakeln die Wirkungen einer krankhaf- ten menſchlichen Natur erkennen. Wenigſtens ſind ſie *) Vater des Conſtantin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/109
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/109>, abgerufen am 23.11.2024.