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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895.

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§ 12. Hinzutretende Anforderungen an eine allgemeine Lösung.
Lösung zu stellende "erste Adventivanforderung" jetzt schon und all-
gemein rechtfertigen oder motiviren.

In Analogie zu einer schon in der arithmetischen Analysis vor-
handenen Übung kann das "unbestimmte Argument" u der allgemeinen
Lösung f(u) in 2) wol auch deren (unabhängiger) "Parameter" ge-
nannt werden.

Damit scheint allerdings ein gewisser Doppelsinn geschaffen und ist
der Begriff und Ausdruck nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen in
dem S. 158 erläuterten Sinne, in welchem wir von den "Parametern" der
Gleichung 1) F(x) = 0 oder des Polynoms F(x) derselben sprachen. Als
gemeinsames Merkmal beider Arten von Parametern kann -- zur Recht-
fertigung -- allerdings deren durch nichts eingeschränkte Willkürlichkeit
hingestellt werden.

Betont wurde bereits, dass u als arbiträres Relativ nur anzusehen ist
sofern die Unbekannte x lediglich durch die Forderung bestimmt ist, dass
sie die Gleichung F(x) = 0 erfülle, dass aber natürlich, sollten über x
noch anderweite Angaben vorliegen oder sollte x gar völlig bestimmt, ge-
geben
sein, die vorhin noch vollkommene Unbestimmtheit des Parameters u
alsbald gewissen Einschränkungen unterliegen wird und derselbe sich sogar
als vollkommen bestimmt im Einzelfalle erweisen kann, es z. B. vorkommen
mag, dass u = 0 genommen werden muss, um eine Wurzel x = 0 zu liefern
-- wie dies schon unsre Erfahrungen im identischen Kalkul lehrten und
manchfache Beispiele zeigen. Da wir uns jedoch mit der Auflösung einer
Gleichung nach einer Unbekannten zu beschäftigen haben und nicht nach
einer Bekannten, so verschlägt es nichts, wenn wir den Parameter u im
Allgemeinen und ungeachtet der zuletzt angedeuteten Möglichkeit als einen
unbestimmten Parameter, und ebensowenig, wenn wir ihn als einen willkür-
lichen
-- als "den arbiträren Parameter" der Lösung -- hinstellen.

Obzwar die theoretischen Anforderungen an f(u), die im Begriff
der Allgemeinen Lösung liegen, mit 3) erschöpft sind, so ist nun aber
inbezug auf diesen Parameter u noch eine Anforderung -- 4) -- an
die allgemeine Lösung zu stellen praktisch geboten.

Wie sollen wir nämlich dasjenige u oder ein solches u erfahren,
welches uns eine bestimmte, etwa schon bekannte, eine gegebene oder
gewünschte Wurzel x liefert?

Systematisch wäre ein solches u ja durch Auflösung der Gleichung 2):
f(u) = x
nach der Unbekannten u zu gewinnen. Indessen dürfte dieses Auf-
lösungsproblem sich nicht selten als ein noch viel schwierigeres dar-
stellen, als dasjenige 1) gewesen, dessen Lösung uns die Gleichung 2)
ausdrückte.

Es ist ein berechtigtes Desideratum, zu jedem vorbekannten x, das
die Gleichung F(x) = 0 erfüllt, sogleich ein u -- zum wenigsten --

§ 12. Hinzutretende Anforderungen an eine allgemeine Lösung.
Lösung zu stellende „erste Adventivanforderung“ jetzt schon und all-
gemein rechtfertigen oder motiviren.

In Analogie zu einer schon in der arithmetischen Analysis vor-
handenen Übung kann das „unbestimmte Argument“ u der allgemeinen
Lösung f(u) in 2) wol auch deren (unabhängiger) „Parameter“ ge-
nannt werden.

Damit scheint allerdings ein gewisser Doppelsinn geschaffen und ist
der Begriff und Ausdruck nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen in
dem S. 158 erläuterten Sinne, in welchem wir von den „Parametern“ der
Gleichung 1) F(x) = 0 oder des Polynoms F(x) derselben sprachen. Als
gemeinsames Merkmal beider Arten von Parametern kann — zur Recht-
fertigung — allerdings deren durch nichts eingeschränkte Willkürlichkeit
hingestellt werden.

Betont wurde bereits, dass u als arbiträres Relativ nur anzusehen ist
sofern die Unbekannte x lediglich durch die Forderung bestimmt ist, dass
sie die Gleichung F(x) = 0 erfülle, dass aber natürlich, sollten über x
noch anderweite Angaben vorliegen oder sollte x gar völlig bestimmt, ge-
geben
sein, die vorhin noch vollkommene Unbestimmtheit des Parameters u
alsbald gewissen Einschränkungen unterliegen wird und derselbe sich sogar
als vollkommen bestimmt im Einzelfalle erweisen kann, es z. B. vorkommen
mag, dass u = 0 genommen werden muss, um eine Wurzel x = 0 zu liefern
— wie dies schon unsre Erfahrungen im identischen Kalkul lehrten und
manchfache Beispiele zeigen. Da wir uns jedoch mit der Auflösung einer
Gleichung nach einer Unbekannten zu beschäftigen haben und nicht nach
einer Bekannten, so verschlägt es nichts, wenn wir den Parameter u im
Allgemeinen und ungeachtet der zuletzt angedeuteten Möglichkeit als einen
unbestimmten Parameter, und ebensowenig, wenn wir ihn als einen willkür-
lichen
— als „den arbiträren Parameter“ der Lösung — hinstellen.

Obzwar die theoretischen Anforderungen an f(u), die im Begriff
der Allgemeinen Lösung liegen, mit 3) erschöpft sind, so ist nun aber
inbezug auf diesen Parameter u noch eine Anforderung — 4) — an
die allgemeine Lösung zu stellen praktisch geboten.

Wie sollen wir nämlich dasjenige u oder ein solches u erfahren,
welches uns eine bestimmte, etwa schon bekannte, eine gegebene oder
gewünschte Wurzel x liefert?

Systematisch wäre ein solches u ja durch Auflösung der Gleichung 2):
f(u) = x
nach der Unbekannten u zu gewinnen. Indessen dürfte dieses Auf-
lösungsproblem sich nicht selten als ein noch viel schwierigeres dar-
stellen, als dasjenige 1) gewesen, dessen Lösung uns die Gleichung 2)
ausdrückte.

Es ist ein berechtigtes Desideratum, zu jedem vorbekannten x, das
die Gleichung F(x) = 0 erfüllt, sogleich ein u — zum wenigsten —

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[169/0183] § 12. Hinzutretende Anforderungen an eine allgemeine Lösung. Lösung zu stellende „erste Adventivanforderung“ jetzt schon und all- gemein rechtfertigen oder motiviren. In Analogie zu einer schon in der arithmetischen Analysis vor- handenen Übung kann das „unbestimmte Argument“ u der allgemeinen Lösung f(u) in 2) wol auch deren (unabhängiger) „Parameter“ ge- nannt werden. Damit scheint allerdings ein gewisser Doppelsinn geschaffen und ist der Begriff und Ausdruck nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen in dem S. 158 erläuterten Sinne, in welchem wir von den „Parametern“ der Gleichung 1) F(x) = 0 oder des Polynoms F(x) derselben sprachen. Als gemeinsames Merkmal beider Arten von Parametern kann — zur Recht- fertigung — allerdings deren durch nichts eingeschränkte Willkürlichkeit hingestellt werden. Betont wurde bereits, dass u als arbiträres Relativ nur anzusehen ist sofern die Unbekannte x lediglich durch die Forderung bestimmt ist, dass sie die Gleichung F(x) = 0 erfülle, dass aber natürlich, sollten über x noch anderweite Angaben vorliegen oder sollte x gar völlig bestimmt, ge- geben sein, die vorhin noch vollkommene Unbestimmtheit des Parameters u alsbald gewissen Einschränkungen unterliegen wird und derselbe sich sogar als vollkommen bestimmt im Einzelfalle erweisen kann, es z. B. vorkommen mag, dass u = 0 genommen werden muss, um eine Wurzel x = 0 zu liefern — wie dies schon unsre Erfahrungen im identischen Kalkul lehrten und manchfache Beispiele zeigen. Da wir uns jedoch mit der Auflösung einer Gleichung nach einer Unbekannten zu beschäftigen haben und nicht nach einer Bekannten, so verschlägt es nichts, wenn wir den Parameter u im Allgemeinen und ungeachtet der zuletzt angedeuteten Möglichkeit als einen unbestimmten Parameter, und ebensowenig, wenn wir ihn als einen willkür- lichen — als „den arbiträren Parameter“ der Lösung — hinstellen. Obzwar die theoretischen Anforderungen an f(u), die im Begriff der Allgemeinen Lösung liegen, mit 3) erschöpft sind, so ist nun aber inbezug auf diesen Parameter u noch eine Anforderung — 4) — an die allgemeine Lösung zu stellen praktisch geboten. Wie sollen wir nämlich dasjenige u oder ein solches u erfahren, welches uns eine bestimmte, etwa schon bekannte, eine gegebene oder gewünschte Wurzel x liefert? Systematisch wäre ein solches u ja durch Auflösung der Gleichung 2): f(u) = x nach der Unbekannten u zu gewinnen. Indessen dürfte dieses Auf- lösungsproblem sich nicht selten als ein noch viel schwierigeres dar- stellen, als dasjenige 1) gewesen, dessen Lösung uns die Gleichung 2) ausdrückte. Es ist ein berechtigtes Desideratum, zu jedem vorbekannten x, das die Gleichung F(x) = 0 erfüllt, sogleich ein u — zum wenigsten —

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 3, Abt. 1. Leipzig, 1895, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik03_1895/183>, abgerufen am 27.04.2024.