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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905.

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§ 54. Fortsetzung. Konstitution des Begriffes.
und krank. Es gibt doch wol eine Kombination von Qualitäten, durch
welche der erstere von beiden als "positiver" Begriff sich bestimmen lässt.
Aber auch wenigstens für einen beliebigen Unterbegriff des zweiten, eine
bestimmte Krankheit, z. B. Trichinose, Cholera, usw., lassen sich hinreichend
viele krankhafte Veränderungen der einzelnen Organe, Krankheitssymptome
u. dergl. angeben, deren Zusammentreffen die Krankheit definirt. Bei ent-
sprechender Beschränkung des Denkbereiches kann dann schon die gedachte
einzelne Krankheit kontradiktorisch der Gesundheit gegenüberstehen. Welcher
von beiden Begriffen ist dann der positive? Bei allgemeinerem Denkbereich
aber hätte man keinesfalls die obige Darstellung eines "negativen" Begriffes
für den Krankheitsbegriff, da sich dieser doch wol additiv zusammensetzt
aus den gedachten einzelnen Krankheitsklassen, bezw. -individuen, -- mag
man nun diese selbst als positive oder als negative Begriffe ansehen.

Andrerseits muss ein unbestritten "positiver" Begriff, z. B. der Begriff
"polar" in dem Sinne, wie wir von Polarweide, Polarfuchs etc. sprechen,
keineswegs notwendig als Produkt von Merkmalen gedacht werden; er kann
auch eine Alternative
polar = arktisch + antarktisch
enthalten. Somit ist das obige Franklin'sche Begriffsschema auch für die
sogenannten "positiven" Begriffe nicht allgemein verbindlich. Dasselbe zeigt
nur die Konstitution eines Begriffes hinsichtlich seines Inhalts und Umfanges
in "regelrechter" Darstellung; es ist ein Ideal, dem wir zustreben bei Aus-
bildung unseres Begriffssystems; die Möglichkeit der Darstellung eines und
desselben Begriffes in verschiedenen Formen ist nicht zu bestreiten. Die
Unterscheidung positiver und negativer Begriffe ist psychologischen Ursprungs
und für die Logik ohne Belang.

Auch hat Frau Franklin ebensowenig meine Zustimmung, wenn sie
von "einfachen" Begriffen, von "unteilbaren" Merkmalen spricht. Als Merk-
mal eines Dinges gilt mir alles Erdenkliche, was wahrheitsgemäss von dem-
selben ausgesagt werden kann. Ich sehe in jedem Merkmal und in jedem
Begriffe eine unbegrenzte Fülle von Merkmalen. Unter den Merkmalen
eines Begriffes können freilich gewisse als "wesentliche" hervorgehoben
werden, -- jedoch in verschiedenster Weise, -- welche die übrigen alle
denknotwendig oder auch vermöge besondrer axiomatischer Voraussetzungen,
mit bedingen und nach sich ziehen. Auch gibt es wol psychologisch ur-
sprünglichere und daneben abgeleitete Begriffe und Merkmale. Wenn mir
aber nun z. B. jeder richtige Satz über Parallele (sei es blos Gerade, sei
es auch Kurven, Flächen etc.) ein neues Merkmal des Begriffes "parallel"
vorstellt, so nehme ich damit Stellung gegen Frau Franklin, welche diesen
Begriff neben andren als Beispiel eines "einfachen" hinstellen will.

Mit Frau Franklin aber darf ich hier wol von neuem denjenigen
entgegentreten, welche, als Verfechter der angeblichen (aber bisher eben
noch niemals rein in die Erscheinung getretenen) Logik des Inhalts, immer
noch in grosser Zahl unserer Richtung ablehnend oder feindlich gegenüber-
stehen und sich gebärden, als ob die Umfangslogik der Erkenntniss der
Begriffe ihrem Inhalt nach nicht förderlich, sondern eher hinderlich sei.

Spricht da z. B. ein Autor, den ich lieber nicht nenne, mit Bezug

§ 54. Fortsetzung. Konstitution des Begriffes.
und krank. Es gibt doch wol eine Kombination von Qualitäten, durch
welche der erstere von beiden als „positiver“ Begriff sich bestimmen lässt.
Aber auch wenigstens für einen beliebigen Unterbegriff des zweiten, eine
bestimmte Krankheit, z. B. Trichinose, Cholera, usw., lassen sich hinreichend
viele krankhafte Veränderungen der einzelnen Organe, Krankheitssymptome
u. dergl. angeben, deren Zusammentreffen die Krankheit definirt. Bei ent-
sprechender Beschränkung des Denkbereiches kann dann schon die gedachte
einzelne Krankheit kontradiktorisch der Gesundheit gegenüberstehen. Welcher
von beiden Begriffen ist dann der positive? Bei allgemeinerem Denkbereich
aber hätte man keinesfalls die obige Darstellung eines „negativen“ Begriffes
für den Krankheitsbegriff, da sich dieser doch wol additiv zusammensetzt
aus den gedachten einzelnen Krankheitsklassen, bezw. -individuen, — mag
man nun diese selbst als positive oder als negative Begriffe ansehen.

Andrerseits muss ein unbestritten „positiver“ Begriff, z. B. der Begriff
„polar“ in dem Sinne, wie wir von Polarweide, Polarfuchs etc. sprechen,
keineswegs notwendig als Produkt von Merkmalen gedacht werden; er kann
auch eine Alternative
polar = arktisch + antarktisch
enthalten. Somit ist das obige Franklin’sche Begriffsschema auch für die
sogenannten „positiven“ Begriffe nicht allgemein verbindlich. Dasselbe zeigt
nur die Konstitution eines Begriffes hinsichtlich seines Inhalts und Umfanges
in „regelrechter“ Darstellung; es ist ein Ideal, dem wir zustreben bei Aus-
bildung unseres Begriffssystems; die Möglichkeit der Darstellung eines und
desselben Begriffes in verschiedenen Formen ist nicht zu bestreiten. Die
Unterscheidung positiver und negativer Begriffe ist psychologischen Ursprungs
und für die Logik ohne Belang.

Auch hat Frau Franklin ebensowenig meine Zustimmung, wenn sie
von „einfachen“ Begriffen, von „unteilbaren“ Merkmalen spricht. Als Merk-
mal eines Dinges gilt mir alles Erdenkliche, was wahrheitsgemäss von dem-
selben ausgesagt werden kann. Ich sehe in jedem Merkmal und in jedem
Begriffe eine unbegrenzte Fülle von Merkmalen. Unter den Merkmalen
eines Begriffes können freilich gewisse als „wesentliche“ hervorgehoben
werden, — jedoch in verschiedenster Weise, — welche die übrigen alle
denknotwendig oder auch vermöge besondrer axiomatischer Voraussetzungen,
mit bedingen und nach sich ziehen. Auch gibt es wol psychologisch ur-
sprünglichere und daneben abgeleitete Begriffe und Merkmale. Wenn mir
aber nun z. B. jeder richtige Satz über Parallele (sei es blos Gerade, sei
es auch Kurven, Flächen etc.) ein neues Merkmal des Begriffes „parallel“
vorstellt, so nehme ich damit Stellung gegen Frau Franklin, welche diesen
Begriff neben andren als Beispiel eines „einfachen“ hinstellen will.

Mit Frau Franklin aber darf ich hier wol von neuem denjenigen
entgegentreten, welche, als Verfechter der angeblichen (aber bisher eben
noch niemals rein in die Erscheinung getretenen) Logik des Inhalts, immer
noch in grosser Zahl unserer Richtung ablehnend oder feindlich gegenüber-
stehen und sich gebärden, als ob die Umfangslogik der Erkenntniss der
Begriffe ihrem Inhalt nach nicht förderlich, sondern eher hinderlich sei.

Spricht da z. B. ein Autor, den ich lieber nicht nenne, mit Bezug

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[491/0135] § 54. Fortsetzung. Konstitution des Begriffes. und krank. Es gibt doch wol eine Kombination von Qualitäten, durch welche der erstere von beiden als „positiver“ Begriff sich bestimmen lässt. Aber auch wenigstens für einen beliebigen Unterbegriff des zweiten, eine bestimmte Krankheit, z. B. Trichinose, Cholera, usw., lassen sich hinreichend viele krankhafte Veränderungen der einzelnen Organe, Krankheitssymptome u. dergl. angeben, deren Zusammentreffen die Krankheit definirt. Bei ent- sprechender Beschränkung des Denkbereiches kann dann schon die gedachte einzelne Krankheit kontradiktorisch der Gesundheit gegenüberstehen. Welcher von beiden Begriffen ist dann der positive? Bei allgemeinerem Denkbereich aber hätte man keinesfalls die obige Darstellung eines „negativen“ Begriffes für den Krankheitsbegriff, da sich dieser doch wol additiv zusammensetzt aus den gedachten einzelnen Krankheitsklassen, bezw. -individuen, — mag man nun diese selbst als positive oder als negative Begriffe ansehen. Andrerseits muss ein unbestritten „positiver“ Begriff, z. B. der Begriff „polar“ in dem Sinne, wie wir von Polarweide, Polarfuchs etc. sprechen, keineswegs notwendig als Produkt von Merkmalen gedacht werden; er kann auch eine Alternative polar = arktisch + antarktisch enthalten. Somit ist das obige Franklin’sche Begriffsschema auch für die sogenannten „positiven“ Begriffe nicht allgemein verbindlich. Dasselbe zeigt nur die Konstitution eines Begriffes hinsichtlich seines Inhalts und Umfanges in „regelrechter“ Darstellung; es ist ein Ideal, dem wir zustreben bei Aus- bildung unseres Begriffssystems; die Möglichkeit der Darstellung eines und desselben Begriffes in verschiedenen Formen ist nicht zu bestreiten. Die Unterscheidung positiver und negativer Begriffe ist psychologischen Ursprungs und für die Logik ohne Belang. Auch hat Frau Franklin ebensowenig meine Zustimmung, wenn sie von „einfachen“ Begriffen, von „unteilbaren“ Merkmalen spricht. Als Merk- mal eines Dinges gilt mir alles Erdenkliche, was wahrheitsgemäss von dem- selben ausgesagt werden kann. Ich sehe in jedem Merkmal und in jedem Begriffe eine unbegrenzte Fülle von Merkmalen. Unter den Merkmalen eines Begriffes können freilich gewisse als „wesentliche“ hervorgehoben werden, — jedoch in verschiedenster Weise, — welche die übrigen alle denknotwendig oder auch vermöge besondrer axiomatischer Voraussetzungen, mit bedingen und nach sich ziehen. Auch gibt es wol psychologisch ur- sprünglichere und daneben abgeleitete Begriffe und Merkmale. Wenn mir aber nun z. B. jeder richtige Satz über Parallele (sei es blos Gerade, sei es auch Kurven, Flächen etc.) ein neues Merkmal des Begriffes „parallel“ vorstellt, so nehme ich damit Stellung gegen Frau Franklin, welche diesen Begriff neben andren als Beispiel eines „einfachen“ hinstellen will. Mit Frau Franklin aber darf ich hier wol von neuem denjenigen entgegentreten, welche, als Verfechter der angeblichen (aber bisher eben noch niemals rein in die Erscheinung getretenen) Logik des Inhalts, immer noch in grosser Zahl unserer Richtung ablehnend oder feindlich gegenüber- stehen und sich gebärden, als ob die Umfangslogik der Erkenntniss der Begriffe ihrem Inhalt nach nicht förderlich, sondern eher hinderlich sei. Spricht da z. B. ein Autor, den ich lieber nicht nenne, mit Bezug

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0202_1905/135>, abgerufen am 27.04.2024.