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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905.

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Sechsundzwanzigste Vorlesung.
blos die Wahl hätten zu reden von allen, oder einigen oder keinen x,
aber immer nur von denselben x, dann, glaube ich, dürfte jenes ur-
wüchsige, unwissenschaftliche Folgerungsverfahren vielleicht noch das
beste sein, wobei wir gelegentlich nur zu unterscheiden hätten zwischen
denselben "einige x" und eventuell andern, von den vorigen unabhängigen
"einige x". Dann auch möchten wir der Algebra der Logik (zweiter
Stufe) unschwer entraten, und gegenwärtiges Buch wäre nicht geschrieben!

Wie jedoch die Sache wirklich liegt, erscheint mir das an sich
berechtigte gegnerische Verlangen nach gleichmässiger Behandlung der
zeitlich und der schlechtweg partikularen Urteile als irrelevant, als ein
mehr nur doktrinäres, entspringend nicht einem praktischen Bedürfniss,
sondern nur einem theoretischen Interesse.

Da ich jedoch auch letzteres hochhalte, so will ich nun auf einen
weiteren noch offenen Einwand der Gegner aus Mitchell's Schule
eingehen.

Dieselben werden mich nämlich auf die andere Möglichkeit einer
ebenmässigen Bearbeitung beider Arten von Partikularität verweisen.
Müssen doch -- so sagen sie -- die Klassen der Gelegenheiten, bei
denen Aussagen zutreffen, ganz denselben Gesetzen unterliegen wie alle
übrigen Klassen; wozu dann die Boole-McColl-(Peirce)-Schröder'-
sche Einschränkung der Aussagenwerte auf 0 und 1? Hat nicht eben
Mitchell die Entbehrlichkeit dieser Einschränkung nachgewiesen
durch seine Begründung des Aussagenkalkuls, worin dann auch den
zeitlich partikularen Urteilen die Vorteile des Klassenkalkuls in gleichem
Masse zugute kommen wie den übrigen?

Solches ist thatsächlich von Frau Franklin am Schlusse ihrer oben
erwähnten Besprechung meines Bd. 1 angedeutet worden.

Auch ich wäre nicht der letzte, eine Erweiterung des Aussagen-
kalkuls durch Beseitigung des gedachten einengenden Prinzips zu be-
grüssen. Und eine zeitlang (cf. S. 183 Mitte) schwebte mir eine der-
artige Hoffnung vor. Dass dieselbe aber sich als trügerisch erwies,
kann ich nun auch nicht mehr beklagen, seitdem ich den Grund der
Unmöglichkeit jener Erweiterung, den ich im folgenden darlege, er-
kannt habe.

n) Soll ein Aussagenkalkul überhaupt als eine besondere Art des
Klassenkalkuls bestehen, so müssen die Aussagen in ihm eine Deutung
erfahren und einer solchen fähig sein: als Klassen der Gelegenheiten,
bei denen sie zutreffen.

Über diesen Punkt sind die Anhänger der rechnenden Logik samt
und sonders einig. Wer dem etwa nicht zustimmt, dem ist das onus pro-

Sechsundzwanzigste Vorlesung.
blos die Wahl hätten zu reden von allen, oder einigen oder keinen x,
aber immer nur von denselben x, dann, glaube ich, dürfte jenes ur-
wüchsige, unwissenschaftliche Folgerungsverfahren vielleicht noch das
beste sein, wobei wir gelegentlich nur zu unterscheiden hätten zwischen
denselben „einige x“ und eventuell andern, von den vorigen unabhängigen
„einige x“. Dann auch möchten wir der Algebra der Logik (zweiter
Stufe) unschwer entraten, und gegenwärtiges Buch wäre nicht geschrieben!

Wie jedoch die Sache wirklich liegt, erscheint mir das an sich
berechtigte gegnerische Verlangen nach gleichmässiger Behandlung der
zeitlich und der schlechtweg partikularen Urteile als irrelevant, als ein
mehr nur doktrinäres, entspringend nicht einem praktischen Bedürfniss,
sondern nur einem theoretischen Interesse.

Da ich jedoch auch letzteres hochhalte, so will ich nun auf einen
weiteren noch offenen Einwand der Gegner aus Mitchell’s Schule
eingehen.

Dieselben werden mich nämlich auf die andere Möglichkeit einer
ebenmässigen Bearbeitung beider Arten von Partikularität verweisen.
Müssen doch — so sagen sie — die Klassen der Gelegenheiten, bei
denen Aussagen zutreffen, ganz denselben Gesetzen unterliegen wie alle
übrigen Klassen; wozu dann die Boole-McColl-(Peirce)-Schröder’-
sche Einschränkung der Aussagenwerte auf 0 und 1̇? Hat nicht eben
Mitchell die Entbehrlichkeit dieser Einschränkung nachgewiesen
durch seine Begründung des Aussagenkalkuls, worin dann auch den
zeitlich partikularen Urteilen die Vorteile des Klassenkalkuls in gleichem
Masse zugute kommen wie den übrigen?

Solches ist thatsächlich von Frau Franklin am Schlusse ihrer oben
erwähnten Besprechung meines Bd. 1 angedeutet worden.

Auch ich wäre nicht der letzte, eine Erweiterung des Aussagen-
kalkuls durch Beseitigung des gedachten einengenden Prinzips zu be-
grüssen. Und eine zeitlang (cf. S. 183 Mitte) schwebte mir eine der-
artige Hoffnung vor. Dass dieselbe aber sich als trügerisch erwies,
kann ich nun auch nicht mehr beklagen, seitdem ich den Grund der
Unmöglichkeit jener Erweiterung, den ich im folgenden darlege, er-
kannt habe.

ν) Soll ein Aussagenkalkul überhaupt als eine besondere Art des
Klassenkalkuls bestehen, so müssen die Aussagen in ihm eine Deutung
erfahren und einer solchen fähig sein: als Klassen der Gelegenheiten,
bei denen sie zutreffen.

Über diesen Punkt sind die Anhänger der rechnenden Logik samt
und sonders einig. Wer dem etwa nicht zustimmt, dem ist das onus pro-

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[482/0126] Sechsundzwanzigste Vorlesung. blos die Wahl hätten zu reden von allen, oder einigen oder keinen x, aber immer nur von denselben x, dann, glaube ich, dürfte jenes ur- wüchsige, unwissenschaftliche Folgerungsverfahren vielleicht noch das beste sein, wobei wir gelegentlich nur zu unterscheiden hätten zwischen denselben „einige x“ und eventuell andern, von den vorigen unabhängigen „einige x“. Dann auch möchten wir der Algebra der Logik (zweiter Stufe) unschwer entraten, und gegenwärtiges Buch wäre nicht geschrieben! Wie jedoch die Sache wirklich liegt, erscheint mir das an sich berechtigte gegnerische Verlangen nach gleichmässiger Behandlung der zeitlich und der schlechtweg partikularen Urteile als irrelevant, als ein mehr nur doktrinäres, entspringend nicht einem praktischen Bedürfniss, sondern nur einem theoretischen Interesse. Da ich jedoch auch letzteres hochhalte, so will ich nun auf einen weiteren noch offenen Einwand der Gegner aus Mitchell’s Schule eingehen. Dieselben werden mich nämlich auf die andere Möglichkeit einer ebenmässigen Bearbeitung beider Arten von Partikularität verweisen. Müssen doch — so sagen sie — die Klassen der Gelegenheiten, bei denen Aussagen zutreffen, ganz denselben Gesetzen unterliegen wie alle übrigen Klassen; wozu dann die Boole-McColl-(Peirce)-Schröder’- sche Einschränkung der Aussagenwerte auf 0 und 1̇? Hat nicht eben Mitchell die Entbehrlichkeit dieser Einschränkung nachgewiesen durch seine Begründung des Aussagenkalkuls, worin dann auch den zeitlich partikularen Urteilen die Vorteile des Klassenkalkuls in gleichem Masse zugute kommen wie den übrigen? Solches ist thatsächlich von Frau Franklin am Schlusse ihrer oben erwähnten Besprechung meines Bd. 1 angedeutet worden. Auch ich wäre nicht der letzte, eine Erweiterung des Aussagen- kalkuls durch Beseitigung des gedachten einengenden Prinzips zu be- grüssen. Und eine zeitlang (cf. S. 183 Mitte) schwebte mir eine der- artige Hoffnung vor. Dass dieselbe aber sich als trügerisch erwies, kann ich nun auch nicht mehr beklagen, seitdem ich den Grund der Unmöglichkeit jener Erweiterung, den ich im folgenden darlege, er- kannt habe. ν) Soll ein Aussagenkalkul überhaupt als eine besondere Art des Klassenkalkuls bestehen, so müssen die Aussagen in ihm eine Deutung erfahren und einer solchen fähig sein: als Klassen der Gelegenheiten, bei denen sie zutreffen. Über diesen Punkt sind die Anhänger der rechnenden Logik samt und sonders einig. Wer dem etwa nicht zustimmt, dem ist das onus pro-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 2. Leipzig, 1905, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0202_1905/126>, abgerufen am 27.04.2024.