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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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Fünfzehnte Vorlesung.
man dies im Anschluss an vorstehende Betrachtungen leicht ebenfalls
nachsehen wird.

Es gelten unsre Definitionen und Prinzipien "aussagendual" um-
geschrieben nicht
mehr, mögen sie dabei gleichzeitig auch "gebietsdual"
transkribirt werden, oder nicht.

Diese Thatsache ist auf den ersten Blick überraschend. Wie ist
dieselbe mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass doch der
Aussagenkalkul nur eine besondre Anwendung des Gebietekalkuls ist,
in welchem der Dualismus durchweg herrscht?

Der scheinbare Widerspruch klärt sich in folgender Weise auf.

Schon die allgemeinste, schon eine Aussage von noch ganz offen
gelassenem Inhalte, lässt nicht als ein ganz beliebiges Gebiet sich
deuten (als eine ganz beliebige Klasse in der Mannigfaltigkeit der Ge-
legenheiten zu Aussagen), vielmehr kommt, sofern ihr Sinn nur kon-
stant festgehalten wird, einer der beiden Werte 0 oder i ihr not-
wendig zu. Bestimmte, mit Inhaltsangabe ausgestattete oder "spezifi-
zirte" Aussagen, vollends, sind ganz spezielle Gebiete (mögen sie auch
vielleicht allgemeine Gebiete betreffen, über solche als ihr Thema etwas
aussagen). Wenn falsch, sind sie = 0, wenn richtig, = i zu denken.

Für spezielle Gebiete aber brauchte zu einer Proposition die dual ent-
sprechende keineswegs zu gelten.

Wenn -- um das einfachste Beispiel zu nehmen -- a b ist, braucht
nicht zugleich auch b a zu sein (sonst müsste ja in der That jede Ein-
ordnung auf identische Gleichheit hinauslaufen). Oder wenn für gewisse
Gebiete a, b, c beispielsweise a b + c sein sollte, so muss nicht notwendig
zugleich auch b c a gelten!

Nicht zu "Relationen", sondern nur zu allgemeinen "Formeln" des
Gebietekalkuls
, die also richtig sind, was auch immer für Gebiete der
Mannigfaltigkeit die in sie eingehenden Buchstaben bedeuten, mussten
stets die dual entsprechenden gelten.

Da in dieser Weise z. B. a b a war, so musste zugleich auch a a + b
allgemein sein. Etc.

Von solchem Charakter scheinen zwar die in § 29 rekapitulirten
Theoreme zu sein -- die wir in der That fortfahren mögen, auch in
ihrer dortigen Fassung, als allgemeine "Formeln" (und zwar des Aus-
sagenkalkuls) zu bezeichnen, sintemal sie eben für ganz beliebige Ge-
biete a, b, c, d, x, y, etc. Geltung beanspruchen -- sie sind es aber in
Wahrheit (im vollen Sinne des Wortes) nicht: vielmehr stellen die-
selben sich sofort als blosse "Relationen" (des Gebietekalkuls) dar, so-

Fünfzehnte Vorlesung.
man dies im Anschluss an vorstehende Betrachtungen leicht ebenfalls
nachsehen wird.

Es gelten unsre Definitionen und Prinzipien „aussagendualum-
geschrieben nicht
mehr, mögen sie dabei gleichzeitig auch „gebietsdual“
transkribirt werden, oder nicht.

Diese Thatsache ist auf den ersten Blick überraschend. Wie ist
dieselbe mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass doch der
Aussagenkalkul nur eine besondre Anwendung des Gebietekalkuls ist,
in welchem der Dualismus durchweg herrscht?

Der scheinbare Widerspruch klärt sich in folgender Weise auf.

Schon die allgemeinste, schon eine Aussage von noch ganz offen
gelassenem Inhalte, lässt nicht als ein ganz beliebiges Gebiet sich
deuten (als eine ganz beliebige Klasse in der Mannigfaltigkeit der Ge-
legenheiten zu Aussagen), vielmehr kommt, sofern ihr Sinn nur kon-
stant festgehalten wird, einer der beiden Werte 0 oder i ihr not-
wendig zu. Bestimmte, mit Inhaltsangabe ausgestattete oder „spezifi-
zirte“ Aussagen, vollends, sind ganz spezielle Gebiete (mögen sie auch
vielleicht allgemeine Gebiete betreffen, über solche als ihr Thema etwas
aussagen). Wenn falsch, sind sie = 0, wenn richtig, = i zu denken.

Für spezielle Gebiete aber brauchte zu einer Proposition die dual ent-
sprechende keineswegs zu gelten.

Wenn — um das einfachste Beispiel zu nehmen — a b ist, braucht
nicht zugleich auch b a zu sein (sonst müsste ja in der That jede Ein-
ordnung auf identische Gleichheit hinauslaufen). Oder wenn für gewisse
Gebiete a, b, c beispielsweise a b + c sein sollte, so muss nicht notwendig
zugleich auch b c a gelten!

Nicht zu „Relationen“, sondern nur zu allgemeinenFormelndes
Gebietekalkuls
, die also richtig sind, was auch immer für Gebiete der
Mannigfaltigkeit die in sie eingehenden Buchstaben bedeuten, mussten
stets die dual entsprechenden gelten.

Da in dieser Weise z. B. a b a war, so musste zugleich auch a a + b
allgemein sein. Etc.

Von solchem Charakter scheinen zwar die in § 29 rekapitulirten
Theoreme zu sein — die wir in der That fortfahren mögen, auch in
ihrer dortigen Fassung, als allgemeineFormeln“ (und zwar des Aus-
sagenkalkuls) zu bezeichnen, sintemal sie eben für ganz beliebige Ge-
biete a, b, c, d, x, y, etc. Geltung beanspruchen — sie sind es aber in
Wahrheit (im vollen Sinne des Wortes) nicht: vielmehr stellen die-
selben sich sofort als blosse „Relationen“ (des Gebietekalkuls) dar, so-

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[46/0070] Fünfzehnte Vorlesung. man dies im Anschluss an vorstehende Betrachtungen leicht ebenfalls nachsehen wird. Es gelten unsre Definitionen und Prinzipien „aussagendual“ um- geschrieben nicht mehr, mögen sie dabei gleichzeitig auch „gebietsdual“ transkribirt werden, oder nicht. Diese Thatsache ist auf den ersten Blick überraschend. Wie ist dieselbe mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass doch der Aussagenkalkul nur eine besondre Anwendung des Gebietekalkuls ist, in welchem der Dualismus durchweg herrscht? Der scheinbare Widerspruch klärt sich in folgender Weise auf. Schon die allgemeinste, schon eine Aussage von noch ganz offen gelassenem Inhalte, lässt nicht als ein ganz beliebiges Gebiet sich deuten (als eine ganz beliebige Klasse in der Mannigfaltigkeit der Ge- legenheiten zu Aussagen), vielmehr kommt, sofern ihr Sinn nur kon- stant festgehalten wird, einer der beiden Werte 0 oder i ihr not- wendig zu. Bestimmte, mit Inhaltsangabe ausgestattete oder „spezifi- zirte“ Aussagen, vollends, sind ganz spezielle Gebiete (mögen sie auch vielleicht allgemeine Gebiete betreffen, über solche als ihr Thema etwas aussagen). Wenn falsch, sind sie = 0, wenn richtig, = i zu denken. Für spezielle Gebiete aber brauchte zu einer Proposition die dual ent- sprechende keineswegs zu gelten. Wenn — um das einfachste Beispiel zu nehmen — a  b ist, braucht nicht zugleich auch b  a zu sein (sonst müsste ja in der That jede Ein- ordnung auf identische Gleichheit hinauslaufen). Oder wenn für gewisse Gebiete a, b, c beispielsweise a  b + c sein sollte, so muss nicht notwendig zugleich auch b c  a gelten! Nicht zu „Relationen“, sondern nur zu allgemeinen „Formeln“ des Gebietekalkuls, die also richtig sind, was auch immer für Gebiete der Mannigfaltigkeit die in sie eingehenden Buchstaben bedeuten, mussten stets die dual entsprechenden gelten. Da in dieser Weise z. B. a b  a war, so musste zugleich auch a  a + b allgemein sein. Etc. Von solchem Charakter scheinen zwar die in § 29 rekapitulirten Theoreme zu sein — die wir in der That fortfahren mögen, auch in ihrer dortigen Fassung, als allgemeine „Formeln“ (und zwar des Aus- sagenkalkuls) zu bezeichnen, sintemal sie eben für ganz beliebige Ge- biete a, b, c, d, x, y, etc. Geltung beanspruchen — sie sind es aber in Wahrheit (im vollen Sinne des Wortes) nicht: vielmehr stellen die- selben sich sofort als blosse „Relationen“ (des Gebietekalkuls) dar, so-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/70>, abgerufen am 27.04.2024.