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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Neunte Vorlesung.

Immerhin besitzt die Zeichensprache des Kalkuls zufolge ihrer
korrekten Handhabung der Klammern einen merklichen Vorsprung vor
der Wortsprache, der sich besonders bei subtileren und verwickelten
Untersuchungen geltend macht.

Wie schon beim Beschreiben von Klassen, so macht sich auch in
irgend welchen andern Beziehungen der beklagte Mangel und gerügte Nicht-
gebrauch von die Klammern zu vertreten fähigen sprachlichen Gebilden
sehr häufig fühlbar.

Als Beispiel dadurch herbeigeführter Unbestimmtheit führt Jevons
u. a. den Satz an: Er fuhr [,]von Dover nach London und 'von London nach
Brighton[,] mit dem Schnellzuge'. Zufolge der (Un-)Sitte, das Zeitwort
ganz an's Ende zu stellen, entstehen im Deutschen leider solche Unklar-
heiten ganz besonders leicht, wie es beispielsweise die Zeitungsnotiz er-
kennen lässt: An der deutschfranzösischen Grenze wird viel über [,]Wild-
diebereien 'von französischer Seite[,] geklagt' -- derengleichen aber unschwer
auch von den bessern Schriftstellern in unbegrenzter Fülle beizubringen wären.

In der begonnenen Aufzählung missverständlicher Ausdrücke der
Wortsprache wollen wir nicht nach Vollständigkeit streben, sondern
begnügen uns mit noch ein paar Beispielen.

e) Aufgabe. Auf wieviele Arten kann der Ausdruck: "Was a
und b oder c und d ist" verstanden, beziehungsweise missverstanden
werden?

Auflösung. Verstanden auf vier, somit missverstanden auf
drei Arten.

Sind nämlich vier Terme durch irgendwelche Operationen zu ver-
knüpfen, was wir dadurch andeuten wollen, dass wir die Terme a b c d
ohne
Knüpfungszeichen nebeneinander setzen, so können Klammern auf
folgende fünf Arten gesetzt werden, um die Knüpfungen auf lauter
"binäre" (d. h. immer nur zwei Elemente auf einmal verbindende)
zurückzuführen:
{(a b) c} d, {a (b c)} d, (a b) (c d), a {(b c) d}, a {b (c d)}.

Unser obiger Ausdruck lautet nun:
a · b + c · d
und lässt folglich fünf Deutungen zu, von denen aber die zweite und
vierte dasselbe Resultat liefern, indem nach Th. 13x) etc.:
{a (b + c)} d = a {(b + c) d} = a (b + c) d = a b d + a c d
sein muss, wogegen dieses Resultat von den drei andern Deutungen:
{(a b) + c} d = (a b + c) d = a b d + c d, a {b + (c d)} = a (b + c d) = a b + a c d
und

Neunte Vorlesung.

Immerhin besitzt die Zeichensprache des Kalkuls zufolge ihrer
korrekten Handhabung der Klammern einen merklichen Vorsprung vor
der Wortsprache, der sich besonders bei subtileren und verwickelten
Untersuchungen geltend macht.

Wie schon beim Beschreiben von Klassen, so macht sich auch in
irgend welchen andern Beziehungen der beklagte Mangel und gerügte Nicht-
gebrauch von die Klammern zu vertreten fähigen sprachlichen Gebilden
sehr häufig fühlbar.

Als Beispiel dadurch herbeigeführter Unbestimmtheit führt Jevons
u. a. den Satz an: Er fuhr [‚]von Dover nach London und ‛von London nach
Brighton[‚] mit dem Schnellzuge'. Zufolge der (Un-)Sitte, das Zeitwort
ganz an's Ende zu stellen, entstehen im Deutschen leider solche Unklar-
heiten ganz besonders leicht, wie es beispielsweise die Zeitungsnotiz er-
kennen lässt: An der deutschfranzösischen Grenze wird viel über [‚]Wild-
diebereien ‛von französischer Seite[‚] geklagt' — derengleichen aber unschwer
auch von den bessern Schriftstellern in unbegrenzter Fülle beizubringen wären.

In der begonnenen Aufzählung missverständlicher Ausdrücke der
Wortsprache wollen wir nicht nach Vollständigkeit streben, sondern
begnügen uns mit noch ein paar Beispielen.

η) Aufgabe. Auf wieviele Arten kann der Ausdruck: „Was a
und b oder c und d ist“ verstanden, beziehungsweise missverstanden
werden?

Auflösung. Verstanden auf vier, somit missverstanden auf
drei Arten.

Sind nämlich vier Terme durch irgendwelche Operationen zu ver-
knüpfen, was wir dadurch andeuten wollen, dass wir die Terme a b c d
ohne
Knüpfungszeichen nebeneinander setzen, so können Klammern auf
folgende fünf Arten gesetzt werden, um die Knüpfungen auf lauter
„binäre“ (d. h. immer nur zwei Elemente auf einmal verbindende)
zurückzuführen:
{(a b) c} d, {a (b c)} d, (a b) (c d), a {(b c) d}, a {b (c d)}.

Unser obiger Ausdruck lautet nun:
a · b + c · d
und lässt folglich fünf Deutungen zu, von denen aber die zweite und
vierte dasselbe Resultat liefern, indem nach Th. 13×) etc.:
{a (b + c)} d = a {(b + c) d} = a (b + c) d = a b d + a c d
sein muss, wogegen dieses Resultat von den drei andern Deutungen:
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und

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[374/0394] Neunte Vorlesung. Immerhin besitzt die Zeichensprache des Kalkuls zufolge ihrer korrekten Handhabung der Klammern einen merklichen Vorsprung vor der Wortsprache, der sich besonders bei subtileren und verwickelten Untersuchungen geltend macht. Wie schon beim Beschreiben von Klassen, so macht sich auch in irgend welchen andern Beziehungen der beklagte Mangel und gerügte Nicht- gebrauch von die Klammern zu vertreten fähigen sprachlichen Gebilden sehr häufig fühlbar. Als Beispiel dadurch herbeigeführter Unbestimmtheit führt Jevons u. a. den Satz an: Er fuhr ‚von Dover nach London und ‛von London nach Brighton‚ mit dem Schnellzuge'. Zufolge der (Un-)Sitte, das Zeitwort ganz an's Ende zu stellen, entstehen im Deutschen leider solche Unklar- heiten ganz besonders leicht, wie es beispielsweise die Zeitungsnotiz er- kennen lässt: An der deutschfranzösischen Grenze wird viel über ‚Wild- diebereien ‛von französischer Seite‚ geklagt' — derengleichen aber unschwer auch von den bessern Schriftstellern in unbegrenzter Fülle beizubringen wären. In der begonnenen Aufzählung missverständlicher Ausdrücke der Wortsprache wollen wir nicht nach Vollständigkeit streben, sondern begnügen uns mit noch ein paar Beispielen. η) Aufgabe. Auf wieviele Arten kann der Ausdruck: „Was a und b oder c und d ist“ verstanden, beziehungsweise missverstanden werden? Auflösung. Verstanden auf vier, somit missverstanden auf drei Arten. Sind nämlich vier Terme durch irgendwelche Operationen zu ver- knüpfen, was wir dadurch andeuten wollen, dass wir die Terme a b c d ohne Knüpfungszeichen nebeneinander setzen, so können Klammern auf folgende fünf Arten gesetzt werden, um die Knüpfungen auf lauter „binäre“ (d. h. immer nur zwei Elemente auf einmal verbindende) zurückzuführen: {(a b) c} d, {a (b c)} d, (a b) (c d), a {(b c) d}, a {b (c d)}. Unser obiger Ausdruck lautet nun: a · b + c · d und lässt folglich fünf Deutungen zu, von denen aber die zweite und vierte dasselbe Resultat liefern, indem nach Th. 13×) etc.: {a (b + c)} d = a {(b + c) d} = a (b + c) d = a b d + a c d sein muss, wogegen dieses Resultat von den drei andern Deutungen: {(a b) + c} d = (a b + c) d = a b d + c d, a {b + (c d)} = a (b + c d) = a b + a c d und

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/394>, abgerufen am 22.11.2024.