§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Berechtigt ist nun die Bemerkung, dass ein solches Urteil g) ganz wesentlich als ein bejahendes erscheint: es wird dadurch, wie sonst allerwärts, eine Subjektklasse unter die Prädikatklasse subsumirt -- welche letztere hier nur, gewissermassen zufällig, den verneinenden Ausdruck Nicht-B besitzt. Dass solche Ausdrucksform aber als ein nebensächlicher Umstand hinzustellen ist, sich mehr nur psychologisch, als logisch, begründen und zumeist sich auch vermeiden lässt (sofern für nicht-B auch ein "positiver" Name zur Verfügung steht), dass ebenso, wo sie fehlte, die Ausdrucksform sich (mittelst doppelter Ver- neinung) willkürlich herstellen liesse, das haben wir schon unter n2) in B der Einleitung ausgeführt oder angedeutet (vergl. die dortigen Betrachtungen über parallele und nicht-schneidende sowie schneidende und nicht-parallele Geraden in einer Ebene).
Im Hinblick darauf will es nicht als rationell erscheinen, auf diesen Umstand eine wesentliche Unterscheidung zwischen bejahenden und verneinenden Urteilen zu gründen. Es scheint Beanstandung zu verdienen, dass man die Urteile a) mit der Deutung g) überhaupt als "verneinende" bezeichne -- wie ich dies im Einklang mit der seit Aristoteles in der scholastischen Logik (noch) herrschenden (erst neuerdings mehrseitig bekämpften) Terminologie in der That hier thun werde.
Die Wahrnehmung dieser Diskrepanz hat bekanntlich Kant veran- lasst, neben den "bejahenden" und den von ihm "verneinende" genannten Urteilen b) noch eine dritte Art von Urteilen einzuführen, die er ziemlich unglücklich -- vergl. Sigwart I, p. 122 -- "unendliche" oder "limiti- rende" Urteile nennt (Die Seele ist nicht sterblich, soviel als: gehört in die unendliche Sphäre, die übrig bleibt, wenn ich das Sterbliche aussondere). Wie man sieht decken sich diese "limitativen" Urteile Kant's (deren Be- rechtigung und Vorkommen Sigwart -- im Gegensatz zu Lotze -- aus- drücklich anerkennt) mit den eben besprochenen Urteilen g).
Ich würde vorstehenden Einwand als berechtigt anerkennen und die "verneinenden" Urteile der herrschenden Terminologie als unpas- send benannte umtaufen, wenn es daneben noch wirklich verneinende Urteile -- etwa die b) -- gäbe. Indem wir aber, wie schon angedeutet, diese Ausdrucksform b) als nicht haltbar erkennen werden, wird offen- bar, dass solches nicht der Fall ist, und aus diesem Grunde mögen wir uns auch der herrschenden Terminologie in Bezug auf ihre "ver- neinenden" Urteile ganz unbedenklich anschliessen.
Am angemessensten erscheint es, dergleichen Urteile g) -- mit Wundt -- als "negativ prädizirende" zu bezeichnen.
Diese Benennung dürfte auf alle Fälle passend und unanfechtbar er- scheinen, und auch von Denjenigen der Kant'schen vorgezogen werden,
§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Berechtigt ist nun die Bemerkung, dass ein solches Urteil γ) ganz wesentlich als ein bejahendes erscheint: es wird dadurch, wie sonst allerwärts, eine Subjektklasse unter die Prädikatklasse subsumirt — welche letztere hier nur, gewissermassen zufällig, den verneinenden Ausdruck Nicht-B besitzt. Dass solche Ausdrucksform aber als ein nebensächlicher Umstand hinzustellen ist, sich mehr nur psychologisch, als logisch, begründen und zumeist sich auch vermeiden lässt (sofern für nicht-B auch ein „positiver“ Name zur Verfügung steht), dass ebenso, wo sie fehlte, die Ausdrucksform sich (mittelst doppelter Ver- neinung) willkürlich herstellen liesse, das haben wir schon unter ν2) in B der Einleitung ausgeführt oder angedeutet (vergl. die dortigen Betrachtungen über parallele und nicht-schneidende sowie schneidende und nicht-parallele Geraden in einer Ebene).
Im Hinblick darauf will es nicht als rationell erscheinen, auf diesen Umstand eine wesentliche Unterscheidung zwischen bejahenden und verneinenden Urteilen zu gründen. Es scheint Beanstandung zu verdienen, dass man die Urteile α) mit der Deutung γ) überhaupt als „verneinende“ bezeichne — wie ich dies im Einklang mit der seit Aristoteles in der scholastischen Logik (noch) herrschenden (erst neuerdings mehrseitig bekämpften) Terminologie in der That hier thun werde.
Die Wahrnehmung dieser Diskrepanz hat bekanntlich Kant veran- lasst, neben den „bejahenden“ und den von ihm „verneinende“ genannten Urteilen β) noch eine dritte Art von Urteilen einzuführen, die er ziemlich unglücklich — vergl. Sigwart I, p. 122 — „unendliche“ oder „limiti- rende“ Urteile nennt (Die Seele ist nicht sterblich, soviel als: gehört in die unendliche Sphäre, die übrig bleibt, wenn ich das Sterbliche aussondere). Wie man sieht decken sich diese „limitativen“ Urteile Kant's (deren Be- rechtigung und Vorkommen Sigwart — im Gegensatz zu Lotze — aus- drücklich anerkennt) mit den eben besprochenen Urteilen γ).
Ich würde vorstehenden Einwand als berechtigt anerkennen und die „verneinenden“ Urteile der herrschenden Terminologie als unpas- send benannte umtaufen, wenn es daneben noch wirklich verneinende Urteile — etwa die β) — gäbe. Indem wir aber, wie schon angedeutet, diese Ausdrucksform β) als nicht haltbar erkennen werden, wird offen- bar, dass solches nicht der Fall ist, und aus diesem Grunde mögen wir uns auch der herrschenden Terminologie in Bezug auf ihre „ver- neinenden“ Urteile ganz unbedenklich anschliessen.
Am angemessensten erscheint es, dergleichen Urteile γ) — mit Wundt — als „negativ prädizirende“ zu bezeichnen.
Diese Benennung dürfte auf alle Fälle passend und unanfechtbar er- scheinen, und auch von Denjenigen der Kant'schen vorgezogen werden,
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§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
Berechtigt ist nun die Bemerkung, dass ein solches Urteil γ) ganz
wesentlich als ein bejahendes erscheint: es wird dadurch, wie sonst
allerwärts, eine Subjektklasse unter die Prädikatklasse subsumirt —
welche letztere hier nur, gewissermassen zufällig, den verneinenden
Ausdruck Nicht-B besitzt. Dass solche Ausdrucksform aber als ein
nebensächlicher Umstand hinzustellen ist, sich mehr nur psychologisch,
als logisch, begründen und zumeist sich auch vermeiden lässt (sofern
für nicht-B auch ein „positiver“ Name zur Verfügung steht), dass
ebenso, wo sie fehlte, die Ausdrucksform sich (mittelst doppelter Ver-
neinung) willkürlich herstellen liesse, das haben wir schon unter ν2)
in B der Einleitung ausgeführt oder angedeutet (vergl. die dortigen
Betrachtungen über parallele und nicht-schneidende sowie schneidende
und nicht-parallele Geraden in einer Ebene).
Im Hinblick darauf will es nicht als rationell erscheinen, auf
diesen Umstand eine wesentliche Unterscheidung zwischen bejahenden
und verneinenden Urteilen zu gründen. Es scheint Beanstandung zu
verdienen, dass man die Urteile α) mit der Deutung γ) überhaupt als
„verneinende“ bezeichne — wie ich dies im Einklang mit der seit
Aristoteles in der scholastischen Logik (noch) herrschenden (erst
neuerdings mehrseitig bekämpften) Terminologie in der That hier
thun werde.
Die Wahrnehmung dieser Diskrepanz hat bekanntlich Kant veran-
lasst, neben den „bejahenden“ und den von ihm „verneinende“ genannten
Urteilen β) noch eine dritte Art von Urteilen einzuführen, die er ziemlich
unglücklich — vergl. Sigwart I, p. 122 — „unendliche“ oder „limiti-
rende“ Urteile nennt (Die Seele ist nicht sterblich, soviel als: gehört in
die unendliche Sphäre, die übrig bleibt, wenn ich das Sterbliche aussondere).
Wie man sieht decken sich diese „limitativen“ Urteile Kant's (deren Be-
rechtigung und Vorkommen Sigwart — im Gegensatz zu Lotze — aus-
drücklich anerkennt) mit den eben besprochenen Urteilen γ).
Ich würde vorstehenden Einwand als berechtigt anerkennen und
die „verneinenden“ Urteile der herrschenden Terminologie als unpas-
send benannte umtaufen, wenn es daneben noch wirklich verneinende
Urteile — etwa die β) — gäbe. Indem wir aber, wie schon angedeutet,
diese Ausdrucksform β) als nicht haltbar erkennen werden, wird offen-
bar, dass solches nicht der Fall ist, und aus diesem Grunde mögen
wir uns auch der herrschenden Terminologie in Bezug auf ihre „ver-
neinenden“ Urteile ganz unbedenklich anschliessen.
Am angemessensten erscheint es, dergleichen Urteile γ) — mit
Wundt — als „negativ prädizirende“ zu bezeichnen.
Diese Benennung dürfte auf alle Fälle passend und unanfechtbar er-
scheinen, und auch von Denjenigen der Kant'schen vorgezogen werden,
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/345>, abgerufen am 23.11.2024.
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