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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 8. Interpretation für Klassen.
nünftigen Deutungen herausfühle und als den beabsichtigten Sinn jener
Äusserung unterlege.

So würde ein Ausspruch: "Diese Behauptungen sind richtige und
falsche", wenn wirklich gebraucht, zu verstehen sein in dem Sinne: "einige
(die einen) von diesen Behauptungen sind richtige, einige (die andern) sind
falsche" -- ein Urteil, welches wir an dieser Stelle noch nicht in der Lage
sind, in der Zeichensprache des Kalkuls darzustellen.

Man könnte sogar sagen: "diese Behauptungen sind richtig und falsch
(zugleich)", wenn der Sinn derselben nicht unzweifelhaft feststeht: richtig
in dem einen Sinne und zugleich falsch in dem andern Sinne, der ihnen
etwa untergelegt werden kann. Im Grunde ist dann aber das Subjekt c
des Satzes beidemal nicht dasselbe und der Ausspruch nur eine abkürzende
Zusammenfassung der beiden Aussagen: "diese Behauptungen (auf die eine
Art gedeutet) sind richtig"; "ebendiese Behauptungen (auf die andre Art
gedeutet) sind falsch".

Kraft des oben Bemerkten würde das eingangs gewählte Exempel,
i. e. die Aussage: "diese Behauptungen sind richtige oder auch falsche", im
Verkehr gebraucht, auch nicht die oben ihr gegebene Bedeutung c a + b
als ein "nichtssagender" Ausspruch haben, sondern -- mit einem Stich
in's Ironische -- die Aufforderung an den Gegenpart enthalten, zu prüfen,
ob nicht unter seinen Behauptungen doch wol einige falsche sein möchten!
Auf diese Interpretation aber würde dabei das "auch" in "oder auch" jetzt
wesentlich mit hinwirken.

Von solcher Gepflogenheit, von solchen Freiheiten, Lizenzen der Ver-
kehrssprache aber müssen wir hier, um nicht in übergrosse Weitläufigkeiten
verwickelt zu werden, nach Möglichkeit absehen. Es wäre überhaupt besser,
wenn man sich korrekter Ausdrucksweisen befleissigte. Zudem würden wir
sonst genötigt sein, auf die Eigentümlichkeiten und Feinheiten der speziellen
Sprache, in welcher wir unsre logischen Untersuchungen führen, in einem
Umfange einzugehen, welcher sich mit den allgemeineren Zwecken dieses
Buches nicht vertrüge, vielmehr einer spezifisch "deutschen" Sprachlehre
anheim fiele. In Bezug auf die Übertragung irgendwelchen sprachlichen
Textes in die Zeichensprache der Logik wird darum noch Manches dem
Takt und Sprachgefühl des Studirenden zu überlassen sein.

k) Wir haben im Bisherigen -- unter d) und i) -- bereits ge-
sehen, dass der Partikel "und" im Subjekt und im Prädikat eine logisch
durchaus verschiedene Bedeutung zukommt
.

Der Gegensatz möge noch an einem prägnanten Beispiel sichtbar
gemacht werden, welches uns zugleich die vier Schemata der Defini-
tionen (3) illustriren wird. Sagen wir:

"Betrüger (a) und*) Betrogene (b) sind auf dem Holzwege, ver-

*) Ohne die Tragweite des Ausspruchs zu verändern, kann man dieses "und"
auch durch "oder" ersetzen, wenn man sich zu der Umschreibung bequemt: Wer
ein Betrüger oder ein Betrogener ist, ist etc. Dagegen würde: "Betrüger oder
Betrogene sind etc." undeutlich sein.

§ 8. Interpretation für Klassen.
nünftigen Deutungen herausfühle und als den beabsichtigten Sinn jener
Äusserung unterlege.

So würde ein Ausspruch: „Diese Behauptungen sind richtige und
falsche“, wenn wirklich gebraucht, zu verstehen sein in dem Sinne: „einige
(die einen) von diesen Behauptungen sind richtige, einige (die andern) sind
falsche“ — ein Urteil, welches wir an dieser Stelle noch nicht in der Lage
sind, in der Zeichensprache des Kalkuls darzustellen.

Man könnte sogar sagen: „diese Behauptungen sind richtig und falsch
(zugleich)“, wenn der Sinn derselben nicht unzweifelhaft feststeht: richtig
in dem einen Sinne und zugleich falsch in dem andern Sinne, der ihnen
etwa untergelegt werden kann. Im Grunde ist dann aber das Subjekt c
des Satzes beidemal nicht dasselbe und der Ausspruch nur eine abkürzende
Zusammenfassung der beiden Aussagen: „diese Behauptungen (auf die eine
Art gedeutet) sind richtig“; „ebendiese Behauptungen (auf die andre Art
gedeutet) sind falsch“.

Kraft des oben Bemerkten würde das eingangs gewählte Exempel,
i. e. die Aussage: „diese Behauptungen sind richtige oder auch falsche“, im
Verkehr gebraucht, auch nicht die oben ihr gegebene Bedeutung ca + b
als ein „nichtssagender“ Ausspruch haben, sondern — mit einem Stich
in's Ironische — die Aufforderung an den Gegenpart enthalten, zu prüfen,
ob nicht unter seinen Behauptungen doch wol einige falsche sein möchten!
Auf diese Interpretation aber würde dabei das „auch“ in „oder auch“ jetzt
wesentlich mit hinwirken.

Von solcher Gepflogenheit, von solchen Freiheiten, Lizenzen der Ver-
kehrssprache aber müssen wir hier, um nicht in übergrosse Weitläufigkeiten
verwickelt zu werden, nach Möglichkeit absehen. Es wäre überhaupt besser,
wenn man sich korrekter Ausdrucksweisen befleissigte. Zudem würden wir
sonst genötigt sein, auf die Eigentümlichkeiten und Feinheiten der speziellen
Sprache, in welcher wir unsre logischen Untersuchungen führen, in einem
Umfange einzugehen, welcher sich mit den allgemeineren Zwecken dieses
Buches nicht vertrüge, vielmehr einer spezifisch „deutschen“ Sprachlehre
anheim fiele. In Bezug auf die Übertragung irgendwelchen sprachlichen
Textes in die Zeichensprache der Logik wird darum noch Manches dem
Takt und Sprachgefühl des Studirenden zu überlassen sein.

ϰ) Wir haben im Bisherigen — unter δ) und ι) — bereits ge-
sehen, dass der Partikelundim Subjekt und im Prädikat eine logisch
durchaus verschiedene Bedeutung zukommt
.

Der Gegensatz möge noch an einem prägnanten Beispiel sichtbar
gemacht werden, welches uns zugleich die vier Schemata der Defini-
tionen (3) illustriren wird. Sagen wir:

„Betrüger (a) und*) Betrogene (b) sind auf dem Holzwege, ver-

*) Ohne die Tragweite des Ausspruchs zu verändern, kann man dieses „und“
auch durch „oder“ ersetzen, wenn man sich zu der Umschreibung bequemt: Wer
ein Betrüger oder ein Betrogener ist, ist etc. Dagegen würde: „Betrüger oder
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[229/0249] § 8. Interpretation für Klassen. nünftigen Deutungen herausfühle und als den beabsichtigten Sinn jener Äusserung unterlege. So würde ein Ausspruch: „Diese Behauptungen sind richtige und falsche“, wenn wirklich gebraucht, zu verstehen sein in dem Sinne: „einige (die einen) von diesen Behauptungen sind richtige, einige (die andern) sind falsche“ — ein Urteil, welches wir an dieser Stelle noch nicht in der Lage sind, in der Zeichensprache des Kalkuls darzustellen. Man könnte sogar sagen: „diese Behauptungen sind richtig und falsch (zugleich)“, wenn der Sinn derselben nicht unzweifelhaft feststeht: richtig in dem einen Sinne und zugleich falsch in dem andern Sinne, der ihnen etwa untergelegt werden kann. Im Grunde ist dann aber das Subjekt c des Satzes beidemal nicht dasselbe und der Ausspruch nur eine abkürzende Zusammenfassung der beiden Aussagen: „diese Behauptungen (auf die eine Art gedeutet) sind richtig“; „ebendiese Behauptungen (auf die andre Art gedeutet) sind falsch“. Kraft des oben Bemerkten würde das eingangs gewählte Exempel, i. e. die Aussage: „diese Behauptungen sind richtige oder auch falsche“, im Verkehr gebraucht, auch nicht die oben ihr gegebene Bedeutung c ⋹ a + b als ein „nichtssagender“ Ausspruch haben, sondern — mit einem Stich in's Ironische — die Aufforderung an den Gegenpart enthalten, zu prüfen, ob nicht unter seinen Behauptungen doch wol einige falsche sein möchten! Auf diese Interpretation aber würde dabei das „auch“ in „oder auch“ jetzt wesentlich mit hinwirken. Von solcher Gepflogenheit, von solchen Freiheiten, Lizenzen der Ver- kehrssprache aber müssen wir hier, um nicht in übergrosse Weitläufigkeiten verwickelt zu werden, nach Möglichkeit absehen. Es wäre überhaupt besser, wenn man sich korrekter Ausdrucksweisen befleissigte. Zudem würden wir sonst genötigt sein, auf die Eigentümlichkeiten und Feinheiten der speziellen Sprache, in welcher wir unsre logischen Untersuchungen führen, in einem Umfange einzugehen, welcher sich mit den allgemeineren Zwecken dieses Buches nicht vertrüge, vielmehr einer spezifisch „deutschen“ Sprachlehre anheim fiele. In Bezug auf die Übertragung irgendwelchen sprachlichen Textes in die Zeichensprache der Logik wird darum noch Manches dem Takt und Sprachgefühl des Studirenden zu überlassen sein. ϰ) Wir haben im Bisherigen — unter δ) und ι) — bereits ge- sehen, dass der Partikel „und“ im Subjekt und im Prädikat eine logisch durchaus verschiedene Bedeutung zukommt. Der Gegensatz möge noch an einem prägnanten Beispiel sichtbar gemacht werden, welches uns zugleich die vier Schemata der Defini- tionen (3) illustriren wird. Sagen wir: „Betrüger (a) und *) Betrogene (b) sind auf dem Holzwege, ver- *) Ohne die Tragweite des Ausspruchs zu verändern, kann man dieses „und“ auch durch „oder“ ersetzen, wenn man sich zu der Umschreibung bequemt: Wer ein Betrüger oder ein Betrogener ist, ist etc. Dagegen würde: „Betrüger oder Betrogene sind etc.“ undeutlich sein.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/249>, abgerufen am 27.04.2024.