Anders dagegen im folgenden, wo a b = 0 gelten müsste, die Begriffe a und b disjunkt zu nennen wären:
"Gold und Silber sind Edelmetalle".
Es wäre zur Not wol angängig, zu sagen:
"Silber, oder auch Gold, ist Metall",
"Adelige, oder auch Begüterte, gehören zur Aristokratie", und ganz gut jedenfalls: "Wer adelig oder auch begütert ist gehört dazu", "Was Silber oder Gold ist, ist Metall". Desgleichen allenfalls, weil von dem ad- jektivischen Zahlwort, numeralen Adjektiv "alle" regirt: "Alles Gold oder Silber ist Edelmetall". Besser aber: "Alles Gold und Silber etc." Unzu- lässig dagegen wäre es oder wenigstens von geringerem logischen Gehalte, zu sagen: Entweder Gold oder Silber ist Edelmetall, und darum: "Gold oder Silber, das Gold oder das Silber, ist Edelmetall", eine entschieden schlechte Ausdrucksweise, weil das "und" soviel deutlicher.
Beispiele zu ca + b.
"Jene Familien sind adelige oder auch wohlhabende." Hier können einzelne von den genannten Familien auch zu den unbemittelten Adeligen gehören, andere wohlhabend aber bürgerlich sein.
Einen wesentlich hievon verschiedenen Sinn würde aber die Be- hauptung darbieten: "Jene Familien sind adelig(e) und wohlhabend(e)". Dies würde bedeuten, dass sie sämtlich beides zugleich sind, und wäre mittelst ca b auszudrücken, vergl. d).
Anderes Exempel: "Diese Behauptungen sind richtige oder auch falsche". Als Übersetzung von ca + b hingestellt, wird dieser Satz besser mit "richtige oder falsche" darzustellen sein, mit Unterdrückung des "auch", weil hier a und b einander ausschliessen, a b = 0 ist. So aufgefasst ist das Urteil ein rein "analytisches", welches denknotwendig gelten muss von jeder beliebigen Gruppe von Behauptungen: Alle Behauptungen sind entweder richtige oder falsche.
Dagegen würde es mindestens eine Nachlässigkeit des Ausdrucks sein, hiefür zu sagen: "diese Behauptungen sind richtige und falsche".
Dergleichen "Nachlässigkeiten" kommen allerdings nicht nur ungemein häufig in der Sprache des gemeinen Lebens, sondern auch bei den besten Schriftstellern vor, und sie entschuldigen sich zu einem Teile durch die Sitte, nach welcher im Verkehr zwischen Personen vorausgesetzt zu werden pflegt, dass der Andere keinen Unsinn rede und man selbst auch dies nicht zu thun beabsichtige. Wenn also eine Äusserung von einer der Parteien, die miteinander in geistigem Verkehr stehen, bei korrekter Deutung nach den Regeln der Schule sowie des überwiegenden Sprach- gebrauchs ein offenbarer Unsinn ist, Widersprüche in sich schliesst -- vielleicht auch, wenn sie dabei nur als allzu selbstverständlich, "nichts- sagend" und darum zwecklos erscheint -- so pflegt der andern Partei zugemutet zu werden, dass sie die nächstliegende unter den möglichen ver-
Vierte Vorlesung.
Anders dagegen im folgenden, wo a b = 0 gelten müsste, die Begriffe a und b disjunkt zu nennen wären:
„Gold und Silber sind Edelmetalle“.
Es wäre zur Not wol angängig, zu sagen:
„Silber, oder auch Gold, ist Metall“,
„Adelige, oder auch Begüterte, gehören zur Aristokratie“, und ganz gut jedenfalls: „Wer adelig oder auch begütert ist gehört dazu“, „Was Silber oder Gold ist, ist Metall“. Desgleichen allenfalls, weil von dem ad- jektivischen Zahlwort, numeralen Adjektiv „alle“ regirt: „Alles Gold oder Silber ist Edelmetall“. Besser aber: „Alles Gold und Silber etc.“ Unzu- lässig dagegen wäre es oder wenigstens von geringerem logischen Gehalte, zu sagen: Entweder Gold oder Silber ist Edelmetall, und darum: „Gold oder Silber, das Gold oder das Silber, ist Edelmetall“, eine entschieden schlechte Ausdrucksweise, weil das „und“ soviel deutlicher.
Beispiele zu c ⋹ a + b.
„Jene Familien sind adelige oder auch wohlhabende.“ Hier können einzelne von den genannten Familien auch zu den unbemittelten Adeligen gehören, andere wohlhabend aber bürgerlich sein.
Einen wesentlich hievon verschiedenen Sinn würde aber die Be- hauptung darbieten: „Jene Familien sind adelig(e) und wohlhabend(e)“. Dies würde bedeuten, dass sie sämtlich beides zugleich sind, und wäre mittelst c ⋹ a b auszudrücken, vergl. δ).
Anderes Exempel: „Diese Behauptungen sind richtige oder auch falsche“. Als Übersetzung von c ⋹ a + b hingestellt, wird dieser Satz besser mit „richtige oder falsche“ darzustellen sein, mit Unterdrückung des „auch“, weil hier a und b einander ausschliessen, a b = 0 ist. So aufgefasst ist das Urteil ein rein „analytisches“, welches denknotwendig gelten muss von jeder beliebigen Gruppe von Behauptungen: Alle Behauptungen sind entweder richtige oder falsche.
Dagegen würde es mindestens eine Nachlässigkeit des Ausdrucks sein, hiefür zu sagen: „diese Behauptungen sind richtige und falsche“.
Dergleichen „Nachlässigkeiten“ kommen allerdings nicht nur ungemein häufig in der Sprache des gemeinen Lebens, sondern auch bei den besten Schriftstellern vor, und sie entschuldigen sich zu einem Teile durch die Sitte, nach welcher im Verkehr zwischen Personen vorausgesetzt zu werden pflegt, dass der Andere keinen Unsinn rede und man selbst auch dies nicht zu thun beabsichtige. Wenn also eine Äusserung von einer der Parteien, die miteinander in geistigem Verkehr stehen, bei korrekter Deutung nach den Regeln der Schule sowie des überwiegenden Sprach- gebrauchs ein offenbarer Unsinn ist, Widersprüche in sich schliesst — vielleicht auch, wenn sie dabei nur als allzu selbstverständlich, „nichts- sagend“ und darum zwecklos erscheint — so pflegt der andern Partei zugemutet zu werden, dass sie die nächstliegende unter den möglichen ver-
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Vierte Vorlesung.
Anders dagegen im folgenden, wo a b = 0 gelten müsste, die
Begriffe a und b disjunkt zu nennen wären:
„Gold und Silber sind Edelmetalle“.
Es wäre zur Not wol angängig, zu sagen:
„Silber, oder auch Gold, ist Metall“,
„Adelige, oder auch Begüterte, gehören zur Aristokratie“, und ganz
gut jedenfalls: „Wer adelig oder auch begütert ist gehört dazu“, „Was
Silber oder Gold ist, ist Metall“. Desgleichen allenfalls, weil von dem ad-
jektivischen Zahlwort, numeralen Adjektiv „alle“ regirt: „Alles Gold oder
Silber ist Edelmetall“. Besser aber: „Alles Gold und Silber etc.“ Unzu-
lässig dagegen wäre es oder wenigstens von geringerem logischen Gehalte,
zu sagen: Entweder Gold oder Silber ist Edelmetall, und darum: „Gold
oder Silber, das Gold oder das Silber, ist Edelmetall“, eine entschieden
schlechte Ausdrucksweise, weil das „und“ soviel deutlicher.
Beispiele zu c ⋹ a + b.
„Jene Familien sind adelige oder auch wohlhabende.“ Hier können
einzelne von den genannten Familien auch zu den unbemittelten Adeligen
gehören, andere wohlhabend aber bürgerlich sein.
Einen wesentlich hievon verschiedenen Sinn würde aber die Be-
hauptung darbieten: „Jene Familien sind adelig(e) und wohlhabend(e)“.
Dies würde bedeuten, dass sie sämtlich beides zugleich sind, und wäre
mittelst c ⋹ a b auszudrücken, vergl. δ).
Anderes Exempel: „Diese Behauptungen sind richtige oder auch
falsche“. Als Übersetzung von c ⋹ a + b hingestellt, wird dieser Satz
besser mit „richtige oder falsche“ darzustellen sein, mit Unterdrückung
des „auch“, weil hier a und b einander ausschliessen, a b = 0 ist. So
aufgefasst ist das Urteil ein rein „analytisches“, welches denknotwendig
gelten muss von jeder beliebigen Gruppe von Behauptungen: Alle
Behauptungen sind entweder richtige oder falsche.
Dagegen würde es mindestens eine Nachlässigkeit des Ausdrucks sein,
hiefür zu sagen: „diese Behauptungen sind richtige und falsche“.
Dergleichen „Nachlässigkeiten“ kommen allerdings nicht nur ungemein
häufig in der Sprache des gemeinen Lebens, sondern auch bei den besten
Schriftstellern vor, und sie entschuldigen sich zu einem Teile durch die
Sitte, nach welcher im Verkehr zwischen Personen vorausgesetzt zu werden
pflegt, dass der Andere keinen Unsinn rede und man selbst auch dies
nicht zu thun beabsichtige. Wenn also eine Äusserung von einer der
Parteien, die miteinander in geistigem Verkehr stehen, bei korrekter
Deutung nach den Regeln der Schule sowie des überwiegenden Sprach-
gebrauchs ein offenbarer Unsinn ist, Widersprüche in sich schliesst —
vielleicht auch, wenn sie dabei nur als allzu selbstverständlich, „nichts-
sagend“ und darum zwecklos erscheint — so pflegt der andern Partei
zugemutet zu werden, dass sie die nächstliegende unter den möglichen ver-
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/248>, abgerufen am 22.11.2024.
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