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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Zweite Vorlesung.
Sinn würde ihm auch nur zukommen, wenn er selbst ausdrücklich gelautet
hätte: "Alle Pferde sind auf dem Rennplatze", indem unter "alle Pferde"
dann doch wieder nur diejenigen eines gewissen Besitzers, einer bestimmten
Gruppe gemeint sein konnten, nicht aber die Klasse der Pferde überhaupt.
Der angebliche Obersatz ist in Wahrheit ein "partikulares" Urteil.

Im vorliegenden Beispiele entsprang der Fehler aus der Unvollständig-
keit des Ausdrucks, der durch seine Lückenhaftigkeit bedingten Ungenauig-
keit desselben, wodurch das (unzulänglich beschriebene) Subjekt des zweiten
Satzes dem Namen nach zur Deckung kam mit dem Prädikat des ersten.
Dergleichen "elliptische" Redeweisen, welche man in der Wortsprache be-
quemlichkeitshalber sich ungemein häufig gestattet, sind die Hauptquelle
für die logischen Paradoxa, d. h. die scheinbaren Widersprüche zur Theorie
des exakten Denkens.

Die leicht in's Endlose zu vermehrenden Beispiele zeigen, dass Nach-
lässigkeit im Ausdruck für das exakte Denken seine Gefahren birgt, und
dass man sich, unbekümmert um den Sinn, mechanisch, nach den Schemata
oder Prinzipien des Kalkuls behuf Schliessens zuwerke zu gehen, erst ge-
statten darf, wenn die Prämissen in der Zeichensprache des Kalkuls bereits
ihren vollständigen und angemessenen Ausdruck gefunden haben.

Indessen, auch wenn die Prämissen im Geiste der Wortsprache beide
korrekt ausgedrückt erscheinen, kann man noch zufolge einer (alsdann also
berechtigt zu nennenden) Doppelsinnigkeit des Mittelbegriffs in den Fehler
der fallacia falsi medii verfallen.

Dies werde illustrirt durch: Einige Herren sind Grundbesitzer. Herr
Meier, Herr Müller, Herr Schmidt und Herr Schulze sind einige Herren.
Ergo sind dieselben Grundbesitzer.

Das Mittelglied "einige Herren" hat im (hier vorangestellten) Ober-
satze eine möglicherweise ganz andere Bedeutung als im (darauf folgenden)
Untersatze.

Allgemein merke man: das Mittelglied b des Syllogismus II darf nicht
blos durch einen sprachlichen Ausdruck von der Form "einige x" gegeben
erscheinen; solche Beschreibung würde nicht genügen, um die Bedeutung
desselben unzweideutig zu erklären.

Diese Unbestimmtheit entspringt aber nicht allein aus derjenigen des
angewendeten "unbestimmten Zahlwortes": "einige", sondern sie ist schon
durch die Anwendung eines Zahlwortes überhaupt bedingt.

Sagten wir: A, B und C sind drei Personen. Drei Personen sind an
dem Morde beteiligt. Ergo sind A, B und C an dem Morde beteiligt --
so wäre es ja ein vollkommen bestimmtes Zahlwort "drei", welches zur
Charakterisirung des Pseudo Mittelgliedes mit verwendet worden. Und doch
kann der Schluss nicht verbindlich sein, solange nicht als Subjekt des
Obersatzes: "Diese selben drei Personen" zu setzen ist.

Die Verbindung eines Zahlwortes mit einem substantivischen Begriffe
ist nicht ausreichend, ist unzulänglich, um eine wohldefinirte Klasse unzwei-
deutig zu erklären. Dieselbe kann daher auch keinen Mittelbegriff liefern,
der als solcher anzuerkennen wäre.

[Man könnte freilich auch: "drei Personen" als eine wohldefinirte
Klasse hinstellen, welche dann zu umfassen hätte jedes erdenkliche Tripel,

Zweite Vorlesung.
Sinn würde ihm auch nur zukommen, wenn er selbst ausdrücklich gelautet
hätte: „Alle Pferde sind auf dem Rennplatze“, indem unter „alle Pferde“
dann doch wieder nur diejenigen eines gewissen Besitzers, einer bestimmten
Gruppe gemeint sein konnten, nicht aber die Klasse der Pferde überhaupt.
Der angebliche Obersatz ist in Wahrheit ein „partikulares“ Urteil.

Im vorliegenden Beispiele entsprang der Fehler aus der Unvollständig-
keit des Ausdrucks, der durch seine Lückenhaftigkeit bedingten Ungenauig-
keit desselben, wodurch das (unzulänglich beschriebene) Subjekt des zweiten
Satzes dem Namen nach zur Deckung kam mit dem Prädikat des ersten.
Dergleichen „elliptische“ Redeweisen, welche man in der Wortsprache be-
quemlichkeitshalber sich ungemein häufig gestattet, sind die Hauptquelle
für die logischen Paradoxa, d. h. die scheinbaren Widersprüche zur Theorie
des exakten Denkens.

Die leicht in's Endlose zu vermehrenden Beispiele zeigen, dass Nach-
lässigkeit im Ausdruck für das exakte Denken seine Gefahren birgt, und
dass man sich, unbekümmert um den Sinn, mechanisch, nach den Schemata
oder Prinzipien des Kalkuls behuf Schliessens zuwerke zu gehen, erst ge-
statten darf, wenn die Prämissen in der Zeichensprache des Kalkuls bereits
ihren vollständigen und angemessenen Ausdruck gefunden haben.

Indessen, auch wenn die Prämissen im Geiste der Wortsprache beide
korrekt ausgedrückt erscheinen, kann man noch zufolge einer (alsdann also
berechtigt zu nennenden) Doppelsinnigkeit des Mittelbegriffs in den Fehler
der fallacia falsi medii verfallen.

Dies werde illustrirt durch: Einige Herren sind Grundbesitzer. Herr
Meier, Herr Müller, Herr Schmidt und Herr Schulze sind einige Herren.
Ergo sind dieselben Grundbesitzer.

Das Mittelglied „einige Herren“ hat im (hier vorangestellten) Ober-
satze eine möglicherweise ganz andere Bedeutung als im (darauf folgenden)
Untersatze.

Allgemein merke man: das Mittelglied b des Syllogismus II darf nicht
blos durch einen sprachlichen Ausdruck von der Form „einige x“ gegeben
erscheinen; solche Beschreibung würde nicht genügen, um die Bedeutung
desselben unzweideutig zu erklären.

Diese Unbestimmtheit entspringt aber nicht allein aus derjenigen des
angewendeten „unbestimmten Zahlwortes“: „einige“, sondern sie ist schon
durch die Anwendung eines Zahlwortes überhaupt bedingt.

Sagten wir: A, B und C sind drei Personen. Drei Personen sind an
dem Morde beteiligt. Ergo sind A, B und C an dem Morde beteiligt —
so wäre es ja ein vollkommen bestimmtes Zahlwort „drei“, welches zur
Charakterisirung des Pseudo Mittelgliedes mit verwendet worden. Und doch
kann der Schluss nicht verbindlich sein, solange nicht als Subjekt des
Obersatzes: „Diese selben drei Personen“ zu setzen ist.

Die Verbindung eines Zahlwortes mit einem substantivischen Begriffe
ist nicht ausreichend, ist unzulänglich, um eine wohldefinirte Klasse unzwei-
deutig zu erklären. Dieselbe kann daher auch keinen Mittelbegriff liefern,
der als solcher anzuerkennen wäre.

[Man könnte freilich auch: „drei Personen“ als eine wohldefinirte
Klasse hinstellen, welche dann zu umfassen hätte jedes erdenkliche Tripel,

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[180/0200] Zweite Vorlesung. Sinn würde ihm auch nur zukommen, wenn er selbst ausdrücklich gelautet hätte: „Alle Pferde sind auf dem Rennplatze“, indem unter „alle Pferde“ dann doch wieder nur diejenigen eines gewissen Besitzers, einer bestimmten Gruppe gemeint sein konnten, nicht aber die Klasse der Pferde überhaupt. Der angebliche Obersatz ist in Wahrheit ein „partikulares“ Urteil. Im vorliegenden Beispiele entsprang der Fehler aus der Unvollständig- keit des Ausdrucks, der durch seine Lückenhaftigkeit bedingten Ungenauig- keit desselben, wodurch das (unzulänglich beschriebene) Subjekt des zweiten Satzes dem Namen nach zur Deckung kam mit dem Prädikat des ersten. Dergleichen „elliptische“ Redeweisen, welche man in der Wortsprache be- quemlichkeitshalber sich ungemein häufig gestattet, sind die Hauptquelle für die logischen Paradoxa, d. h. die scheinbaren Widersprüche zur Theorie des exakten Denkens. Die leicht in's Endlose zu vermehrenden Beispiele zeigen, dass Nach- lässigkeit im Ausdruck für das exakte Denken seine Gefahren birgt, und dass man sich, unbekümmert um den Sinn, mechanisch, nach den Schemata oder Prinzipien des Kalkuls behuf Schliessens zuwerke zu gehen, erst ge- statten darf, wenn die Prämissen in der Zeichensprache des Kalkuls bereits ihren vollständigen und angemessenen Ausdruck gefunden haben. Indessen, auch wenn die Prämissen im Geiste der Wortsprache beide korrekt ausgedrückt erscheinen, kann man noch zufolge einer (alsdann also berechtigt zu nennenden) Doppelsinnigkeit des Mittelbegriffs in den Fehler der fallacia falsi medii verfallen. Dies werde illustrirt durch: Einige Herren sind Grundbesitzer. Herr Meier, Herr Müller, Herr Schmidt und Herr Schulze sind einige Herren. Ergo sind dieselben Grundbesitzer. Das Mittelglied „einige Herren“ hat im (hier vorangestellten) Ober- satze eine möglicherweise ganz andere Bedeutung als im (darauf folgenden) Untersatze. Allgemein merke man: das Mittelglied b des Syllogismus II darf nicht blos durch einen sprachlichen Ausdruck von der Form „einige x“ gegeben erscheinen; solche Beschreibung würde nicht genügen, um die Bedeutung desselben unzweideutig zu erklären. Diese Unbestimmtheit entspringt aber nicht allein aus derjenigen des angewendeten „unbestimmten Zahlwortes“: „einige“, sondern sie ist schon durch die Anwendung eines Zahlwortes überhaupt bedingt. Sagten wir: A, B und C sind drei Personen. Drei Personen sind an dem Morde beteiligt. Ergo sind A, B und C an dem Morde beteiligt — so wäre es ja ein vollkommen bestimmtes Zahlwort „drei“, welches zur Charakterisirung des Pseudo Mittelgliedes mit verwendet worden. Und doch kann der Schluss nicht verbindlich sein, solange nicht als Subjekt des Obersatzes: „Diese selben drei Personen“ zu setzen ist. Die Verbindung eines Zahlwortes mit einem substantivischen Begriffe ist nicht ausreichend, ist unzulänglich, um eine wohldefinirte Klasse unzwei- deutig zu erklären. Dieselbe kann daher auch keinen Mittelbegriff liefern, der als solcher anzuerkennen wäre. [Man könnte freilich auch: „drei Personen“ als eine wohldefinirte Klasse hinstellen, welche dann zu umfassen hätte jedes erdenkliche Tripel,

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/200>, abgerufen am 27.04.2024.